DIE LINKE diskutiert auf Parteitag über ihr Verhältnis zu Regierung und Bewegung
Auf dem Bundesparteitag in Erfurt wird der Umgang mit der durch Corona ausgelösten Krise und eine eventuelle Regierungsbeteiligung der LINKEN im Bund die Diskussion bestimmen. Angesichts der zunehmend schlimmer werdenden Verfallserscheinungen des Kapitalismus stellt sich die Frage drängender, wie DIE LINKE das Ziel einer anderen Gesellschaft erreichen möchte.
Von Sebastian Rave, Bremen
Ein Jahr ist es bis zur nächsten Bundestagswahl und ein ruhiges Jahr wird es mit Sicherheit nicht. Irgendwann wird die jetzt ausgesetzte Insolvenzmeldepflicht wieder eingeführt und tausende Firmen werden ihre Pleite verkünden müssen. Andere, die vielleicht überleben, kündigen jetzt schon Massenentlassungen an oder verlagern die Produktion ins Ausland. Die staatlichen Mittel zum Schnüren von Rettungspaketen werden bald erschöpft sein. Um die überbordende Staatsverschuldung zu drosseln, werden nach der Bundestagswahl Kürzungspakete kommen. Das Kapital und sein Staat versuchen, die Krisenlasten auf die arbeitenden und arbeitslosen Massen abzuwälzen.
Da die Krise ebenso wie die zu erwartenden Angriffe umfassend sind, braucht es auch eine umfassende Antwort. DIE LINKE kann dabei helfen, Widerstand aufzubauen. Sie kann die Initiative dafür ergreifen, Proteste zusammenzuführen: Krisenproteste, gewerkschaftliche Proteste, Klimaproteste, Jugendproteste, Proteste gegen Krieg und zunehmende Militarisierung, gegen Unterdrückung und Rassismus. Sie kann Aktivist*innen vernetzen, eine Diskussionsplattform anbieten, sozialistische Ideen in diese Bewegungen tragen, und Stimme der Bewegung im Parlament werden. Sie hat für all das eine besondere Verantwortung als linke, als sozialistische Opposition.
Rosa-Grüne Illusionen
Stattdessen blubbern die sogenannten „Reformer*innen“ bei jeder Gelegenheit ihre Seifenblasenträume in die Kameras. Dort sitzen sie mit grün-rosa Elefanten in der Regierung. Die harsche Realität ist: Die SPD hat wie üblich mit Scholz einen ebenso rechten wie chancenlosen Kanzlerkandidaten aufgestellt, bei dem der nächste Finanzskandal gefühlt immer nur ein Fettnäpfchen weit entfernt ist. Die Grünen flirten schon länger mit der CDU, das Handelsblatt spricht von einer sich anbahnenden Liebesheirat im Bund. Neben einer stabileren Mehrheit verspricht ein solches Bündnis auch den kapitalfreundlichen Umbau der Wirtschaft mit ökologischem Antlitz.
Die Idee einer „linken Mehrheit“ mit SPD und Grünen ist eine Illusion. Tatsächlich sind SPD und Grüne politisch auch nur bürgerliche Parteien. Sie unterscheiden sich von CDU und FDP nicht grundsätzlich, sondern nur graduell. Die Wahlprogramme, das Personal und die Politik dieser Parteien beschreiben die unterschiedlichen Wege, die im Rahmen des Kapitalismus gangbar sind – mal mehr, mal weniger nationalistisch, mal mehr, mal weniger umweltzerstörerisch, mal mehr, mal weniger ausbeuterisch – das System als solches wird aber natürlich auch von der SPD und den Grünen nicht infrage gestellt.
Die Idee des Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch, die SPD aus der Gefangenschaft der Union zu retten, könnte deshalb aus der Serie „Die dümmsten Verbrecher“ kommen: Statt eines Gefangenen wird einer der Gefängniswärter „befreit“ und die ganze Aktion endet im Knast des Establishments statt in gemeinsamer Freiheit.
Die Regierungswilligen klingen schon, als litten sie unter dem Stockholm-Syndrom, bei dem Gefangene sich mit ihren Geiselnehmern identifizieren: „DIE LINKE wird die Nato nie auflösen“ (Bartsch), die außen- und verteidigungspolitische Grundsätze seien keine „unüberwindbare Hürde“ (Gysi) für eine Regierungsbeteiligung, für Benjamin Hoff ist sogar die CDU in Thüringen ein „potenzieller Partner auf Zeit“, seit es zwecks Mehrheitsbeschaffung eine Kooperation zwischen rot-rot-grüner Minderheitsregierung mit der CDU gibt
Der unbedingte Wunsch, endlich mitregieren zu dürfen, ist mittlerweile so groß, dass dafür Grundsätze der Partei infrage gestellt werden. Auch wenn eine Regierungsbeteiligung der LINKEN nach der Bundestagswahl zur Zeit unwahrscheinlich ist, führt die Orientierung aufs Regieren dazu, dass SPD und Grüne zunehmend geschont werden. Die betont brave Reaktion auf die Kanzlerkandidatur des SPD-Bonzen Scholz spricht Bände.
