100 Jahre seit den Pogromen von Belfast: Eine Warnung der Geschichte

Im Juli sind 100 Jahre vergangen seit dem Ausbruch der Pogrome in Belfast. Die Stadt erlebte schwere Gewalt. Angefangen in den Werften wurden Arbeiter*innen von ihren Arbeitsplätzen vertrieben, so dass schließlich etwa 10.000 Männer und 1.000 Frauen betroffen waren. Die Gewalt griff auch auf die Slums von Belfast über, wo 22 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden. Es war der Beginn einer Periode, die als die ersten „Troubles“ (Unruhen) bekannt wurde. Zwischen Juni 1920 und Juni 1922 wurden 428 Menschen getötet und Zehntausende aus ihren Häusern vertrieben, ähnlich wie in der Anfangsphase der späteren „Troubles“.

Die Gewalt brach aus, als Colonel Smyth, der Divisionskommissar der Royal Irish Constabulary (RIC), in Cork von der IRA erschossen wurde und man seine sterblichen Überreste in sein Haus in Banbridge zurückbrachte. Sektiererische Banden benutzten dies als Vorwand, um dem Rat Edward Carsons in seiner Rede vom 12. Juli zu folgen und „die Sache selbst in die Hand zu nehmen“, anstatt auf die Britische Regierung zu vertrauen.

Nach der Ermordung stellte die ultra-sektiererische Belfaster Protestant Association (BPA) ihre Särke auf einer Werft zur Schau. Es wurden Revolver präsentiert und die Entscheidung getroffen, die „Sinn Feiners“ (Sinn Fein ist eine irische Partei, die für die Einheit ganz Irlands eintritt, Anmerkung des Übersetzers) zu vertreiben.

 So beschrieb ein vertriebener Arbeiter die Geschehnisse:

„Die Tore wurden mit Schlitten zertrümmert, die Westen und Hemden der Arbeitenden wurden aufgerissen, um zu sehen, ob die Männer katholische Embleme trugen, und dann Gnade dem Mann, der es tat. Einer wurde für schuldig befunden, in den Pier geworfen, musste den Musgrave-Kanal durchschwimmen, und nachdem er mit Nieten beworfen worden war, musste er zwei oder drei Meilen schwimmen, um in Strömen seines Blut herauszuklettern.“

„Rotten Prods“

Es waren nicht nur Katholik*innen, die vertrieben wurden, sondern auch 3.000 Protestant*innen, die gemeinhin als die „rotten prods“ (ein Wortspiel, dass man frei als „verdorbene Protestanten“ übersetzen kann) bezeichnet wurden. Viele der Zielpersonen – sowohl Katholik*innen als auch Protestant*innen – waren Gewerkschaftsaktivist*innen, einschließlich der Führer des Ingenieurstreiks im Vorjahr. Es ist wichtig diese Tatsache hervorzuheben, da sie ein wichtiger Faktor ist, der in populären Berichten über das Pogrom oft unterschlagen wird. In der Tat hat Carson in seiner Rede besonders „Männer ins Visier genommen, die sich als Freunde der Arbeiterschaft ausgeben“, deren eigentliches Ziel es war, „unser eigenes Volk in die Irre zu führen und Uneinigkeit zu stiften“.

Charles McKay, der katholische Vorsitzende des Streikkomitees der Ingenieure, wurde vertrieben, ebenso wie Sam Kyle, James Baird und John Hanna, Protestanten, die den Streik angeführt hatten.

James Baird (Mitglied der Independent Labour Party – ILP, Anmerkung des Übersetzers) erklärte später vor dem Gewerkschaftskongress:

„Jeder Mann, der in der Arbeiterbewegung allgemein bekannt war, der ein bekannter ILPer war, wurde von seiner Arbeit vertrieben, genauso wie die rebellischen Sinn Feiners. Um ihre Liebe zur ILP zu zeigen, brannten sie unsere Gewerkschaftshalle in Nord-Belfast nieder. Der Vorsitzende unseres Hauptbüros musste um sein Leben zu schützen nach Glasgow fliehen. Der Sekretär musste den ganzen Weg nach London fliehen. Der Bezirksvorsitzende der AEU (Ingenieursgewerkschaft), ein sehr gemäßigter und ruhiger Labour-Mann, wurde nicht nur einmal, sondern zwei- oder dreimal verprügelt, weil er beharrlich an seine Arbeit zurückkehrte.“

