Über 40.000 Geflüchtete sind auf den griechischen Inseln vor der türkischen Küste gefangen und leben unter entsetzlichen Bedingungen in Geflüchtetenlagern, die für 1/5 der derzeitigen Bevölkerung ausgelegt waren. Während des Winters mussten Zehntausende Geflüchtete mit der bitteren Kälte, dem Schnee auf ihren Zelten und den heftigen Regenfällen fertig werden, die alles durchweichten und sie tagelang im Schlamm und Schmutz leben ließen. Die von der Regierung und den NGOs bereitgestellten Nahrungsmittel reichen bei weitem nicht aus, und Tausende müssen sich selbst versorgen. Auch der Zugang zu Ärzten ist äußerst spärlich.
Die Covid-19-Pandemie hat die Lage noch verschlimmert, denn die hygienischen Bedingungen in den Lagern sind entsetzlich. Zum Beispiel gibt es im Lager Moria auf der Insel Lesbos nur einen Wasserhahn pro 1.300 Geflüchteten.
Moria ist das bevölkerungsreichste Geflüchtetenlager. Obwohl seine offizielle Kapazität bei 3.000 liegt, leben 12.500 Geflüchtete in und um Moria.
Ein großer Teil des Lagers ist am Dienstag, dem 8. September, niedergebrannt. Neue Brände brachen am Mittwoch und Donnerstag aus. Dies ist nicht das erste Mal, dass ein Geflüchtetenlager niedergebrannt ist. Im April wurden auch große Teile der Lager auf den Inseln Chios und Samos niedergebrannt. Darüber hinaus wurden mindestens zwei Lager auf dem Festland, in die die Geflüchteten umgesiedelt werden sollten, von rechtsextremen Gruppen niedergebrannt, die die Geflüchteten von „ihren“ Gemeinden fernhalten wollten. Der folgende Artikel wurde nach dem ersten Brand im Lager Moria am Dienstagnachmittag auf der „Xekinima“-Website veröffentlicht.
Von Giorgos Ligouriotis
Das Feuer, das in der Nacht vom Dienstag, dem 8. September, im Zentrum für die Registrierung und Aufnahme von Geflüchteten und Immigrant*innen (KYT) in Moria, Lesbos, ausbrach, machte einmal mehr die unmenschlichen Bedingungen deutlich, denen die Geflüchteten in den Lagern ausgesetzt sind, zeigt aber auch die verfehlte Regierungspolitik in Bezug auf die Steuerung des Geflüchtetenstroms.
Die ersten Bilder vom Brand im Hauptquartier in Moria rufen automatisch Gefühle der Trauer und der Wut hervor. Die Folge des Feuers ist, dass 12.500 Geflüchtete ohne Schutz zurückbleiben, wobei die meisten von ihnen zunächst entweder in Richtung der nächstgelegenen Wohngebiete oder auf den Berg zogen, um sich vor den Flammen zu retten. Gleichzeitig errichteten die Polizeikräfte Barrikaden, um die Geflüchteten daran zu hindern, sich irgendeinem Wohngebiet zu nähern.
Die Regierung gibt den Geflüchteten direkt die Schuld und spricht von Brandstiftung, verbindet sie mit der Ankündigung von 35 Coronavirus-Fällen in Moria und spricht von Unruhen, die entstanden, weil einige der Patient*innen sich weigerten, zusammen mit ihren Familien in Lagerhäusern außerhalb des KYT unter Quarantäne gestellt zu werden. Es ist sicher nicht das erste Mal, dass Coronavirus-Fälle in Moria entdeckt wurden, und auch nicht das erste Mal, dass Geflüchtete in die Isolation gezwungen wurden.
Aber selbst wenn das oben beschriebene Szenario der Realität entspräche, müssen wir berücksichtigen, dass die Coronavirus-Pandemie überall auf der Welt von erheblicher Angst, ja sogar Panik bei einem großen Teil der Patient*innen und ihren Familien begleitet wird. Man kann sich also vorstellen, was es bedeutet, in Moria krank zu werden – unter unmenschlichen Lebensbedingungen, die die Risiken sicherlich vervielfachen.
