So wenig Corona wie möglich und so wenig Einschränkungen des Lebens wie nötig, auf diese Formel dürften sich alle einigen können, die den Schutz vor Corona und vor den Folgen der Einschränkungen gleichzeitig im Blick haben Doch was ist im Kampf gegen Corona machbar? Es gibt Ziele, die wären illusorisch. Corona weltweit innerhalb weniger Wochen auszurotten, ist utopisch. Ob wir das Virus jemals wieder loswerden, ist eine offene Frage. In absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht. Aber die entscheidende Frage ist: Was ist jetzt, in den kommenden Wochen und Monaten möglich, um den Schaden maximal zu begrenzen?
Georg Kümmel, Köln
Bei der Beantwortung dieser Frage orientieren wir uns daran, welche Möglichkeiten, welche Potenziale die Gesellschaft hat, um das Virus zu bekämpfen. Kapitalistische Sachzwänge, also den Zwang der Kapitalisten, ihren individuellen Profit über das Allgemeinwohl zu stellen, ignorieren wir bewusst.
Die Zahl der Todesopfer radikal senken
Jedes Todesopfer in einem Altenheim ist unnötig.Von den bislang 64.000 Todesfällen (Stand 11.02.21) stammte ein dramatisch hoher Anteil aus Alten- und Pflegeheimen. 60 Prozent aller Corona-Toten in Berlin waren Bewohner*innen von Alten- und Pflegeheimen. Ähnlich hohe Zahlen werden aus anderen Bundesländern gemeldet. Wenn sämtliche Beschäftigte und sämtliche Bewohner*innen zwei- oder dreimal pro Woche einen PCR-Test bekommen, wenn sämtliche Besucher*innen einen Schnelltest bekommen, ist das Problem sofort gelöst. Das gilt analog für Krankenhäuser. Auch für die Risikogruppen außerhalb der Pflegeheime sind allgemein und kostenlos verfügbare Tests wichtiger Teil eines unmittelbar umsetzbaren Schutzkonzeptes.
Ansteckungen vermeiden
Epidemiologisch gefährlich sind Situationen, in denen 10, 20 oder mehr Menschen zusammenkommen. Das sind Betriebe mit entsprechender Anzahl Beschäftigter an einem Ort, Kitas, Schulen sowie die Situation in Bussen und Bahnen.
Die Arbeit in Betrieben, die offensichtlich gesellschaftlich nutzlose oder sogar schädlichen Aktivitäten nachgehen, muss eingestellt werden (Rüstungsbetriebe, Werbung). Die Beschäftigten müssen bei voller Bezahlung freigestellt oder auf freiwilliger Grundlage zur Bekämpfung der Pandemie eingesetzt werden. Perspektivisch muss die Produktion auf gesellschaftlich nützlich Tätigkeiten umgestellt werden.
Bei allen anderen Betrieben ist zu klären, wie Ansteckungen ausgeschlossen werden können. Die Entscheidung muss in den Händen der Beschäftigten in Abstimmung mit Gesundheitsämtern liegen. Beispielsweise kann es nötig sein, während der gesamten Arbeitszeit FFP2-Masken zu tragen. Daher müssten entsprechend häufige und ausreichend lange Pausen vorgesehen werden, natürlich bezahlt. Technisch ist es gerade bei größeren Betrieben kein Problem, die Beschäftigten zweimal pro Woche einem PCR-Test machen zu lassen.
In Schulen und Kitas sind ebenfalls alle Möglichkeiten zu nutzen. Vor Wiedereröffnung der Schulen müssen alle Schüler*innen und alle Lehrkräfte einmalig vor dem ersten Betreten der Schule einen PCR-Test bekommen. Im laufenden Betrieb müssen alle Schüler*innen und Lehrer*innen täglich mit Schnelltests getestet werden. Bei sehr niedrigen Inzidenzzahlen könnte es ausreichen, zweimal die Woche sämtliche Schüler*innen und Personal mit sogenannten pooled Tests zu überprüfen. Dabei werden alle Proben zu einer einzigen zusammengefasst. Nur bei einem positiven Ergebnis muss individuell nachgetestet werden. Wenn das Ergebnis innerhalb eines Tages vorliegt, bleibt genügend Zeit um zu reagieren. Einbau von Luftfiltern und Wechselunterricht können ergänzende Maßnahmen sein. Welcher Mix von Maßnahmen optimal wäre und wie sie am besten umgesetzt werden können, sollten Eltern, Lehrer*innen, Schüller*innen in Absprache mit den Gesundheitsämtern und anderen Expert*innen demokratisch entscheiden.