John Hanna war zuvor ein gläubiger Meister des Oranier-Orden (eine Gruppe radikaler Protestanten in Nordirland, Anmerkung des Übersetzers) gewesen, dann aber ein Helfer des Gewerkschafts- und Sozialistenführers Jim Larkin. Er führte aus:

„Während des Streiks für eine 44-Stunden-Woche sah die Kapitalistenklasse, dass die Arbeiter*innen in Belfast eins waren. Diese Einheit musste gebrochen werden. Das wurde durch Appelle an die niedrigsten Beweggründe und intensive Bigotterie erreicht.“ Sam Kyle bemerkte auch, dass der Streik „den Tories den größten Schrecken einjagte, den sie je hatten und wahrscheinlich zu den Ingenieurspogromen von 1920 führte.“

Der Ingenieurstreik im Vorjahr war ein vereinter Kampf katholischer und protestantischer Arbeiter*innen für eine 44-Stunden-Woche gewesen. Dieser Kampf – verbunden mit massiven Kämpfen in der britischen Industrie – zeigte die enorme Macht der Arbeiterklasse in Belfast, die effektiv die Kontrolle über die Stadt übernahm. Die Furcht der herrschenden Klasse war, dass die Bewegung an den revolutionären Umsturz im Süden Irlands – symbolisiert durch die Errichtung des Limerick-Sowjets (bezeichnet 12 Tage im April 1919, in denen die Stadt Limerick unter Selbstverwaltung stand, Anm. d. Übersetzers) – anknüpfen könnte und nicht nur die britische imperialistische Herrschaft, sondern den Kapitalismus selbst bedrohen würde. Das Potenzial für eine solche Bewegung zeigte sich bei den Kommunalwahlen Anfang 1920, bei denen Labour-Kandidat*innen in allen Teilen der Stadt Sitze gewannen.

Für die Kapitalistenklasse war es daher notwendig alle erdenklichen Methoden einzusetzen um die Arbeiter*innen zu spalten und die Spaltung an die Arbeitsplätze zu bringen. Die Arbeitgeber gestatteten im Vorfeld extremen sektiererischen Gruppen wie der BPA Sitzungen zu veranstalten und Hetzreden zu halten, wobei zu Angriffen und Vertreibungen ermutigt wurde. Tatsächlich erklärte die BPA auf der Sitzung, die die Pogrome einleitete, dass „die Arbeitnehmer*innen den Arbeitgebern zur Seite stehen sollten.“ Entscheidend war das viele der an den Pogromen Beteiligten demobilisierte Soldaten waren, die den Kampf des Ingenieurstreiks nicht miterlebt hatten. Bei ihrer Rückkehr in ihre Heimat mussten sie feststellen, dass es zu wenig Arbeitsplätze gab.

Die Pogrome dienten dazu, die katholische Minderheit zu terrorisieren und den Kern der kämpferischen Gewerkschafter*innen aus den Betrieben zu vertreiben. Später rühmten sich die Führer der Unionisten (Unionisten treten für die Einheit von Nordirland und dem Vereinigten Königreich ein, Anmerkung des Übersetzers) – darunter sowohl Edward Carson als auch James Craig – damit, die Aktionen der Pogromisten zu unterstützen. Die Arbeitgeber erlaubten sektiererischen Organisationen weiterhin Treffen am Arbeitsplatz und dankten „loyalen“ Arbeitnehmern für ihre Bemühungen, indem sie sie als Ersatz für die Vertriebenen einstellten – allerdings mit weniger Gehalt. Ein Gewerkschaftsbericht aus dem darauffolgenden Jahr zeigt zum Beispiel, dass Holzarbeiter letztlich 12 Schilling und 6 Pence pro Woche und Tischler 12 Schilling pro Woche verloren haben. Im Norden wurden viele der beteiligten religiösen Banden später in die Polizeikräfte und Reserve des neuen Staates eingegliedert, darunter die berüchtigten B-Specials (eine paramilitärische Hilfstruppe, die vor allem aus Unionisten bestand, Anmerkung des Übersetzers).

