Polizeigewalt, das gibt es in Deutschland doch gar nicht! Ganz zu schweigen von strukturellem Rassismus in den Reihen. So lautete zumindest die Reaktion der etablierten Politiker*innen. Laut einer SPIEGEL Umfrage sieht eine knappe Mehrheit der Befragten kein Rassismusproblem bei der Polizei.
von Elisa Mellin, Bremen
Nachdem im Bundestag eine unabhängige Prüfung von Sicherheitskräften und die Aufarbeitung rassistischer Gewalt durch die Polizei vorgeschlagen wurde, reagierte Dietmar Schliff, Bundesvorsitzender der GdP (Gewerkschaft der Polizei), empört: „Wir halten diese Aussage für falsch und unnötig.‘“ Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der LINKEN, meinte, er sehe keine Analogie zu den Zuständen in den USA und die Polizei verdiene nicht weniger, sondern mehr gesellschaftliche Anerkennung.
Die Zahlen statistisch erfasster Todesfälle durch Polizeigewalt in Deutschland sind wesentlich geringer als in den USA. Dort werden jährlich rund 1000 Menschen von der Polizei erschossen, in Deutschland zwischen 9 und 14. Dazu kommen andere Todesarten wie Ersticken oder als Folge von Schlägen. Wie viele Tote es durch rassistische Polizeigewalt in Deutschland gab, ist schwer zu erfassen. Die taz spricht von mindestens 10 Fällen seit 2005.
Oury Jalloh – das war Mord
Die Kampagne „Death in Custody“, die sich mit Todesfällen von Schwarzen Menschen und PoC (People of Color) im Gewahrsam befasst, berichtet von 159 Opfern, die in Deutschland seit 1990 durch polizeiliches Handeln getötet wurden.
Einer der bekanntesten Fälle ist Oury Jalloh, der im Januar 2005 an Händen und Füßen gefesselt in einer Gewahrsamszelle in Dessau, Sachsen-Anhalt verbrannte. Trotz Gutachten, die auf ein Einwirken Dritter und dem Tod vorausgehende Misshandlungen hindeuteten, wurde nur ein Polizeibeamter juristisch belangt. Die Geldstrafe wurde von der GdP übernommen.
Es gibt keine unabhängige Instanz, die Polizeigewalt überprüft. Die Untersuchung von Vorwürfen gegen die Polizei ist immer Sache der Polizei selbst. Oft werden die Ermittlungen gegen die eigenen Kolleg*innen schnell eingestellt, in den seltensten Fällen gibt es Suspendierungen oder gravierende juristische Folgen. Die genannte Todesursache ist niemals „Tod durch gewaltvolles Einwirken der Einsatzkräfte“ und nie „Mord“, sondern „Herzstillstand“, „Strangulation“, „Selbstentzündung“.
Das Handeln der Polizei ist immer „Notwehr“ – selbst wenn 12 Schüsse gegen einen 19-jährigen Jungen abgefeuert werden, weil er Steine gegen die Fenster einer Bäckerei geworfen hat, wie es bei Matiullah Jabarkhil 2018 in Fulda der Fall war. Hier wurden die Ermittlungen eingestellt, obwohl es zu dem Vorgang der Tat keine weiteren Zeugenaussagen als die der Polizei selbst gab.
Wenn nicht einmal die Härtefälle zur Rechenschaft gezogen werden, wie sieht es dann erst bei Vorwürfen von Racial Profiling, Alltagsrassismus und nicht zum Tode führender rassistischer Polizeigewalt aus? Wie groß das Problem ist, zeigte sich den Demos unter dem Motto Black Lives Matter, zu denen Zehntausend junger Migrant*innen und Schwarzer Menschen kamen und aufgewühlt und ermutigt von der Gegenwehr in den USA von ihren eigenen Erfahrungen mit der alltäglichen Schikanen durch die Polizei berichteten. Sie werden angehalten, durchsucht, verhört, geduzt, beleidigt während dies Anderen nicht passiert.
Nicht aus dem Nichts
Auch die Krawalle in der Stuttgarter Innenstadt Ende Juni sind nicht aus dem Nichts heraus entstanden. Die wütenden Angriffe auf Polizeifahrzeuge weisen darauf hin, dass die vorausgehende Polizeikontrolle wegen eines Drogendelikts wahrscheinlich nicht aus einer sachlichen Nachfrage bestand, sondern aus „robustem Vorgehen“. Dazu kam der angestaute Frust. In Stuttgart durfte die Polizei von ihrer eigenen Medizin probieren.
Die Polizei ist keine neutrale Instanz, die die Menschheit vor Unrecht schützt. Die Polizei schützt vornehmlich die Interessen einer kapitalistischen Gesellschaft, die Unterdrückung, Profit und Ungleichheit basiert. Wer im Rechtssystem als „gut“ oder „böse“ gilt, hat sich, wie die Geschichte zeigt, seit jeher durch die Zuteilung der herrschenden Klassen entschieden.