Die Grünen gewinnen in NRW sowohl Stimmen von CDU, SPD und FDP. Ihre Etablierung als bürgerliche Partei schreitet voran. Gleichzeitig profitieren sie davon, dass die “Generation Klima” wählen durfte. Je jünger desto grüner, die Entwicklung ist eindeutig. Insofern basiert der grüne Wahlsieg auch auf einer Massenbewegung und drückt auf eine verzerrte Weise eine Entwicklung nach links aus.
Von Claus Ludwig, Köln
In Köln, Bonn und Münster haben neben den Grünen weitere Gruppen aus dem linksliberal-ökologischen Spektrum wie Volt, Die Partei oder örtliche Listen bis zu 13% der abgegebenen Stimmen gewonnen. In Köln kommen die drei alten Parteien (SPD, CDU, FDP) laut einer Nachwahlumfrage des WDR bei den 16-24jährigen auf 26%, die LINKE auf 8%, linksliberal-ökologische Gruppen auf über 60% (davon 41% Grüne). Die AfD spielt mit 3% keine Rolle.
Landesweit waren diese Wahlen eine Schlappe für die AfD. Diese wurde in Teilen des Bundeslandes auf das Stimmen-Niveau zurückgeworfen, welche rechtsextreme und rassistische Parteien seit fast 20 Jahren abrufen können. In Köln schnitt die AfD schlechter ab als PK/REP/NPD in 2004 und 2009 und PK/AfD in 2014). Allerdings ist das nur eine Momentaufnahme. In armen Randgebieten von Köln und in einigen Städten hat die AfD deutlich besser abgeschnitten. In Gelsenkirchen, eine der ärmsten Städte Deutschlands, erzielte sie 12,9%. Dies ist eine Warnung, dass es den Rechten weiter gelingen kann, an der Frustration anzuknüpfen und diese rassistisch aufzuladen.
Krise der LINKEN
Laut Umfragen waren Klima und Verkehr die wichtigsten Themen. Die LINKE.NRW konnte nicht davon profitieren, obwohl sie ein klareres ökologisches Programm als die Grünen hat. Sie erreichte 3,8%, ein Verlust von 0,8 Prozentpunkten im Vergleich zu 2014. In Köln, Bonn, Wuppertal und Bielefeld erlitt sie geringere Verluste und konnte die Position halten.
Die äußeren Bedingungen waren nicht günstig für die LINKE. Die Corona-Krise führte zu einem Bonus für viele Bürgermeister*innen. Die Autorität der Grünen als die historische Partei der Umweltbewegung ist noch nicht nachhaltig erschüttert. Diese Faktoren erklären durchaus, dass die Partei keinen großen Schwung nicht gewann, aber nicht, warum sie weiter verlor.
Eindeutig hausgemacht ist das Bild, was die LINKE abgibt. In der Corona-Krise ist die Partei staatstragend abgetaucht. In den Medien ist vor allem der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch präsent, ein Bürokrat ohne Charisma. Er forderte inmitten der Proteste von Black Lives Matter, während derer Beispiele für rassistische Polizeigewalt auch in Deutschland bekannt wurden, “mehr Anerkennung” für die Polizei. Äußerungen der Parteivorsitzenden Katja Kipping und aus dem Off von Gregor Gysi, man wolle auf jeden Fall regieren, degradieren die Partei zum Juniorpartner einer ohnehin als unrealistisch geltenden SPD-Grünen-Regierung und verwischen das Bild einer klaren sozialen Opposition.
Ergänzt wird dieses blasse Bild einer LINKEN durch zwar auffällige, aber schädliche Aktionen einzelner LINKE-Politiker*innen. So äußerte der Abgeordnete Andrej Hunko Verständnis für die reaktionären “Corona-Proteste” in Berlin. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sevim Dagdelen ließ sich medial als Putin-Anhänger*innen vorführen. Letzteres ist ihrem ungeschickten Auftreten zuzuschreiben, hat aber eine politische Grundlage in ihrer Haltung zu internationalen Konflikten, die auf der Auffassung beruht, der Feind meines Feindes müsse mein Freund sein. Es ist völlig richtig, auf die Heuchelei des Westens hinzuweisen und zu Assange nicht zu schweigen, wenn man über Nawalny redet. Aber das geht nur, wenn man unmissverständlich deutlich macht, dass man der russischen Regierung Morde zutraut, dem Putin-Regime keinen Millimeter Unterstützung gibt und für eine sozialistische Opposition in Russland und Belarus eintritt.