Die maximal zulässige Belegung in Bussen und Bahnen muss zwingend so weit reduziert werden, dass beim gleichzeitigen Tragen von FFP2-Masken Infektionen ausgeschlossen sind. Das ist zu erreichen, indem Betrieben mit unnötiger Produktion geschlossen werden, und in anderen Bereichen die Beschäftigten demokratisch entscheiden, wie weit HomeOffice möglich und vorteilhaft ist.
Alle vorhandenen Kapazitäten an still stehenden Reisebussen können als Verstärkerlinien im ÖPNV eingesetzt werden. Falls das alles noch nicht reichen sollte, muss in den Betrieben und gesellschaftlich diskutiert und entschieden werden, wie weit und in welchen Bereichen die Produktion eingeschränkt werden sollte oder vorübergehend gestoppt werden muss.
Ein Sofort-Programm zum massiven Ausbau des ÖPNV ist nötig. Kapazitäten der Automobilindustrie, die teilweise sogar brach liegen, könnten dazu genutzt werden. Das hilft auch langfristig, sowohl dem Klima als auch dem Komfort.
Abstand halten erträglich machen
Soweit Isolation von Infizierten, Quarantäne von Kontaktpersonen, Schließung von Schulen und Kitas unumgänglich sind, müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um dies so erträglich wie möglich zu machen. Einzelne Hotels könnten in Isolierstationen umgewandelt werden. In anderen könnten Einzelzimmer Schüler*innen und Studierenden, die in beengten Wohnverhältnissen leben, angeboten werden, um dort in Ruhe zu lernen. Leerstehende Hotels könnten zu Frauenhäusern umgewidmet werden, um Frauen und Kindern einen sicheren Ort vor häuslicher Gewalt zu bieten. Obdachlosen müssen Einzelzimmer angeboten werden. Sammelunterkünfte von Geflüchteten müssen sofort aufgelöst werden.
Impfstoffherstellung
Impfstoffe müssen so sicher wie möglich sein. Dazu ist eine Kontrolle durch die Gesellschaft nötig. Alle Forschungsschritte, alle Studien müssen offen gelegt werden.
Die Impfstoffherstellung muss entsprechend den technischen Möglichkeiten gesteigert werden. Das Potenzial an Laboren, Fachkräften, Hersteller-Kapazitäten für Maschinen und Komponenten müssen erhoben und dann planmäßig eingesetzt werden. Das geht nicht innerhalb einer Woche, aber es geht innerhalb von Monaten. So ist die Welt auch besser vorbereitet, um kurzfristig und massiv mit der Bereitstellung von angepassten Impfstoffen auf Mutationen des Virus zu reagieren.
Die Patente müssen offengelegt, das Patentrecht muss aufgehoben werden. Jedes Land in der Welt, dass technisch dazu in der Lage ist, muss die Impfstoffe zum Selbstkostenpreis produzieren können. Die Aufhebung des Patentschutzes wird inzwischen auch in einzelnen Medienbeiträgen gefordert. Allerdings nur vorübergehend und nur für Impfstoffe. Selbst die heute-show weist darauf hin, dass die Forschung und Entwicklung der Impfstoffe mit öffentlichen Mitteln stattfand. Das gilt allerdings ganz allgemein für die meisten Innovationen. Die großen Konzerne forschen immer weniger und kaufen einfach Patente und Start ups auf.
Die britische Variante
Die nur langsam sinkenden Infektionszahlen und die lange Zeit anhaltend hohe Zahl der Todesfälle wurde zuletzt mit der “Aggressivität” der britischen Mutante (B1.1.7) begründet, ebenso die Verlängerung des Lockdowns. Es gibt Hinweise auf eine möglicherweise um 20 bis 30 Prozent höhere Infektiosität. Gesicherte Studien gibt es dazu noch nicht.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht vor der Gefährlichkeit der britischen und anderer Varianten gewarnt wird. Doch warum wurde die Zahl der PCR-Test gegenüber dem Höchststand im November/Dezember verringert und auch seit dem Auftauchen der neuen Virus-Mutante nicht erhöht?
