Nigeria: #EndSARS – Massenproteste gegen Polizeigewalt

In Nigeria ist in den letzten Wochen eine landesweite Massenbewegung entstanden, die vor allem von Jugendlichen und Studierenden getragen wird.

Die Lebenssituation der Jugend in Nigeria ist von Perspektivlosigkeit und Armut geprägt. 70% der Jugendlichen sind arbeitslos oder unterbeschäftigt, wenn sie doch einen Job bekommen sollten müssen sie immer damit rechnen, dass Löhne nur teilweise oder gar nicht bezahlt werden. Der Mindestlohn beträgt offiziell 30000 Naira (67€), wird aber häufig ignoriert. Die Lebenshaltungskosten steigen: Anfang September wurden Erhöhungen der Benzin- und Strompreise bekanntgegeben, kurz davor war die Mehrwertsteuer erhöht worden.

Der Anlass, durch den Verzweiflung und Unzufriedenheit in Wut umschlugen, war ein am 3. Oktober über social media verbreitetes Video. Es zeigt Polizisten einer SARS-Einheit, die einen jungen Mann erschießen, wohl um an sein Auto zu kommen. Die SARS (Special Anti-Robbery Squad), bundesweite Spezialeinheiten der nigerianischen Polizei, waren seit Jahren für unprovozierte Gewalt, Korruption und Kriminalität bekannt. Es gab Fälle, in denen Jugendliche durch SARS willkürlich festgenommen wurden um von ihren Familien Lösegeld zu erpressen. Einige der Entführten wurden ermordet, weil die Angehörigen nicht zahlen konnten. Dagegen gingen seit Anfang Oktober mit der Forderung #EndSARS Millionen von Menschen in ganz Nigeria sowie aus den nigerianischen Communities im Ausland auf die Straße und ließen sich auch von massiver Repression – mehrere unbewaffnete Demonstrant*innen wurden von der Polizei erschossen – nicht stoppen.

Unter dem Druck der Bewegung kündigte die Regierung von Präsident Muhammadu Buhari Polizeireformen an. So erklärte die bundesweite Polizeiführung am 11. Oktober die SARS für aufgelöst und kündigte an, dass die einzelnen Angehörigen zu anderen Einheiten versetzt würden. Kurz danach wurde aber die Gründung einer neuen Sondereinheit namens SWAT angekündigt, die die SARS ersetzen soll – der Verdacht liegt nahe, dass SARS faktisch nur umbenannt wird.

Trotz der formalen Auflösung gingen die Proteste weiter. Die Bewegung fordert jetzt verpflichtende Überprüfungen aller ehemaligen SARS-Angehörigen und die Bestrafung aller an Verbrechen beteiligten Polizisten. Auch weitere Zugeständnisse, wie die Ankündigung einiger Gouverneure in ihren Bundesstaaten Entschädigungen an die Angehörigen der von SARS ermordeten auszuzahlen, führten nicht zum Abflauen der Proteste.

Das Regime versucht, die Bewegung durch extra aufgestellte, bezahlte Schlägertrupps einzuschüchtern und entlang ethnischer Linien zu spalten, indem verbreitet wird, die Schläger seien Hausa, würden also der gleichen Ethnie angehören wie Präsident Buhari. Damit soll an im Süden des Landes traditionell vorhandene Ressentiments gegen die Hausa angeknüpft werden. Bisher waren diese Versuche aber nicht erfolgreich, der Jugend auf den Straßen ist bewusst, dass sie über ethnische und religiöse Grenzen hinweg gemeinsam kämpfen muss.

Die MSA (Movement for a Socialist Alternative, nigerianische Schwesterorganisation der SAV) ist in der Bewegung aktiv und fordert neben der Auflösung der SARS- bzw. SWAT-Einheiten eine umfassende Umgestaltung der Polizei und deren Kontrolle durch demokratisch gewählte Vertreter*innen der Jugend und der Arbeiter*innen. Sie schlägt der Bewegung auch vor, allgemeinere Forderungen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Jugend aufzustellen, etwa zur Durchsetzung des Mindestlohns, gegen die Erhöhung von Schulgebühren und zur Einführung von staatlicher Unterstützung bei Arbeitslosigkeit, und ihren Kampf mit dem der übrigen Arbeiterklasse zu verbinden. „Darin liegt die Hoffnung auf ein anderes Nigeria der Zukunft, in dem die Interessen und das Wohlergehen der arbeitenden Massen an erster Stelle stehen würden. Nur durch gemeinsame Aktionen und gemeinsamen Kampf können wir über die undemokratischen und unterdrückerischen Tendenzen von Buharis kapitalistischen Horden siegen.“, wie die Genoss*innen in ihrem Statement zur Bewegung erklären.