Ende Mai meldete sich der Unternehmerverband Gesamtmetall mit einem Papier zu den Folgen der Corona-Krise zu Wort. Dieses Papier stammt direkt aus der Hölle des Krisenkapitalismus. Unter dem Titel „Vorschläge für die 2. und 3. Phase der Corona-Krise“ richten sich die Metall-Betriebe vor allem an die Regierung und teilen mit, dass die Beschäftigten für die Krise bezahlen sollen, um die Profite zu retten.
Von Marc Treude, Betriebsratsvorsitzender, IG Metall, Aachen*
Sie gehen davon aus, dass die erste Phase des Corona-Lockdowns vorbei ist und man keine besonderen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz mehr bräuchte. Schon in der Einleitung werden die Vertreter des Großkapitals der Metall- und Elektroindustrie deutlich: „Die Wochen des Stillstands können nicht folgenlos bleiben, …“ und „Unser Ziel muss sein, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.“ Die exportabhängige deutsche Industrie soll gegenüber internationalen Konkurrenten besser dastehen. Dabei formulieren die Arbeitgeber zwei Phasen: Hochfahren bis etwa September, Wiederherstellung bis Ende des Jahres.
Rente im Fadenkreuz
Zunächst wird von der Bundesregierung gefordert, bereits geplante Maßnahmen zu unterlassen. Die Einführung einer Grundrente soll genauso unterbleiben wie weitere Einschränkungen bei der Befristung von Arbeitsverträgen. Es soll mehr „Rechtssicherheit für Befristungen mit Sachgrund“ hergestellt werden – mit anderen Worten: Betriebsräte sollen ausgehebelt werden. Die Arbeitgeber wollen weiterhin einen „Experimentierraum Arbeitszeit“, ohne festgelegte tägliche Arbeitszeit, stattdessen Einführung einer reinen Wochenarbeitszeit und die Einschränkung von Ruhezeiten.
Die erst vor wenigen Jahren eingeführte abschlagsfreie Rente ab 63 (nach 45 Beschäftigungsjahren) soll „vorzeitig beendet werden“. Die Haltelinie beim Rentenniveau von 48 Prozent soll fallen: „… nicht Altersarmut ist Deutschlands Problem, sondern die demografische Entwicklung“, „die milliardenschweren Mütterrenten I und II müssen ebenfalls vorzeitig beendet werden“. Gefordert wird der Ausstieg aus der paritätischen Krankenversicherung, die Aufhebung der Beschränkungen bei der Arbeitnehmerüberlassung (Leiharbeit) und die Abschaffung der Dokumentationspflichten beim Mindestlohn, de facto die Abschaffung des Mindestlohns selbst.
Die Autor*innen blasen zum direkten Angriff auf die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer*innen und ihrer Betriebsräte. Sie schreiben von notwendigen „Anpassungen“ des Paragrafen 99 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz, Rechtsgrundlage der Betriebsräte) in Bezug auf Einstellungen und Widerspruchsmöglichkeiten der Betriebsräte. Während der Corona-Krise mussten viele Arbeitgeber den Einsatz eines großen Teils ihrer Beschäftigten im Homeoffice zähneknirschend akzeptieren. Damit soll Schluss gemacht werden, die Bundesregierung soll auf einen Gesetzentwurf verzichten, der „Einschränkungen des Direktionsrechts“ vorsehen würde. Die Herren möchten die Herren im Haus bleiben.
Historische Dimension
Lange hatten sich Arbeitgeber nicht getraut, Gewerkschaften und Beschäftigte so direkt anzugreifen und Eingriffe in das Betriebsverfassungsgesetz zu fordern. Die Möglichkeit von virtuellen Betriebsratssitzungen soll auch nach Corona beibehalten werden, denn so müssten dessen Mitglieder nicht mehr zusammenkommen und beraten, Freistellungen könnten eingeschränkt werden. Gesamtmetall nimmt dann das „Bulls-Eye“ ins Visier: den Paragraf 87 BetrVG, den Kern der Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten. Mitbestimmungsmöglichkeiten bei Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeiten, bei Gefährdungsbeurteilung und Gesundheitsschutz sollen eingeschränkt werden können, „Insbesondere muss auf eine Ausweitung der Mitbestimmung über den Hebel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes verzichtet werden.“
Auch das Kündigungsschutzgesetz müsse überarbeitet werden. Es brauche „dringend notwendige Rechtssicherheit bei Massenentlassungen“. Der Datenschutz müsse zudem immer dann ausgehebelt werden können, wenn ein entsprechendes betriebliches Interesse vorliegt.
Was die Arbeitgeber von Gesamtmetall vorgelegt haben, ist nicht nur ein Horrorkatalog, sondern hat historische Bedeutung. So tiefgreifend die weltwirtschaftliche Krise, so bedeutend sollen die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen werden. Die letzten Angriffe der Konzerne in einer solchen Größenordnung gab es zuletzt 2003 unter Kanzler Gerhard Schröder, dem „Genossen der Bosse“, sowie 1996 unter Helmut Kohl. Beide provozierten große Proteste. Gegen Kohl protestierten bis zu 500.000 in Bonn und er wurde 1998 abgewählt. Die Proteste gegen Agenda 2010 und Hartz IV hatten eine ähnliche Größenordnung, gingen aber verloren, auch weil die Gewerkschaften diese nicht unterstützten.
Gegenwehr nötig
Die Vorschläge von Gesamtmetall lassen nur einen Schluss zu: Die Konzerne wollen harten Klassenkampf von oben. Dieser muss umgehend mit einem Klassenkampf von unten beantwortet werden: IG Metall und alle anderen Gewerkschaften im DGB müssen über die Angriffe der Arbeitgeber informieren, Rundmails an alle Mitglieder schicken, zu Mitgliederversammlungen einladen, Betriebsräte- und Vertrauensleutekonferenzen organisieren, über Demonstrationen und Arbeitskampfmaßnahmen diskutieren. Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Schreiben wir sie fort.
* Die Angaben dienen lediglich der Kenntlichmachung der Person.