Für alle, die spät dran sind mit den Geschenken: Unsere Buchtipps zum Winter.
Kreuzberg Blues, von Wolfgang Schorlau
Mieter*innen, die durch halblegale Methoden aus ihren Häusern geekelt werden sollen, damit diese dann abgerissen, saniert oder direkt erheblich teurer neu vermietet werden … Wie immer, wenn Wolfgang Schorlau einen Roman schreibt, erkennt man die Realität in der Fiktion sehr gut. Zum mittlerweile zehnten Mal schickt Schorlau seine Figur Georg Dengler, einen ehemaligen BKA-Beamten und Privatermittler, zusammen mit der Hackerin Olga in die Welt, um politisch brisante Fälle zu lösen.
Rezension von David, Kassel
„Kreuzberg Blues“ ist ein Buch für Aktivist*innen, und teilweise auch von Aktivist*innen. Schorlau hat – wie in der Vergangenheit – gut recherchiert, um seine spannende Story zu unterfüttern. Außerdem hat er Interviews mit Aktiven geführt, wie zum Beispiel Rouzbeh Taheri von der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. Enteignen und dem Stadtsoziologen und ehemaligen Bausenator Andrej Holm. Dies merkt man dem Buch positiv an: Es liest sich flüssig, spannend und sehr kurzweilig. Es kann für ein wenig moralische Unterstützung sorgen, die langfristig angelegte Bewegungen gut gebrauchen können.
Reale Praktiken von Miethaien
Im Buch reist Dengler nach Berlin, um Mieter*innen zu unterstützen, die verdrängt werden sollen. Dazu scheinen dem Wohnungsunternehmen alle schmutzigen Tricks recht zu sein: Aggressive Ratten aussetzen, Fensterwechsel im Winter, Umwidmung … Auch ein professioneller Entmietungsservice wird engagiert, also ein auf das Loswerden von Mieter*innen spezialisiertes Unternehmen. Die Mieter*innen tun jedoch das einzig Richtige: Sie organisieren sich gegen den Immobilienhai, um sich zu wehren.
Das Ziel der großen Immobilienunternehmen ist die Rendite. Das wird im Buch deutlich an der Strategie für den maximalen Profit eines der Unternehmen, die in Präsentationsfolien ausführlich dargestellt wird. Mit legalen Tricks wie häufigen Neuvermietungen, dem Herunterfahren der Investitionen, mit nie erreichbaren Hausmeistereien sowie An- und Verkauf von ehemals kommunalen Wohnungen wird auf Kosten der Allgemeinheit und zum Schaden der Mieter*innen Geld gemacht.
Dabei schafft es Schorlau, die wirtschaftlichen Hintergründe und das Handeln der Investorengruppen im Hintergrund gut zwischen die restliche Geschichte einzuschieben, so dass kaum Spannung im eigentlichen Plot verloren geht. Die Lage spitzt sich in kurzer Zeit zu, als ein Spekulant einen Unfall hat und die Bewegung im Verdacht steht. Geschickt in die Geschichte eingewebt ist ein rechtes, im Hintergrund agierendes Netzwerk, das sich vor allem aus höheren Beamten (es sind nur Männer) der Geheimdienste und anderer Sicherheitsbehörden speist – ebenfalls eine brandaktuelle Thematik.
Überall Corona
Ein fiktionales Buch, das im Jahr 2020 erscheint, läuft leicht Gefahr, allzu fern zu erscheinen, wenn in ihm keinerlei Hygiene- und Abstandsregeln auftauchen, die alle mittlerweile Alltag sind. Szenen von großen Menschenmassen, Umarmungen, Zusammentreffen ohne Alltagsmaske – so etwas erscheint uns nach fast einem Jahr Pandemie sehr unwirklich. Umso besser, dass Schorlau seinen Schreibprozess auch in seinem Roman abgebildet hat: Ungefähr in der Hälfte des Buches „beginnt“ auch dort die Pandemie, genauso, wie sie ihn beim Schreiben ab einem bestimmten Punkt begleitet hat. Die Entscheidung, die Thematik aufzunehmen, scheint richtig gewesen zu sein. Es fühlt sich beim Lesen nachvollziehbar an, wie die Protagonist*innen nach und nach die Auswirkungen der Pandemie zu spüren bekommen.
Schorlau hat mit dem zehnten Dengler einen soliden, spannenden und lesenswerten Politkrimi abgeliefert, der nahtlos an den Rest der Buchreihe anschließt. Mit dem Hinweis auf den Schauspieler Ronald Zehrfeld im Buch lässt sich hoffen, dass auch ein entsprechender Film folgen wird. Eine gute Drehbuchvorlage liegt jedenfalls vor.
