Der Ausbruch der Corona-Pandemie und die Wirtschaftskrise haben in den letzten Monaten alles verändert. Auch die das Jahr 2019 prägende Massenbewegung gegen die Klimakatastrophe legte zunächst einen Stopp ein. Die Aktionen, mit denen sie so viele Menschen beeindruckt und mitgerissen hatte, waren nicht mehr möglich. Zehntausende Menschen auf Großdemonstrationen und Schulstreiks in den ersten Wochen des Lockdowns? Unmöglich, wenn man nicht zum Superspreaderevent werden wollte.
von David Schultz, Hamburg
Regelmäßige Schulstreiks mit denen man die Normalität des Alltags durchbricht? Schwer, wenn es keinen Schulalltag gibt, den man bestreiken kann. Aktionstreffen zur Vorbereitung? Waren lange nicht erlaubt. Und auch die Siemenszentrale oder Kohlegruben kann man nicht blockieren, wenn man 1,5 Meter Abstand halten muss.
Kein Wunder, dass die Klimabewegung nicht auffällig sichtbar war in den letzten Wochen. Das liegt nicht daran, dass irgendwelche Probleme gelöst wären. Wenn wir keine grundlegenden und nachhaltigen Lösungen durchsetzen, die Klimakatastrophe aufzuhalten, wird diese mit Wucht den ganzen Planeten treffen. Hungersnöten durch Mega-Dürren oder Flutkatastrophen ist nicht mit einer Alltagsmaske beizukommen. Höchste Zeit, wieder in Schwung zu kommen. Das wird nicht klappen, wenn wir so tun als wäre 2019. Wir müssen uns ansehen, was sich durch Corona verändert hat, an realen Bedingungen, aber auch im Bewusstsein unserer Kolleg*innen, Nachbar*innen, Mitschüler*innen.
Eine andere Produktion ist möglich
Vor Corona wurde immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt, dass die kapitalistische Produktionsmaschinerie nicht zu stoppen und nicht zu verändern sei und dass dies auch durch keine noch so berechtigte Forderung geschehen könne. Sicher ist das auch in der Pandemie viel zu wenig und zu vorsichtig geschehen. Aber es gab doch Beispiele dafür, dass Betriebe plötzlich andere Produkte herstellen können. Es gab Firmen, die auf die Herstellung von Alltagsmasken, Desinfektionsmitteln oder Schutzkleidung umgestellt haben. Leider nicht aus der Motivation, Menschen zu retten, sondern um ihre Profite zu sichern. Aber für uns bleibt es ein wichtiges Beispiel: Wenn der Wille vorhanden ist, kann die Produktion umgestellt werden. Warum nicht auch von Panzern zu Straßenbahnen, von Werbebroschüren zu Schulbüchern und von Plastikflaschen zu recycelbaren Materialien? Wenn alles, was dem im Weg steht, die Besitzer*innen der Fabriken sind, dann müssen eben wir Belegschaften die neue Produktion planen – nach Bedürfnissen von Mensch und Umwelt.
Soziale Sicherheit ist eine Lüge
Ein weiteres Märchen der Alternativlosigkeit der kapitalistischen Produktion zerplatzt gerade vor allen unseren Augen: Die angebliche Sicherheit vor dem plötzlichen sozialen Abstieg. In der aktuellen Wirtschaftskrise waren in wahnsinnigem Tempo plötzlich Millionen auf Kurzarbeit, die Jugendarbeitslosigkeit ist in die Höhe geschossen, gerade jetzt beginnt die Phase, in der Karstadt, Lufthansa und viele andere Konzerne Massenentlassungen androhen – obwohl ihre Besitzer*innen Milliarden auf dem Konto haben. Die Propaganda, dass wir mit der umweltschädlichen Produktion zumindest etwas soziale Sicherheit erkaufen, erweist sich als substanzlos. Umso wichtiger ist es für die Klimabewegung, deutlich zu machen, dass eine umweltgerecht geplante Produktionsweise auch die Sicherheit sinnvoller Arbeit in der Zukunft garantieren kann, wenn wir nicht die Profite der Superreichen mit erwirtschaften müssen – im Gegensatz zum Kapitalismus.
Wir können umstellen, wenn nötig
Weiterhin wurde behauptet, dass der Mensch auf keine seiner liebgewonnen Gewohnheiten verzichten mag. Die Gesellschaft sei so strukturiert, wie sie ist, weil das die natürlichen Bedürfnisse widerspiegele. Wer meine, das sei veränderbar, sei ein*e Träumer*in. Doch als wir durch einen Virus gezwungen waren, Gewohnheiten umzustellen, haben wir das in viel radikalerer Weise gemacht als wir uns selbst jemals zugetraut hätten.