 Für die herrschende Klasse Britanniens war dies Teil ihrer Strategie des „Teile und Herrsche“, die sich in ihrem Vorstoß zur Aufteilung mit dem Government of Ireland Act 1920 widerspiegelte. Wie Peter Hadden erläuterte, „bestand die vorrangige Absicht der Teilung nicht nur darin, eine geographische Linie über die Landkarte Irlands zu ziehen, sondern eine tiefe Linie der Bigotterie durch den lebendigen Körper der Arbeiterbewegung zu ziehen“, mit der Schaffung von zwei reaktionären, sektiererischen Staaten.

Unterstützt wurden sie in diesem Prozess durch die Aktionen der Regierung des Südens, die zum Boykott von Waren aus Belfast aufrief, und durch die IRA, die versuchte, eine wirkungslose Militärkampagne im Norden zu führen. In den Augen vieler protestantischer Arbeiter*innen bestätigten diese Aktionen ihre Befürchtungen darüber, was ein unabhängiges kapitalistisches Irland für sie bedeuten würde: Dadurch verstärkten sie die Spaltung und festigten die Teilung.

Später verfolgte die Regierung des Freistaates einen ganz anderen Ansatz und versuchte in Wirklichkeit das Ausmaß der Pogrome in Belfast zu vertuschen, aus Angst im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg eine vertragsfeindliche Stimmung zu entfachen. Dies spiegelt sich in der Tatsache wider, dass eine von einem Belfaster Priester unter dem Pseudonym G.B. Kenna verfasste Broschüre mit dem Titel „Facts and Figures of the Belfast Pogrom 1920-1922“ (Fakten und Zahlen des Belfaster Pogroms 1920-1922) von der Regierung des Freistaates Belfast zu Tausenden vernichtet wurde und nur 18 Exemplare in Umlauf gebracht wurden konnten.

Lehren für heute

Die Tragödie besteht natürlich darin, dass dies verhinderbar gewesen wäre. Die herrschende Klasse hatte Recht damit nervös zu sein. Der Kampf hatte eine wichtige Grundlage für die Einheit der protestantischen und katholischen Arbeiter im Norden und Süden geschaffen. Wäre eine politische Organisation aufgebaut worden, die diese Kämpfe mit einer klaren Vision eines sozialistischen Irlands verbunden hätte – frei von Armut, Unterdrückung und Zwang – dann hätte die Geschichte einen ganz anderen Verlauf nehmen können. Aufgrund des Vakuums, das durch das Fehlen einer solchen Kraft entstanden ist, konnten sich die sektiererischen Kräfte jedoch neu formieren und in die Offensive gehen, insbesondere vor dem Hintergrund eines neuen wirtschaftlichen Einbruchs und einem Anstieg der Arbeitslosenquote.

Das Fehlen einer entschlossenen Führung in der Arbeiterbewegung zeigte sich auch in der Unfähigkeit, gegen die Pogrome vorzugehen oder auf sie zu reagieren. Die einzige Ausnahme bildete die Amalgamated Society of Carpenters and Joiners (Gewerkschaft für Schreiner und Tischler, Anmerkung des Übersetzers), die 600 ihrer Mitglieder in einen Streik führte, um die Wiedereinstellung der vertriebenen Arbeiter zu fordern. Das Versäumnis der Gewerkschaften das Sektierertum in der vorangegangenen Zeit konsequent zu bekämpfen, ließ sie in diesem entscheidenden Moment gelähmt zurück.

Die Pogrome von 1920 waren bei weitem nicht der einzige Fall, in dem sich sektiererische Kräfte nach den Höhepunkten des Klassenkampfes erneut durchsetzten. Auf den Streik der Hafenarbeiter und Fuhrleute von 1907 folgte fünf Jahre später die Vertreibung aus den Werften als Reaktion auf den Angriff von Mitgliedern des Ancient Order of Hibernians (Organisation irischer Katholiken, Anmerkung des Übersetzers) auf eine protestantische Schule. Auf den heroischen Hilfsstreik im Freien 1932, der katholische und protestantische Arbeitslose vereinte, folgten 1935 Pogrome. 1968 – ein Höhepunkt des Klassenkampfes und der Bürgerrechtsbewegung – folgte schnell der Ausbruch des jahrzehntelangen Konflikts, der als „die Unruhen“ bekannt wurde. Historiker haben die Belfaster Pogrome auch mit ähnlichen Ereignissen verglichen, die sich im gleichen Zeitraum ereigneten und die von den Kräften der Reaktion nicht nur dazu benutzt wurden, die Arbeiter zu spalten, sondern vor allem auch um Kämpfer aus der Arbeiterschaft zu entfernen.

