Kaum ein öffentlicher Bereich war neben dem Gesundheitsbereich während der Corona-Pandemie so stark in der Diskussion wie der Bildungsbereich. Das ist verständlich, weil die bundesweite Schulschließung vor den Sommerferien breite Teile der Bevölkerung getroffen hat, nicht nur Beschäftigte im Bildungssystem und Schüler*innen, sondern auch Lehramtsstudierende, Jugendeinrichtungen und vor allem natürlich Eltern.
Von Sozialist*innen in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW
Was wird aus Schule und Bildungssystem nach Corona? Wird es durch die Erfahrung der Pandemie Anpassungen, Investitionen, Personal und Material für das Bildungssystem geben? Aus der Erfahrung vergangener Krisen ist daran zu zweifeln. So spricht die FDP-nahe Naumann-Stiftung in ihrem Forderungskatalog „10-Punkte-Guide für Bildung nach dem Shutdown“ einige richtige Punkte an, aber es wird deutlich, dass dort ein neuer Markt erschlossen werden soll, zum Beispiel für IT-Anbieter und Schulbuchverlage. Es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass aus liberaler Ecke die schrittweise Privatisierung des Bildungswesens vorangetrieben wird.
Um die Schule der Zukunft solidarisch und ohne Marktlogik zu gestalten, um gute Bildung für alle Kinder zu haben und um Lehrer*innen und allen anderen im Bildungssystem Beschäftigten erträgliche Arbeitsbedingungen zu verschaffen, sind folgende Maßnahmen nötig:
- Kleinere Klassen mit maximal 15 Schüler*innen mit je einer/einem Klassenlehrer*in und Co-Klassenlehrer*in. Im Bereich der inklusiven Beschulung entsprechend verbesserte Betreuung und die Halbierung der Lerngruppen in der Förderschule.
- Dauerhaft hygienische Schulen. Dazu sind durch den Schulträger Präsenzreinigungskräfte einzustellen, die regelmäßig Tische, Oberflächen und Toiletten im Schulgebäude reinigen und desinfizieren. Für diese fordern wir eine entsprechende Ausstattung sowie eine tarifgebundene Bezahlung – Outsourcing von Reinigungskräften lehnen wir ab. Wo dies passiert ist, fordern wir Rekommunalisierung und Beschäftigung direkt beim Schulträger unter Begleitung von gemeinsamen Aktionen von GEW und ver.di, zum Beispiel in Form von aktiven Mittagspausen
- Eine deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich. Für Lehrer*innen bedeutet das, die Pflichtstunden aller Lehrämter und Schulformen auf 19 Pflichtstunden zu senken – das entspräche ungefähr der 30 Stunden-Woche. Für alle anderen Beschäftigten im Bildungsbereich fordern wir analog die Senkung der Arbeitszeit auf 30 Stunden.
- Eine Einstellungs- und Ausbildungsoffensive von Lehrkräften. Dazu ist ein Ausbau der Kapazitäten der Hochschulen und Studienseminare nötig sowie die Neuschaffung von Lehrer*innenstellen
- Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Für qualifizierte, tariflich bezahlte Lehrer*innenstellen statt billiger Lückenfüller! Für die Angleichung der Besoldung von Grundschullehrer*innen an die der anderen Lehrämter in den Bundesländern, wo diese schlechter bezahlt werden.
- Für die bessere personelle Ausstattung der Schulsozialarbeit, des sozialpädagogischen Bereichs sowie der nichtpädagogischen Bereiche wie Sekretariat, IT, Schulsozialarbeit, Hausmeisterei usw. In jedem dieser Bereiche muss eine Vollzeitstelle pro Schule oder Schulzentrum/-Komplex vorhanden sein, pro angefangene weitere 500 Schüler*innen je eine weitere.