Die LINKE in NRW ist in die Kommunalwahlen ohne jeden Rückenwind von der Bundesebene gegangen. Das wurde durch örtliche Schwächen ergänzt. In vielen Orten waren die Plakate zu allgemein, manche behaupteten einfach, die Stadt würde sozialer, wenn die LINKE im Rat sitze, anderen zeigten ein “Herz” für ihren Ort.
Die lokale Kampagne in Köln war besser. Die Forderungen wurden konkreter zugespitzt, auf den Bau von kommunalen Wohnraum, Ausbau und Nulltarif im ÖPNV, Klimaneutralität bis 2030 und die Verteidigung der städtischen Kliniken. Allerdings reichte das nicht, um Fortschritte zu machen. Doch Verluste wurden verhindert und die Stellung trotz großer Konkurrenz gehalten. Wahrscheinlich wäre das mit einer schwächeren Kampagne nicht gelungen und die Partei hätte in Köln wie in anderen Städten mehr verloren.
Verankerung in Köln-Kalk
Eines der besten Ergebnisse landesweit erzielte die LINKE im Kölner Wahlkreis 37, der überwiegend aus dem Stadtteil Kalk besteht. Dort kandidierte der Autor dieses Artikels mit einer klassenkämpferischen, sozialistischen Positionierung und erreichte 16% der Stimmen. Der siegreiche Grünen-Kandidat bekam 24%, der SPD-Kandidat 23%. Über 16% gingen an linksliberal-ökologische Kleingruppen. Die Kölner LINKE hatten den Schwerpunkt-Wahlkreis mit zusätzlichen Ressourcen unterstützt, rund 40 Mitglieder und Unterstützer*innen nahmen an der engagierten und intensiven Kampagne teil (Auswertung der Kalker LINKEN). Der scheidende Parteivorsitzende Bernd Riexinger sprach auf einer Kundgebung vor 120 Teilnehmer*innen. Das Ziel, den Wahlkreis direkt für die LINKE zu erobern, war angesichts der “grünen Welle” zu ehrgeizig, aber die Anstrengungen haben sich gelohnt.
Die 1130 Stimmen sind nicht in erster Linie das Ergebnis der kurzen Wahlkampf-Phase, sondern der langfristigen Verankerung der LINKEN im Stadtteil. Die örtliche Gruppe der Partei, die Mitglieder der Bezirksvertretung und der Kandidat selbst sind beständig aktiv im Stadtteil, haben Proteste organisiert, auch außerhalb der Wahlkämpfe Infostände durchgeführt, mit den Aktiven der Initiativen gesprochen und eine konsequente Haltung gegen private Investoren, Wohnungskonzerne und etablierte Parteien eingenommen.
Der Autor hat diese Unterstützung nicht ausschließlich oder überwiegend aufgrund seiner klaren sozialistischen Programmatik bekommen, aber Köln-Kalk zeigt, dass die Haltung, den Kapitalismus abzuschaffen, dem Wahlergebnis der LINKEN eher nützt als schadet, wenn bekannte und verankerte Kandidat*innen diese verkörpern.
In Königswinter nahe Bonn zog das SAV-Mitglied Michael Droste über die Liste der LINKEN in den Rat der Stadt ein, die dort rund 3% erzielte.
Die “soziale Frage”
Ein Teil der NRW-LINKEN um den Landessprecher Christian Leye, der politisch eng mit Sahra Wagenknecht verbunden ist, versucht jetzt erneut, einen Widerspruch zwischen “sozialer Frage” und Ökologie und Antirassismus zu konstruieren. Die LINKE solle die Probleme der sozial Ausgegrenzten betonen und sich diesen Schichten zuwenden. Der wahre Kern daran ist, dass die LINKE rund um Themen wie Klima mit den Grünen und anderen um die Unterstützung eher jüngerer, großstädtischer, akademischer Schichten konkurriert und in den letzten Jahren weniger diejenigen erreicht, die in Armut oder prekär leben.