Dies ist natürlich kein eisernes Gesetz, sondern spiegelt die Tatsache wider, dass die Arbeiter zwar instinktiv die Spaltung vermeiden werden, während sie gemeinsam kämpfen, dass aber das Sektierertum wieder in den Vordergrund rücken wird, wenn diese Einheit nicht bewusst gefestigt und politisch aufgebaut wird. Mit der richtigen Führung und einem geschickten, aber kämpferischen Ansatz ist es der Arbeiterbewegung auch möglich, Maßnahmen zu ergreifen, um spaltende Kräfte am Arbeitsplatz zu durchbrechen.

Zum Beispiel ist die Werft von Belfast offensichtlich wegen dieser historischen Ereignisse und anderer sektiererischer Vorfälle in Erinnerung. Es gibt jedoch auch eine Geschichte des gemeinsamen Kampfes und der Organisierung gegen das Sektierertum. Zu Beginn der Unruhen im Jahre 1969 beispielsweise organisierten die Gewerkschaftsvertreter eine Massenversammlung der Belegschaft, weil katholische Arbeiter aus Angst vor sektiererischen Angriffen nicht zur Arbeit gekommen waren, vor allem wegen der Erinnerung an die Ereignisse der letzten 50 Jahre. Bei dem Treffen appellierte der leitende Gewerkschaftsvertreter Sandy Scott: „Wenn wir als Arbeiter handeln, unabhängig von unserer Religion, können wir auf eine Ausweitung der Arbeitsmöglichkeiten und ein besseres Leben hoffen“. Eine Resolution gegen sektiererische Gewalt wurde einstimmig angenommen. Die Vertrauensleute besuchten daraufhin die Häuser der katholischen Werftarbeiter und riefen sie erfolgreich zur Rückkehr auf. Zur gleichen Zeit konnte Ian Paisley nur 180 von 8.000 mobilisieren, um seine Kundgebungen zu unterstützen. Es gibt unzählige unerzählte Geschichten wie diese, die sich während des Beginns der Unruhen und während des gesamten Verlaufs ereignet haben.

Organisieren gegen die Bosse und Spaltung

Die Hauptnutznießer der Pogrome waren die Bosse – nicht nur, weil sie die Löhne senken konnten, sondern weil die Pogrome dazu beitrugen, das Potenzial für einen gemeinsamen Kampf der Arbeiter – Protestanten und Katholiken, aus dem Norden und dem Süden – zu beschneiden. Dies ist eines von vielen Beispielen, die die Notwendigkeit unterstreichen, dass die Arbeiterbewegung das Sektierertum in all seinen Formen bekämpfen muss.

Auch heute noch ist Spaltung durch Sektierer eine Tatsache. Die rechtsgerichteten Kräfte des Unionismus und Nationalismus sind nach wie vor vorherrschend, die Wohngebiete in den Gemeinden der Arbeiterklasse sind nach wie vor weitgehend getrennt, und die große Mehrheit der Kinder besucht getrennte Schulen. Momentan besteht die Gefahr nicht einfach in einer Fortsetzung des derzeitigen unvollkommenen Friedens, sondern in einem möglichen Wiederaufflammen des spalterischen Konflikts. Aber wir sehen auch das Potenzial für den Kampf zur Überwindung dieser Spaltung – in den Streiks im Gesundheitswesen, an denen Zehntausende von Arbeitern beteiligt waren, in den Kämpfen zur Rettung von Arbeitsplätzen, in den Bewegungen junger Menschen gegen Rassismus, Sexismus und Klimawandel. Wir müssen eine politische Kraft aufbauen, die diese Kämpfe miteinander verbindet und den Arbeitern und Jugendlichen eine Alternative zu Spaltung, Armut, Unterdrückung und Umweltzerstörung bietet. Letztendlich kann nur der Kampf für eine sozialistische Zukunft das Sektierertum und das kapitalistische System, in dem es gedeiht, in die Geschichtsbücher verbannen.

Bild: Wikimedia Commons, CC BY SA 3.0