Die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst wurde am 25.10. in der dritten Verhandlungsrunde beendet. Zu Beginn klang alles nach Klatsche statt Klatschen: Die Arbeitgeber wollten sich keinen Zentimeter bewegen, ver.di schlug sogar vor, nur einen Corona-Zuschlag festzulegen und die Tarifverhandlungen ins nächste Jahr zu schieben. Doch die Arbeitgeber lehnten ab, wohl in der Hoffnung dass ver.di es in Corona-Zeiten schwer haben würde; das Kalkül ging ja auch ein Stück weit auf.
Doch angesichts von Überstunden und Personalnotstand sowie der öffentlichen Unterstützung der „systemrelevanten Berufe“ war die Kampfbereitschaft groß. Vor dem Hintergrund ist der Abschluss keine Katastrophe, bleibt aber mit sieben Nullmonaten zu Beginn und einer Laufzeit von 28 Monaten weit hinter den Forderungen von ver.di und GEW zurück. In Corona-Zeiten sei nicht mehr drin gewesen und das Ergebnis sei „respektabel“ lautet der Tenor von Gewerkschaftsführungen und Medien.
Die Bruttoentgelte steigen zum 1. April 2021 um mindestens 50€ oder 1,4%, ein Jahr später um 1,8%. In dieser Höhe bewegte sich in den letzten Jahren die Inflationsrate. Weil in der aktuellen Phase der Krise Deflation herrscht, gibt es daher aus heutiger Sicht keinen Reallohnverlust. Es ist aber nicht klar, ob das über die lange Laufzeit von zwei Jahren und vier Monaten so bleibt. Die Europäische Zentralbank erwägt bereits, das Inflationsziel zu erhöhen. In den nächsten Jahren könnte es durch Erhöhungen der Geldmenge durchaus Inflationsraten von 2% und mehr geben.
Zusätzlich wurde eine steuerfreie Corona-Sonderzahlung von 600€ für den einfachen und mittleren Dienst, 400€ für den gehobenen und 300€ für den höheren Dienst vereinbart.
Wenn man diese Zahlungen miteinander verrechnet, bekommt zum Beispiel eine Schulsekretärin mit Entgeltgruppe 6, Stufe 4 über die gesamte Laufzeit durchschnittlich 2,5% mehr Geld ausgezahlt als vor dem Abschluss – also deutlich weniger als die geforderten 4,8% auf ein Jahr.
Die Schere zwischen Jung und Alt bleibt weiterhin groß: Azubis bekommen jeweils 25€ mehr ab April 2021 und 2022, gefordert waren 100€. Bei der Corona-Sonderzulage erhalten Azubis nur 225€, was den hohen Anforderungen, die sie erfüllen sollen – je nach Ausbildungsberuf arbeiten sie teilweise genau so wie andere Beschäftigte – nicht gerecht wird.
Eine weitere Lohnschere zwischen Ost und West soll nun immerhin nach über 30 Jahren geschlossen werden: Die Arbeitszeit der kommunalen Beschäftigten in Ostdeutschland wird an die der Kolleg*innen im Westen angeglichen. Die Angleichung beginnt jedoch erst 2022 und soll 2023 abgeschlossen werden. Die Beschäftigten in den kommunalen Krankenhäusern im Osten müssen sogar noch zwei weitere Jahre darauf warten, und erreichen erst 2025 die 38,5-Stunden-Woche.
Pflege: erster Schritt zur Aufwertung, aber keine Entlastung
Für Pflegekräfte und Ärzt*innen in Krankenhäusern und Pflegeheimen fallen dafür die Lohnerhöhungen deutlicher aus. Sie bekommen ab März 2021 zusätzlich zur allgemeinen Erhöhung 70€ mehr, ab März 2022 weitere 50€. Außerdem wird die Intensiv-Zulage um 54€ erhöht, so dass eine Intensivpflegekraft am Ende der Laufzeit insgesamt etwa 300€ mehr Lohn erhalten wird als jetzt.
Diese Lohnerhöhungen sind vor allem das Verdienst der starken Beteiligung der Kolleg*innen bei den Warnstreiks, die gerade in diesem Bereich erhöhten Druck auf die Arbeitgeber aufgebaut haben. Mit spezifischen Forderungen, die auch das in den letzten Jahren immer wieder geäußerte Bedürfnis der Kolleg*innen nach Entlastung und höheren Mindestbesetzungen berücksichtigt hätten, wäre hier sicherlich noch mehr Motivation und damit eine höhere Streikbeteiligung möglich gewesen.
Leider wurden das nicht-pflegerische Personal der Krankenhäuser und Pflegeheime nicht berücksichtigt, das ja ebenso wie die Pflege mit Personalmangel und Überlastung zu kämpfen hat und oftmals schlechter entlohnt wird.
Politische Zuspitzung fehlte
Auch wenn sich die Arbeitgeberseite mit ihren Angriffen in dieser Tarifrunde nicht voll durchgesetzt hat und einige Beschäftigte Schlimmeres erwartet hatten, kann man mit dem Verlauf und dem Abschluss nicht zufrieden sein.
Besonders ärgerlich ist die Schönfärberei durch viele Funktionär*innen. Aussagen wie: „beide Seiten haben Abstriche gemacht“ verschleiern, dass den drastischeren Abstrich ver.di gemacht hat und dass die Kosten des Abschlusses deshalb nur um rund 100 Millionen Euro über der Summe liegen, die die kommunalen Arbeitgeber in ihrem Angebot veranschlagt hatten.
