„Defund the Police“ ist eine Forderung der antirassistischen Massenbewegung in den USA. Einige verstehen darunter eine massive Kürzung und die Umschichtung der Gelder in Richtung Bildung und Gesundheit, andere nehmen sie wörtlich: Keinen Cent für die Polizei, sie muss abgeschafft werden. Was machen wir hierzulande mit der Polizei?
Als Marxist*innen sind wir der Meinung, dass der existierende Staatsapparat nicht neutral ist und bei einer Abschaffung des Kapitalismus nicht zum Aufbau einer neuen, sozialistischen Gesellschaft genutzt werden kann. Die Zusammensetzung der Parlamente kann verändert werden, aber der Apparat bleibt bestehen. Die höheren Schichten sind über materielle Privilegien und persönliche Kontakte verbunden, die unteren Ränge in Polizei und Armee unterscheiden sich über ihre Machtposition stark von anderen Lohnabhängigen. Friedrich Engels definierte den Kern des Staates als „besondere Formationen bewaffneter Menschen“. Wenn das System in Frage gestellt wird, wenn die Arbeiter*innen sich für demokratische Kontrolle der Betriebe und für die Vergesellschaftung der Produktion engagieren, wenn die Ideologie des Kapitalismus nicht mehr funktioniert, dann sind es am Ende diese bewaffneten Einheiten, welche die Besitzenden und ihr System mit Gewalt schützen.
Unter dem Strich agieren Polizei und Justiz zur Aufrechterhaltung des Systems und der Privilegien der herrschenden Klasse. Wirtschaftskriminelle gehen nur selten ins Gefängnis, in den Knästen sitzen Menschen wegen Fahrens ohne Fahrschein, Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz oder kleiner Eigentumsdelikte. In Hundertschaften organisierte Einheiten der Landespolizeien und der Polizei des Bundes schützen Nazi-Aufmärsche oder setzen die Profitinteressen im Hambacher Forst durch. Auch Beamt*innen im Streifendienst agieren häufig repressiv. Migrant*innen und Schwarze Menschen erfahren Diskriminierung. Nicht nur seitens der Polizei, aber diese ist gravierend, weil sie mit Machtausübung verbunden ist.
Kriminalität und Kapitalismus
In eher ruhigen Zeiten, in denen der Kapitalismus nicht in Frage gestellt wird, ist die repressive, systemerhaltende Funktion der Polizei nur für einen Teil der Arbeiter*innenklasse sichtbar. Es überwiegt die Wahrnehmung, dass die Polizei auch die Durchschnittsbürger*innen vor Verbrechen und Gewalt schützt.
Diese hat eine reale Grundlage. Nach Marx und Engels ist der Staat „… ein Produkt der Gesellschaft auf bestimmter Entwicklungsstufe; er ist das Eingeständnis, daß diese Gesellschaft sich in einen unlösbaren Widerspruch mit sich selbst verwickelt, sich in unversöhnliche Gegensätze gespalten hat, die zu bannen sie ohnmächtig ist.“
Das bezieht sich nicht nur auf den direkten Klassenkampf. Eine Gesellschaft, die auf Ungleichheit beruht, produziert nicht nur soziale Konflikte, sondern auch Kriminalität, Gewalt der Menschen untereinander. Die Polizei schützt nicht nur direkt die Interessen der Besitzenden, sondern hält auch „die Ordnung“ aufrecht, hält die Widersprüche, die sich aus der Ungerechtigkeit ergeben, im Zaum und soll auch den Produzent*innen der gesellschaftlichen Werte, den arbeitenden Menschen, das Gefühl von Gesetzlichkeit und Sicherheit geben. Der bürgerliche Staats agiert als „ideeller Gesamtkapitalist“ und versucht, Kriminalität und Gesetzlosigkeit nicht ausufern zu lassen.
Insofern gibt es in der Arbeiter*innenklasse keine klare Vorstellung davon, was die Polizei ist. Antifaschist*innen, Jugendlichen oder Fußball-Ultras erscheint die Polizei in erster Linie als ein Haufen Gewaltbereiter, Migrant*innen fürchten zu Recht rassistisches Gebaren von Streifenbeamt*innen. Für andere Teile der Arbeiter*innenklasse sind Polizist*innen in erster Linie die Leute, die man ruft, wenn es einen Autounfall gegeben hat oder jemandem die Geldbörse gestohlen wurde.
Demokratische „Nicht-Polizei“
Die Forderung nach „Abschaffung der Polizei“ klingt radikal, aber sie wird keine große Wirkung entfalten, weil diese Gesellschaft nicht auf alle Aspekte der Polizei verzichten kann und noch keine Alternativen existieren. In einer durch Ungleichheit geprägten Gesellschaft sind Kriminalität und Gewalt unvermeidbar. Daher sind Kriminalist*innen als Spezialist*innen der Verbrechensbekämpfung und moderne Ermittlungsmethoden notwendig.