Die Haftbedingungen in den „Aufnahmezentren“ haben diese zu Höllenlöchern gemacht. Wenn man Tausende von Menschen in Zelten und Behelfsunterständen einpfercht, ohne Aussicht auf eine Verbesserung der Situation, schafft man in Wirklichkeit eine explosive Mischung, die früher oder später entweder zu einem schweren Unfall oder zu einem Ausbruch von Wut und Entrüstung führen wird.
Gleichzeitig wird das Szenario der Brandstiftung durch rechtsextreme Gruppen nicht einmal in Erwägung gezogen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Rechtsextreme und Neonazis versuchen, Geflüchtetenlager in Brand zu stecken oder anzugreifen und Verwüstungen anzurichten.
Ein jüngeres Beispiel war die Brandstiftung, die im vergangenen März zur Zerstörung eines Solidaritäts-Lagerhauses in Chios führte. Und im November 2016 griffen Neonazi-Gruppen das Geflüchtetenlager in Souda auf Chios an und zerstörten und verbrannten etwa 100 Zelte, viele Geflüchtete mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Bislang hat sich kein Szenario für die Brandursache bestätigt. Aber egal, was wirklich geschah, eines ist sicher: Wenn – wie in Moria der Fall – 12.500 Geflüchtete in Einrichtungen mit einer Kapazität von 3.000 Personen ohne sanitäre Einrichtungen inmitten einer Pandemie zusammengepfercht sind, ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine Katastrope passiert.
Nach Angaben des Regierungssprechers Stelios Petsas wurde auf Lesbos der Ausnahmezustand erklärt und die Regierung gab bekannt, dass bis Mittwochabend (9. September) die Frage der Unterbringung der 12.500 Geflüchteten, die in der KYT leben, gelöst sein würde.
Dies kommt von derselben Regierung, die seit Beginn der Pandemie keine wesentlichen Maßnahmen ergriffen hat, um weder die Ausbreitung des Coronavirus in den Geflüchtetenlagern zu verhindern noch die unmenschlichen Lebensbedingungen der Geflüchteten zu verbessern. Es handelt sich um eine Ausweitung der gescheiterten Politik der Regierung auf das gesamte Management der Geflüchtetenfrage, die letztlich nur zu einer Verstärkung rassistischer und fremdenfeindlicher Rhetorik führt.
Wir können kein Vertrauen in die Regierung haben, dass sie die obdachlosen Geflüchteten an geeigneten Orten unterbringt (die Planungen für Zelte und Boote sind katastrophal unzulänglich, was dazu führt, dass auf Feldern und Straßen geschlafen wird). Und auch nicht darin, unter welchen Bedingungen die Geflüchteten in naher Zukunft leben werden.
Auch im Nachhinein, auch unter diesen Bedingungen, müssen wir – die Arbeiter*innen, die Jugend, die Bewegungen, die Kräfte der Linken – fordern:
- Die Umsiedlung der Geflüchteten in Hotels und touristische Einrichtungen, die wegen der Pandemie geschlossen blieben, aber auch in öffentliche Gebäude, um die Bedingungen ständiger enger Kontakte zu vermeiden.
- Eine geplant durchgeführte, proportionale Verteilung der Geflüchteten auf alle Präfekturen des Landes, um die Inseln zu entlasten, um die öffentliche Gesundheit sowohl der Geflüchteten als auch der Einheimischen zu schützen.
- Die sofortige Prüfung von Asylanträgen und die Bereitstellung von Asyl- und Reisedokumenten für die Geflüchteten, damit sie ihre Reise in andere EU-Länder oder wohin auch immer fortsetzen können.
- Fortsetzung des Kampfes für eine angemessene Aufnahme-, Siedlungs- und Bildungspolitik für alle Geflüchteten, die vor Krieg und Katastrophen fliehen, die in und durch alle EU-Länder umgesetzt werden soll. Kämpfen wir für den Sturz der Politik der Festung Europa, die von allen EU-Regierungen unter dem Druck der Rechtsextremen und Rassist*innen umgesetzt wird.
Foto: Taro Tatura