Diese Tarifrunde war die erste im Rahmen der Corona-Pandemie und der Wirtschaftskrise. Dabei ging es nicht nur um Gehaltserhöhungen für die Beschäftigten: Es war auch die erste Testrunde für die große Frage: Wer wird für die Krise bezahlen? Hier hätten die Gewerkschaften die Tarifrunde viel stärker politisch zuspitzen müssen. Wie kann es sein, dass die Lufthansa Milliarden geschenkt bekommt, während die systemrelevanten Beschäftigten so gut wie leer ausgehen? Gemeinsame Streiks von Kolleg*innen im Öffentlichen Dienst, Nahverkehr und Post und Aufrufe an die Bevölkerung zu expliziter Solidarität wären das Gebot der Stunde gewesen. Eine gesellschaftliche Kampagne für Umverteilung von Oben nach Unten, von denen die Streiks im Öffentlichen Dienst ein Teil sind: das wäre die Aufgabe der Gewerkschaften an der Seite von politischen linken Kräften und Bewegungen. Für eine solche politische Kampagne muss sich die Gewerkschaftsführung aber mit den Parteien in der Großen Koalition im Bund anlegen anstatt der SPD bei den Wahlen weiter die Treue zu halten. Ja, die Rahmenbedingungen mit Corona und Wirtschaftskrise waren kompliziert. Die Gewerkschaften haben die weitestgehenden Angriffe abgewehrt, aber eine Gelegenheit verpasst, Kämpfe zusammen zu führen und die nötige gesellschaftliche Antwort in diesen Zeiten zu geben und den Widerstand aufzubauen.
So hätte auch verhindert werden können, dass die Kolleg*innen im ÖPNV nun alleine im Regen stehen. Anders als sonst üblich, waren die Arbeitgeber in diesem Bereich nicht bereit, das Tarifergebnis des öffentlichen Dienstes automatisch in die Tarifverträge des Nahverkehrs in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen zu übernehmen.
Gewerkschaftliche Demokratie in der Tarifrunde
Die ver.di Führung argumentiert, dass die vorhandene Kampfkraft voll ausgenutzt wurde und das Maximum erreicht wurde. Tatsächlich kann man nach einigen Warnstreiktagen nicht ohne Weiteres behaupten, dass die Mehrheit der Kolleg*innen mitten in der zweiten Corona-Welle zu einem Erzwingungsstreik bereit gewesen wären.
In früheren Tarifrunden gab es nach der Tarifeinigung eine Mitgliederbefragung. In der hatten alle ver.di-Mitglieder im öffentlichen Dienst die Möglichkeit, für oder gegen die Annahme der Einigung zu stimmen. Dieses Votum hatte aber keinen bindenden Charakter über die endgültige Annahme des neuen Tarifvertrags. Dieses Mal ist unklar, ob es eine schriftliche Mitgliederbefragung oder nur eine Reihe von regionalen Videokonferenzen zur Diskussion über den Abschluss geben wird. Wenn diese Konferenzen allen Mitgliedern offen stehen ist das gut, aber es muss sichergestellt werden, dass möglichst viele Kolleg*innen daran teilnehmen können. Dringend notwendig wäre dann aber die bindende Abstimmung über den Tarifvertrag durch alle Gewerkschaftsmitglieder. Das würde die gewerkschaftliche und betriebliche Demokratie stärken und könnte auch für kommende Auseinandersetzungen mobilisierenden Charakter haben.
Die Tarif-Forderungen wurden auf Basis von Diskussionen in den ver.di-Bezirken von der Bundestarifkommission beschlossen. Die Bundestarifkommission wird zwar mitunter sehr indirekt, aber letztlich doch demokratisch von den Mitgliedern gewählt. Teil der Forderungen war – wie in jeder Tarifrunde – eine Laufzeit von einem Jahr.
Vor diesem Hintergrund wirkte es befremdlich, dass sich die Verhandlungsspitze und vor allem der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke schon vor den Verhandlungen von der Laufzeitforderung verabschiedete. In mehreren Video-Livestreams erklärte er den Tarifbotschafter*innen von der ver.di-Basis, dass bei einer Laufzeit von einem Jahr die nächsten Tarifverhandlungen in den Zeitraum der Bundestagswahl fallen würden. Das stellte er als ein Ding der Unmöglichkeit dar und plädierte daher von vornherein für eine Laufzeit bis Anfang 2022. Unklar blieb, was so falsch daran sein soll gerade zu Wahlkampfzeiten für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne im öffentlichen Dienst zu kämpfen und damit die Regierungsparteien unter Druck zu setzen. Gerade in einem durch den Wahlkampf politisierten Klima ist es angebracht, zu fordern dass der öffentliche Dienst gut bezahlt und personell ausreichend ausgestattet wird und dass Sozial- und Pflegeberufe aufgewertet werden. Dazu brauchen Streiks demokratisch legitimierte Strukturen, die nicht beim ersten kleinen Gegenwind ignoriert werden.
Das Konzept der Tarifbotschafter*innen hat gezeigt, dass es Potenzial in den Betrieben gibt, Kolleg*innen zu mehr zu mobilisieren als nur zur Streikkundgebung. Doch leider ging die Einbindung der Tarifbotschafter*innen meist nicht darüber hinaus, ihnen die Zwischenstände der Diskussion und Verhandlungen per Livestream mitzuteilen. Eine demokratische Beteiligung an Diskussions- und Entscheidungsprozessen sieht anders aus.