Hätte jede*r einen gut bezahlten, sicheren Arbeitsplatz und gäbe es keinen Mangel, gäbe es zwar weder Taschendiebstähle und Wohnungseinbrüche. Aber auch eine sozialistische, demokratische Gesellschaft würde einige Übel des Kapitalismus erben und die Gewalt würde nicht sofort verschwinden. In einer sozialistischen Demokratie gäbe es eine von unten aufgebaute „Polizei“, deren Vorgesetzte wähl- und abwählbar sind, basierend auf Stadtteilen, der Bevölkerung gegenüber rechenschaftspflichtig.
Eine solche demokratische „Polizei“ oder besser „Nicht-Polizei“ wäre allerdings erst möglich, wenn der Kapitalismus schon wackelt, wenn die Arbeiter*innenklasse eine Doppelherrschaft entwickelt und nach der Kontrolle der Gesellschaft greift. Dann wäre sie in der Lage, eine Alternative zum korrupten, bürgerlichen Staatsapparat aufzubauen. Solange die Macht des Kapitals nicht in Frage gestellt ist, kämpfen wir darum, Elemente demokratischer Kontrolle durchzusetzen – allerdings ohne die Illusion, die bestehende Polizei und diesen Staatsapparat von Grund auf verändern zu können.
Unser Programm gegen Polizeigewalt
Demokratische Kontrolle
- Wer sich heute über die Polizei beschweren will, muss sich an die Polizei wenden. Das führt dazu, dass Übergriffe und Rassismus meistens straflos ausgehen. Wir treten ein für:
- Rücknahme der in den letzten Jahren geänderten Polizeigesetze der Länder, welche die Polizei mit mehr Befugnissen ausgestattet haben
- Unabhängige Beschwerdestellen für Opfer von Polizeigewalt- und willkür
- Demokratische Kontrolle der Polizei durch die örtliche Bevölkerung, Gewerkschaften und antirassistische Organisationen
- Kennzeichnung aller Polizist*innen mit Namen, Einheit und Dienststelle
Rassist*innen und Nazis entlassen
- Meldungen über rassistische Netzwerke in der Polizei häufen sich. Von Einzelfällen kann keine Rede sein. Wir treten ein für:
- Sofortige Suspendierung aller Beamt*innen, denen rassistisches, sexistisches oder homophobes Verhalten vorgeworfen wird
- Entlassung aller Beamt*innen bei vollem Verlust von Pensionsansprüchen, denen derartiges Verhalten oder Äußerungen nachgewiesen werden oder die Mitglied in einer rassistischen Organisation wie der AfD sind
Rassistische Kontrollen beenden
Die Polizeikontrollen wurden in den letzten Jahren ausgedehnt. Wir treten ein für:
- Sofortiges Ende auch des inoffiziellen „racial profiling“, Verbot von Kontrollen aufgrund von Aussehen und Herkunft
- Aufhebung aller „Gefahrenzonen“ und der „verdachtsunabhängigen Kontrollen“
Repressive Einheiten auflösen
- Bei Demonstrationen sind es oft spezielle Greiftrupps, die mit massiver Gewalt vorgehen. Der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ schützt nicht die verfassungsmäßigen Rechte, sondern die eigenen Nazi-Informant*innen und hat die Nazi-Szene aktiv mit Geldern und Ressourcen ausgestattet. Wir treten ein für:
- Auflösung von Sondereinheiten wie SEK, GSG9 und BFE (Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit), Auflösung kasernierter Einheiten
- Kein Einsatz der Polizei bei Streiks
- Verbot des Einsatzes von V-Leuten und Provokateuren auf Demonstrationen
- Antifaschistischer Selbstschutz auf Demonstrationen durch einen eigenen Ordner*innen-Dienst der teilnehmenden Organisationen und Gewerkschaften
- Auflösung des Bundesamtes für „Verfassungsschutz“ und aller Landesämter
- Ersatzlose Abschaffung der KSK-Einheiten der Bundeswehr
Abrüsten!
Das Bild des „Schutzmannes“ aus den 1970er Jahren ist längst verblichen. Die heutige Polizei ist eine hochgerüstete Truppe. Während in Kriegen zwischen Staaten chemische Waffen verboten sind, werden sie im Inneren eingesetzt. Wir treten ein für:
- Keine weitere Aufrüstung mit Gummigeschossen, Vernichtung der bisherigen Bestände
- Ersatzlose Abschaffung der Wasserwerfer
- Verbot des Einsatzes von CS-Gas und Tränengas, Pfefferspray
Gelder kürzen
- Während in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes gekürzt wurde, ist die Polizei weiter aufgerüstet worden. Wir treten ein für:
- Stopp der Anschaffung neuer Panzerfahrzeuge
- Umleitung von bisher für die Polizei verwendeten Gelder in soziale Dienste, Gesundheit und Bildung