Doch Leye und Co. geben falsche Antworten auf eine richtige Frage. Sie behandeln die “soziale Frage” im Stil der Sozialdemokratie der 1970er Jahre oder aus einer sozialarbeiterischen Perspektive. Sie behandeln die prekär Lebenden wie eine besondere Gruppe, der geholfen werden müsse, als wären sie getrennt von den akademischen Schichten oder den Jugendlichen, die gegen die Klimakrise kämpfen.
In Wirklichkeit handelt es sich um die Klassenfrage. Klimakrise und Rassismus sind Produkte des Kapitalismus, sie sind mit der Klassenzugehörigkeit verknüpft. Der Klimawandel ist eine materielle Realität, die auch in Deutschland die ärmeren Schichten trifft. Viele der von Rassismus betroffenen Migrant*innen leben auch sozial prekär.
Die LINKE steht vor der Aufgabe, diese Zusammenhänge aufzuzeigen und in allen Kämpfen und Bewegungen die Gemeinsamkeiten zu suchen und dies mit der Notwendigkeit der Abschaffung des Kapitalismus zu verbinden.
Die Armen wählen nicht
Die Beteiligung bei den Kommunalwahlen lag bei 50%. Gestiegen ist sie in wohlhabenden Stadtteilen, weiter gesunken in ärmeren Vierteln. Die Nachwahlbefragung, bei der Klima und Verkehr als wichtigste Themen angegeben wurden, spiegelt nur einen Teil der Wahrheit, sie basiert auf den Einstellungen der Jugend, der besser gesicherten und mittleren bis besser bezahlten Lohnabhängigen sowie des Kleinbürgertums und der Besitzenden. Viele Migrant*innen oder in Armut und unter prekären Bedingungen lebende Menschen haben ihre Sorgen nicht formuliert. Dadurch erklärt sich die völlige Abwesenheit der Themen Arbeitslosigkeit, Dumpinglöhne, Armut und Existenzangst.
Die sich entwickelnde ökonomische Krise, durch Corona im Timing und Ablauf verändert sowie verschärft, wirft ihre Schatten voraus. Doch viele leiden quasi noch “im Privaten” darunter. Diese Themen bestimmen nicht die politische Debatte. Dazu kommt, dass hohe Mieten, prekäre Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne so verbreitet sind, dass eine gewisse Gewöhnung eingetreten ist.
Der LINKEN ist es schlechter als noch vor einigen Jahren gelungen, diese Schichten zu erreichen. Das betrifft alle Flügel der Partei, auch den antikapitalistischen. Selbst im Wahlkampf in Köln-Kalk konnten viele dieser Menschen nicht zur Wahl motiviert werden. Die LINKE findet den Anpack nicht. Allgemeine Formulierungen, diese oder jene Stadt müsse “sozialer” werden oder alte Parolen gegen Hartz IV treffen nicht den Punkt.
Es bleibt eine zentrale Aufgabe der nächsten Jahre, vor allem in den armen Stadtteilen den Gebrauchswert einer linken Partei zu beweisen, indem alle Chancen, Widerstand, Selbstorganisation und damit Ermutigung zu entwickeln, genutzt werden. Allerdings wäre es fatal, dies gegen eine klare Positionierung für Klimagerechtigkeit und Antirassismus zu stellen. Diese Fragen sind untrennbar verbunden. Wer sozial abgehängte Jugendlichen erreichen will, darf Polizeischikanen und racial profiling nicht unterschätzen. Wer im Stadtteil für besseres Wohnen und Leben kämpft, muss die Auswirkungen des Klimawandels im Blick haben, für Grünflächen und Luftschneisen kämpfen.
