Regierungsdebatte in der LINKEN
Anfang August veröffentlichte das „erweiterte Reformerlager“ der LINKEN ein Strategiepapier, in dem verlangt wird, dass die Partei sich auf eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen auf Bundesebene festlegt. Der am 30.10. beginnende Parteitag soll einen entsprechenden Beschluss fassen, um dann mit den Koalitionspartnern in spe Schnittmengen auszuloten. Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch will die SPD durch die Koalition „aus der Gefangenschaft der Union befreien“, damit sie wieder ihre eigene Politik machen kann. Als sie das 1998-2005 in der rot-grünen Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder tat, kamen mehr Kriegseinsätze und Sozialabbau heraus als in 15 Jahren Merkel.
Von Thies Wilkening, Hamburg
Bartsch und seine „Reformer*innen“ wollen Regieren ohne Bedingungen, ungeachtet der Tatsachen, dass die Grünen-Spitze lieber mit der CDU koalieren will und die SPD sich mit der Nominierung von Olaf Scholz als Kanzlerkandidat inhaltlich auf die Fortsetzung der Politik der letzten Jahre festgelegt hat.
Die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger wollen „neue linke Mehrheiten“ und meinen damit auch nur eine Koalition mit SPD und Grünen. Sie vertreten die Illusion, man könne gleichzeitig regieren und in Bewegungen wirksam sein. Sie wollen Bedingungen, „rote Linien“, festschreiben, doch edle Vorhaben in Koalitionsverträgen haben die SPD noch nie davon abgehalten, in der praktischen Regierungspolitik die Kapitalinteressen durchzusetzen.
Scholz hat sich zwar gegen eine weitere Große Koalition ausgesprochen – andernfalls würde er den Begriff „Kanzlerkandidat“ ad absurdum führen. In seiner Karriere in Hamburg hat Scholz gezeigt, dass er auch ohne die CDU neoliberale Politik mit konservativen Einschlägen machen kann. 2017 holte er als Bürgermeister den G20-Gipfel nach Hamburg, versetzte große Teile der Stadt über Wochen in eine Art Belagerungszustand und ließ Proteste niederknüppeln, um hinterher zu erklären, Polizeigewalt habe es nicht gegeben.
Sackgasse
Mit der Nominierung von Scholz hat die SPD ein Signal gesetzt – sie sieht sich als Partei der Mitte. Sie sieht den Rückzug von Angela Merkel als Gelegenheit, Merkels Politik unter eigener Führung fortzusetzen. Der amtierende Vizekanzler Scholz soll die Kontinuität besser verkörpern als potentielle Kanzlerkandidaten der Union wie Markus Söder oder Friedrich Merz.
Dennoch besteht die Gefahr, dass DIE LINKE einen rot-grün-roten Lagerwahlkampf führt und sich mit Forderungen zurückhält, um die „mittigen“ Partner nicht zu verschrecken. Sollte es nach der Wahl trotz aller heutigen Prognosen eine Mehrheit für das angestrebte Bündnis geben, würde sie mit 7-8 % der Stimmen als Anhängsel in eine Regierung gehen, in der sie gegenüber den viel stärkeren SPD und Grünen kaum etwas durchsetzen könnte.
Mitregieren und oppositionelle Bewegungspolitik sind nicht miteinander zu vereinbaren. Die mitregierende LINKE setzt zwar in Berlin den Mietendeckel um, aber dies ist nur wegen der großen Bewegung der Mieter*innen möglich. Gleichzeitig ist sie durch die Regierung beteiligt an den Plänen zur Privatisierung der S-Bahn und Häuserräumungen im Auftrag von Immobilienkonzernen. In Bremen wurden mit linker Beteiligung die Preise im ÖPVN erhöht, obwohl die Partei den Nulltarif gefordert hatte. Den Bremer Koalitionsfrieden wahrend, verzichtete die LINKE Gesundheitssenatorin auf die sofortige Schließung einer Geflüchteten-Massenunterkunft nach einem Corona-Ausbruch.
Regieren oder bewegen
In der sich entwickelnden Krise werden die Verteilungskämpfe härter. Eine kommende Bundesregierung unter der Führung der einen oder anderen bürgerlichen Partei wird der lohnabhängigen Bevölkerung die Rechnung für die Corona-Hilfspakete präsentieren. Die LINKE muss sich entscheiden: An der Seite von SPD und Grünen für das Kapital die Kastanien aus dem Feuer holen und als Höhepunkt die eine oder andere Schweinerei abmildern oder den Widerstand organisieren. Widerstand wirkt, wenn er groß und radikal genug ist. Veränderung durch Opposition ist möglich.
Angesichts des Klimawandels und der Corona- und Wirtschaftskrise hinterfragen immer mehr Menschen die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. DIE LINKE sollte Antworten liefern und eine sozialistische Alternative aufzeigen.
Thies Wilkening ist Mitglied im Kreisvorstand der LINKE.Stormarn. Die Funktionsangabe nur zur Kenntlichmachung der Person.
Bilder:
Bartsch: DBT/Inga Haar
Habeck: Raimond Spekking (CC BY-SA 4.0)
Scholz: Frank Schwichtenberg (CC BY SA 3.0)
Merkel: Armin Linnartz (CC BY SA 3.0)
Kartenspiel: Enoch Lau (CC BY SA 3.0)