„Olympia“, von Volker Kutscher
Rezension von Claus Ludwig, Köln
Den achten Teil seiner Geschichte um den Polizisten Gereon Rath und die von den Nazis aus dem Polizeidienst entfernte Charlotte „Charlie“ Ritter hat Volker Kutscher rund um die Olympischen Spiele in Berlin 1936 aufgebaut. Das Regime will das Sportereignis nutzen, seine Leistungsfähigkeit zu demonstrieren und ein harmloses, sauberes Bild des Landes zu zeichnen. Für einige Wochen verschwindet das antisemitische Hetzblatt „Stürmer“ aus den Kiosken.
Als ein US-Sportfunktionär im Olympischen Dorf unter ungeklärten Umständen stirbt, ist die Erzählung von den perfekten Spielen in Frage gestellt. Kommissar Rath ermittelt. Doch längst ist er nur noch eine Marionette der Nazi-Institutionen. Die Polizei wird von den NSDAP-Organen SS und SD gelenkt.
Auch Fritze, der ehemalige Pflegesohn der beiden, der als Hitlerjunge zum „Ehrendienst“ im Olympischen Dorf abkommandiert ist und durch seine Begeisterung für die Leistungen der schwarzen Sportler Jesse Owens und Dave Albritton zunehmend mit dem Rassismus seiner HJ-Kameraden in Konflikt gerät, ist plötzlich in Gefahr.
Anders als die Film-Variante „Babylon Berlin“ konzentrieren sich Kutschers Romane nicht auf die bunte Eskalation von Sex & Crime, die Charaktere sind nicht überzeichnet. Kutscher entwickelt in den acht Bänden eine detaillierte Darstellung, wie Angehörige der Mittelschichten Aufstieg und Festigung des Faschismus erleben. Seine Protagonist*innen nehmen dabei eine in jener Zeit verwurzelte Perspektive ein. Sie können den Charakter des Faschismus nicht vollständig erfassen, halten Hitler zunächst für überschätzt, dann für ein vorübergehendes Phänomen. Sie sind – anders als die Aktiven der Arbeiter*innenbewegung – nicht sofort von der Gewalt betroffen.
Nach und nach erfahren sie die historisch neue Totalität des Nazi-Regimes, das Eindringen in alle Bereiche des Lebens. Charlie ist ihrem Mann immer einen Schritt voraus und wird schon widerständig aktiv, als der noch versucht, eine Nische für seine Vorstellung von Polizeiarbeit zu finden. Doch in seiner Funktion im Staatsapparat kann er nicht unpolitisch bleiben. Das gefährdet nicht nur seine berufliche Existenz. Sein Todesurteil ist längst gefällt.
Der achte Band ist sauber recherchiert, die Handlungsstränge sind spannend miteinander verwoben, die Schilderung der Spiele ist lebendig. Kutschers Bücher funktionieren als Krimis und als Historienromane. Die Geschichte scheint noch nicht zu Ende erzählt, doch dass ein Band neun überwiegend in Deutschland spielen kann, ist schwer vorstellbar.
„QualityLand 2.0“, von Marc-Uwe Kling
Rezension von Claus Ludwig, Köln
„Ach … Literatur, das ist doch eine bürgerliche Kategorie“. Ob die zweite Reise in die Zukunft von „QualityLand“ auch beim Selberlesen so gut funktioniert wie als Hörbuch ist schwer zu sagen, aber von Kling selbst gelesen machen die Abenteuer von Peter Arbeitsloser, Kiki Unbekannt und diversen Maschinen mit funktionellen Störungen Spaß.
Der Plot gerät angesichts der vielen Sprüche und Gags häufig in den Hintergrund. But it’s not a bug, it’s a feature. Die Absurdität von QualityLand knüpft am real existierenden Irrsinn an. Kling hat ein Gespür für die Idiotie des Kapitalismus und treibt die Kommerzialisierung aller Aspekte des Lebens und die neoliberale Ideologie auf die Spitze. Er legt seinen Held*innen Sprüche in den Mund, die wir gerne übernehmen: „Die Roboter sind nicht das Problem. Das Problem ist, dass sie Ihnen gehören und nicht allen.“
Seine Attacken gegen die Überflüssigkeit vieler Werbe- und Verwaltungsjobs und die Erklärungen, warum wichtige Jobs schlecht bezahlt sind, passen auch heute. „Eine brauchbare Methode, um herauszufinden, ob man einen Schwachsinnsjob hat, ist übrigens zu streiken … Fang an zu streiken und schau, ob jemand deine Arbeit vermisst.“ Nicht nur zwischen den Zeilen, sondern ganz direkt formuliert Marc-Uwe Kling die Notwendigkeit umfassender Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich.
QualityLand 2.0 ist sehr Kling. Wer mit seiner Art nichts anfangen kann, könnte genervt sein. Wer sie mag, wird gut unterhalten und politisch gebildet.