Dringlichkeit und Geduld
Die Schlappe bei den Kommunalwahlen muss mit einer Mischung aus Geduld und Dringlichkeit aufgearbeitet werden. Dringlich ist, dass die Partei bundesweit, in NRW und vor Ort ihre Träumereien vom Mitregieren aufgibt und sich eindeutig als Opposition positioniert, immer an der Seite der abhängig Beschäftigten und der Unterdrückten. Dringlich ist Mut zur Radikalität und die Beendigung des Anwanzens an die Etablierten durch staatstragende Behäbigkeit. Die Parteiführung muss verjüngt werden, nicht durch Jungkarrierist*innen, sondern durch Aktive aus Bewegungen. Dringlich ist die Abkehr von der Parlaments-Fixierung und der Aufbau von Partei und Bewegung, nicht als verbales Zugeständnis, sondern als tägliche Praxis.
Dringlich ist es, die Menschen nicht für dumm zu halten und endlich die Vorstellung über Bord zu werfen, es gäbe ein Zurück zum Sozialstaat der 1970er Jahre. Den Leuten ist schon klar, dass das Antworten von gestern sind. Viele gerade junge Leute haben keine genaue Vorstellung davon, wie eine andere Gesellschaft aussehen kann. Aber einige wissen, viele ahnen, dass der Kapitalismus überwunden werden muss. Dringlich ist, dass die LINKE das landauf landab immer wieder sagt, nicht in Sonntagsreden, sondern als Teil der täglichen politischen Praxis, dass sie tagesaktuelle Forderungen und Aktionen auch für kleine Verbesserungen mit einer antikapitalistischen Perspektive verbindet.
Auch geduldig muss die Partei sein. Trotz aller Schwächen und Fehler gibt es politische Entwicklungen, die sie nicht beeinflussen können. Die ökonomische Krise hat ihre Wirkung noch nicht entfaltet. Gleichzeitig sieht es für viele so aus, als hätte die Regierung das Land ganz gut durch Corona gesteuert. Die sozialen Kämpfe sind auf einem sehr niedrigen Niveau. In dieser Lage kann die Partei ihr Potenzial nicht komplett abrufen.
Aber die Zeit wird kommen. Die Grünen übernehmen auf immer mehr Ebenen die Regierungsverantwortung und werden ihr eigenes Programm so verraten, wie sie es in Hessen in der Koalition mit der CDU machen. Die Verwerfungen im Zuge kommender ökonomischer Krisen werden die Klassenfrage stärker in den Vordergrund rücken. Wenn die LINKE die oben erwähnten dringlichen Fragen in Angriff nimmt, kann sie einer solch veränderten Lage Sprünge nach vorne machen.
Viele Menschen haben die Hoffnung, durch stärkere Grüne würde der Kampf gegen den Klimawandel einfacher. Die LINKE muss daran anknüpfen und die Grünen mit ihren eigenen Versprechungen konfrontieren. In vielen Kommunen wird sich in der Praxis zeigen, dass die Grünen dem städtischen Establishment und den Profitinteressen der privaten Investor*innen verpflichtet sind. Sie werden ihre eigenen Ansprüche nicht umsetzen. Das muss die LINKE nutzen, auch, aber nicht vorwiegend in den kommunalen Gremien. Sie sollte in den Stadtteilen Initiativen mit aufbauen und Kämpfe führen für günstigeren Nahverkehr, Ausbau und autofreie Zonen. In Köln hat der Kreisverband der LINKEN auf Initiative von SAV-Mitgliedern einen erste Orientierung für den Umgang mit den gestärkten Grünen beschlossen.
Gleichzeitig werden die Kommunen Richtung Finanzkrise rutschen. Die Grünen haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie eine gnadenlose Kürzungspolitik betreiben. Viele ihrer Funktionär*innen verachten die prekären und armen Schichten. Die LINKE muss hellwach sein, wenn die Kosten der Krise auf die Lohnabhängigen und die Armen abgewälzt werden sollen und alle Ansätze nutzen, um soziale Kämpfe in Stadtteilen und Betrieben mitzuorganisieren und vorwärts zu bringen.