- Funktionsfähige, sichere und betriebssystemunabhängige Video- und E-Learning-Tools. Einführungen und Schulungen für Lehrende. Jede*r Lernende muss kostenlos ein mobiles Endgerät mit allen notwendigen Apps zur Verfügung gestellt bekommen, das gilt ebenso für funktionsfähige Laptops oder Tablets. Schulgebäude benötigen flächendeckendes, starkes WLAN.
- Nein zu sozialer Ausgrenzung und Selektion: Weg mit dem dreigliedrigen Schulsystem, Einführung der Gesamtschule als Regelschule
- Abschaffung von Noten und zentralen Abschlussprüfungen, stattdessen individuelle, formative Formen der Lernstandsrückmeldung und kostenlose Nachhilfeangebote durch qualifizierte Lehrer*innen
- Kostenlose Bildung für alle – Nein zu allen Schul- oder Hortgebühren. Umwandlung von Privatschulen in öffentliche Schulen durch Sozialisierung und Änderung der Verwaltungsstruktur.
- Nein zu offenen und versteckten Kosten und Zuzahlungen – für eine echte Lehrmittelfreiheit, auch digital, durch bedarfsgerechte Ausstattung von Schulen und Bildungseinrichtungen
- Stopp und Rücknahme von Bildungsprivatisierungen. Nein zu den sogenannten „autonomen Schulen“, stattdessen bedarfsgerechte Ausfinanzierung von Schulen und ein öffentliches Bildungs-Investitionsprogramm: Massive Sanierungen bzw. Neubauten unter hygienischen, sozialen, pädagogischen und gesundheitlichen Gesichtspunkten.
- Nein zu Sponsoring und kommerzieller Werbung an Schulen! Für öffentlich kontrollierte und entwickelte Bildungsmaterialien, um den Einfluss von Schulbuchverlagen auf schulische Inhalte zurückzudrängen.
- Für die demokratische Kontrolle des Bildungswesens. Verwaltung von Schulen und Gestaltung der Schulcurricula durch Komitees gewählter Vertreter*innen von Lehrenden, Schüler*innen, Verwaltung, Eltern und Gewerkschaftsvertreter*innen. Diskussion und Ausgestaltung von Kerncurricula und Bildungsstandards auf Landes- bzw. Bundesebene durch gewählte Delegierte dieser Komitees unter Einbeziehung von Eltern- und Schüler*innen-Verbänden sowie Gewerkschaften.
Diese Maßnahmen können nur durch eine massive Bewegung von Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern umgesetzt werden. Die Bildungsgewerkschaft GEW weist regelmäßig anlässlich der Tarifrunden nach, dass verbeamtete Lehrer*innen sehr wohl streiken können, auch wenn sie es nach der gängigen Rechtsauffassung nicht dürfen. Dieses Mittel könnte zur Erfüllung solcher Forderungen genutzt werden. Gemeinsam mit ver.di, die Beschäftigte im Verwaltungsbereich organisiert, könnte das Bildungssystem zunächst für einen Tag lahmgelegt werden.
Auf Schüler*innenseite sollte dies mit einem Schulstreik begleitet werden – gerade die aktuelle Generation von Schüler*innen hat durch Fridays for Future viele Erfahrungen gesammelt und sich Organisationskenntisse erarbeitet. Zur Vorbereitung einer großangelegten, den Bildungsbereich umfassenden Aktion, wären im Vorfeld kleinere Aktionen an den Schulen eine Möglichkeit, beispielsweise die Diskussion von Forderungen und Aktionsideen durch GEW-Schulgruppen, Personalräte, Schüler*innenaktionskommitees oder Schüler*innen-Vertretungen. Diese könnten durch aktive Mittagspausen und Nachbarschaftsaktionen rund um die Schule herum um Solidarität für das Anliegen werben und über Elternvertretungen und -verbände Solidaritätsaktionen in andere Betriebe ausweiten. Dies wären erste Schritte hin zu einer Bewegung, die tatsächlich in der Lage wäre, zunächst einzelne Forderungen und mit zunehmenden Erfolg auch eine grundsätzliche Änderung des Bildungssystems zu erkämpfen.