Wir haben, vom Staat dabei kaum unterstützt, andere Lösungen für unseren sozialen Alltag finden müssen, weniger weite Wege unternommen, Arbeit umgestellt, Besorgungen und Treffen stärker im eigenen Stadtteil erledigt, Alternativen für Kinderbetreuung und Pflege organisieren müssen, Masken getragen, Abstand gehalten, sind mehr Fahrrad gefahren und haben Alternativen zum Kino- oder Clubbesuch finden müssen. Klar, vieles davon ist nicht langfristig wünschenswert. Aber wir lernen mindestens zwei Sachen daraus: Wenn die Klimakatastrophe als so akut und gefährlich verstanden wird wie Covid-19, dann sind wir bereit, vieles zu ändern. Und: Wenn wir gezwungen sind, unser Leben und Wirtschaften teilweise etwas dezentraler zu organisieren, ist plötzlich unser Ideenreichtum gefragt statt wie sonst nur unser passiver Konsum. Und so kommt es zu Nachbarschaftshilfe, Balkonsport, Hinterhofkonzerten und den vielen tausend kleinen sozialen und Hilfsinitiativen, die wir in den letzten Wochen erlebt haben.
International oder gar nicht
Das Virus hat auch klargemacht: Probleme, die die ganze Menschheit betreffen, können auch nur durch gemeinsame Anstrengungen überwunden werden. So wenig wie das Virus an Grenzen Halt macht, scheren sich CO2, Flutwellen, Dürre oder radioaktive Strahlung um den staatlichen Unterschied zwischen Basel und Freiburg oder Flensburg und Kolding. Erkenntnisse zur Produktionsumstellung, zur Energieeinsparung, zur Produktentwicklung mit besserer Umweltbilanz müssen weltweit zwischen Betrieben ausgetauscht und in gemeinsamer Zusammenarbeit verbessert werden – statt Wettläufe um das schnellste Patent zu haben, bei denen die Zwischenergebnisse von Forschungen geheimgehalten werden, um als erstes mit einem Produkt Profit zu machen.
Regeln zum Verbot von Umweltvernichtung müssen international erkämpft und durchgesetzt werden. Es nützt nichts, wenn Belgien Kohlekraftwerke schließt und in Deutschland Datteln 4 neu ans Netz geht. Mit den jetzigen internationalen Institutionen wie IWF, Weltbank, EU oder NATO (oder auch dem G20-Treffen) ist das nicht zu machen, die haben gezeigt, dass sie im Zweifelsfall im Interesse der Konzernprofite handeln oder nicht handeln.
Nicht nur für das Klima
Nicht zuletzt wird immer klarer, dass in diesem System viele akute Gefahren für unser Leben und unsere Zukunft existieren, nicht nur die drohende Klimakatastrophe. Denn auch ohne Dürren verhungern Menschen auf der Welt – obwohl mehr als genug Nahrung für alle produziert wird. Polizeigewalt kennen auch Umweltaktivist*innen, die gegen Atomkraftwerke oder Kohlegruben protestieren. Für Schwarze Menschen ist sie eine alltägliche Erfahrung, nicht nur in den USA. Kriege sind in allererster Linie eine Tragödie für die Menschen, die gezwungen werden, in ihnen um ihr Überleben zu kämpfen – aber darüber hinaus ist die Waffenindustrie auch eine der größten Umweltvernichter der Welt. Ob Rassismus, Sexismus oder Homophobie, ob Krieg, Umweltvernichtung oder Sozialabbau – alle diese Probleme haben nicht nur eine gemeinsame Grundlage im Kapitalismus sondern auch dieselben Profiteure: Großkonzerne und die Kapitalisten, denen sie gehören.
Ein guter und richtiger Schritt also, dass Aktivist*innen von Fridays for Future in den letzten Wochen auch an vielen Protesten gegen Rassismus teilgenommen haben. Denn ein Spruch ist so alt wie er wahr ist: Unsere stärkste Waffe ist und bleibt die Solidarität. Die kommende Bewegung wird also keine verspätete zweite Staffel der Klimaproteste von 2019 sein – sie wird vielmehr ein Crossover vieler Proteste der letzten Monate sein, getragen von einer Generation, die die Schnauze voll hat von Umweltzerstörung, Rassismus, Armut, Krieg und allen anderen Schweinereien, die im Kapitalismus alltäglich sind.