Regierungspolitik entfremdet die Partei von der Bewegung
Aber nicht nur der politische Gegner wird geschont, sondern auch die eigene Bilanz wird geschönt. Der Leitantrag fabuliert, dass unter Rot-Grün-Rot in Bremen die ÖPNV-Tickets günstiger geworden seien – tatsächlich sind sie um 1,6 % teurer geworden. Angeblich sei dafür gesorgt worden, dass für zahlungsunfähige Haushalte Strom und Wasser nicht abgestellt würden. Tatsächlich wurden seit dem 30.6.2020 bis zu 9000 Strom- und Wassersperrungen angedroht.
Die Entfremdung der außerparlamentarischen Bewegungen von der LINKEN geht schneller, als man gucken kann. Antirassist*innen in Bremen sind nicht gut auf DIE LINKE zu sprechen, nachdem die Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard sich trotz eines Corona-Ausbruchs in einer Sammelunterkunft für Geflüchtete weigerte die Schließung anzuordnen. Es helfen keine Selbsttäuschungen und Beruhigungspillen: Die Realität sieht leider trister aus als das, was im Koalitionsvertrag steht.
Viele der Skeptiker*innen des Regierungskurses hoffen, den „Markenkern“ der LINKEN zu erhalten, indem sie rote Haltelinien betonen, welche nicht überschritten werden dürfen: Keine Privatisierungen, Kürzungen oder Militäreinsätze mit der LINKEN. Andere sehen die Haltelinien eher als Verhandlungsmasse, mit denen man den Preis für eine Regierungsbeteiligung hochtreiben kann. Die neuere Erzählung ist, dass man Bewegungsorientierung und Regierungsverantwortung miteinander kombinieren müsse. Die Kandidatin für den Parteivorsitz, Susanne Hennig-Wellsow aus Thüringen ist eine Vertreterin dieser These, aber auch einige Teile der „Bewegungslinken“ argumentieren so. Man muss der Realität aber ins Auge sehen: Jede Bewegung gerät früher oder später in Konflikt mit Regierungen, die für den Status Quo verantwortlich sind. Im besten Fall rennt die Regierungslinke den Bewegungen hinterher, statt sie zu initiieren und zu prägen. Im schlechtesten Fall verliert sie jegliches Ansehen und kann sich in den sozialen Bewegungen überhaupt nicht mehr sehen lassen.
Der Spagat zwischen Regierung und Bewegung kann auf Dauer nicht funktionieren, weil entweder die Hüfte leidet und die Partei vom Widerspruch zerrissen wird, oder weil Die LINKE doch mit einem Bein fester in der Regierung steht und die Bewegung sich von ihr verabschiedet. Da wäre es gesünder, sich von vornherein zu entscheiden, sich mit beiden Beinen fest in der Bewegung zu verankern, bis die Kräfteverhältnisse eine grundsätzliche Veränderung ohne Rücksicht auf die bürgerlichen Koalitionspartner erlauben.
Für eine linke Opposition
Der Parteitag sollte diejenigen „zurück pfeifen“, die das Programm zugunsten einer Regierungsbeteiligung aufweichen wollen. Für die Wahlen zum Vorstand heißt das, die AKL-Mitglieder Thies Gleiss und Lucy Redler und andere Kandidat*innen zu unterstützen, die sich deutlich für eine Bewegungs- statt Regierungspartei positionieren. Wir rufen zur Wahl von Janine Wissler als Vorsitzende auf, ohne den Regierungskurs ihrer Mitkandidatin Hennig-Wellsow zu akzeptieren.
Im Leitantrag wird viel zu häufig der Eindruck erweckt, dass die Entscheidung, auf welcher Seite SPD und Grüne stehen, noch offen sei. Tatsächlich haben die sich längst entschieden: Sie stehen für eine EU, deren Migrationspolitik in Moria zu besichtigen ist. Sie stehen für Kriegseinsätze der Bundeswehr und eine neokolonialistische Außenpolitik. Sie stehen in der größten kapitalischen Krise seit Jahrzehnten für die Rettung des Systems, und nicht für dessen Abschaffung. Dagegen braucht es eine Oppositionspartei, die den Widerstand aufbaut und die Systems- und Eigentumsfrage stellt. Das Potenzial für eine linke Opposition ist groß – sowohl in der Partei, als auch in der Gesellschaft. Bauen wir sie auf.
Bild: DIE LINKE