Zahl der in Deutschland durchgeführten PCR-Tests:
Masken und Tests schützen auch vor den Mutanten. Warum gibt es noch immer keine Schnelltests für alle und kostenlos? Warum sind FFP2-Masken nicht grundsätzlich kostenlos? Wie es aussieht, wird die tatsächlich etwas erhöhte Infektiosität benutzt, um vom eigenen Versagen bei der Bekämpfung der Pandemie abzulenken.
Millionenfach täglich testen
Die Vorstellung, dass zum Beispiel 20 Millionen Menschen täglich mit Schnelltest und mittels PCR getestet werden, erscheint den meisten Menschen zunächst illusorisch.
Der Materialaufwand ist aber vergleichsweise gering. Pro Test bedarf es nur ein paar Gramm Kunststoff und Flüssigkeit. Verglichen mit den Mengen an Millionen Einweg-Plastikflaschen, Einweg-Kaffee-Bechern und sonstigem Verpackungsmüll ist das jedoch gering.
Die PCR-Test sind eine seit Jahren etablierte Methode. Eine einzige Maschine von der Größe eines Kühlschranks bewältigt weitgehend automatisiert mehrere tausend Tests pro Tag. Eintausend dieser Geräte schaffen also mehrere Millionen Tests täglich. Es ist technisch überhaupt kein Problem, einmalig ein paar tausend dieser Geräte zusätzlich herzustellen. Zum Vergleich: in Deutschland werden Tag für Tag rund 10.000 Neuwagen produziert.
Der Personalaufwand bei der Abnahme der Tests ließe sich einfach reduzieren. Die Proben für PCR-Tests lassen sich längst zuverlässig durch einfaches Gurgeln gewinnen, die Schnelltests können Jugendliche und Erwachsene nach kurzer Einweisung selbständig durchführen.
Kosten
Die Herstellungskosten für Schnelltest dürften unter einem Euro liegen. Die Kosten für einen PCR-Test dürften im Bereich von wenigen Euro liegen. Wir wissen es nicht genau, weil die hersteller ihre Zahlen geheim halten. Der Aufwand an Material ist gering, die Stückzahlen sind riesig. Masken kosten heute auch nur noch ein Zehntel von dem was vor einem halben Jahr dafür bezahlt werden musste. Zu den finanziellen Kosten des Lockdowns gibt es sehr unterschiedliche Schätzungen. Sie reichen von 6 bis 60 Milliarden Euro pro Monat. Sicher ist: Regelmäßige Test wären weitaus preiswerter. Die sozialen und gesundheitlichen Schäden des langen Lockdowns würden vermieden.
Wer soll das bezahlen?
Eine einmalige Abgabe auf Vermögen würde reichen, um sämtliche Kosten, die die Pandemie bisher in Deutschland verursacht hat, zu bezahlen. (DIE LINKE schlägt vor: 10 Prozent ab zwei Millionen, 30 Prozent ab 100 Millionen Euro) https://www.tagesschau.de/wirtschaft/vermoegensabgabe-diw-linkspartei-101.html Stattdessen werden die Superreichen in der Krise noch reicher.
Ausbreitung neuer Viren vermeiden
Das Hin- und Herspringen dieses und anderer Viren von Tieren auf Menschen und umgekehrt muss verhindert werden. Besonders gefährliche Virenherde wie Nerzfarmen müssen weltweit sofort geschlossen werden. Die Massentierhaltung muss so schnell wie möglich beendet werden.
Internationaler Austausch
Sämtliche Erfahrungen im Kampf gegen das Virus, die Erfolge und Misserfolge epidemiologischer Maßnahmen, medizinischer Behandlungen der Opfer, neue Test-Verfahren, sowie die Erfahrungen in der Impfstoffherstellung und -anwendung müssen weltweit frei geteilt und offen diskutiert werden.
Eigentumsverhältnisse
Es ist offensichtlich, dass die genannten Maßnahmen radikale Eingriffe in die bestehenden Eigentumsverhältnisse erfordern. Die meist privaten Altenheime haben sich in der Summe als Todesfallen erwiesen. Hier treffen private Profitinteressen auf fehlende gesellschaftliche Kontrolle. Die Betreuung alter Menschen ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Sie gehört grundsätzlich in öffentliche Hand, demokratisch kontrolliert durch die Beschäftigten, die Bewohner*innen/deren Angehörige und den Staat. Die Eigentümer der Test-Labore wissen nicht mehr wohin mit ihren Extra-Gewinnen weiten aber die Kapazitäten nicht aus.
Alle Pharmakonzerne gehören in öffentliches Eigentum. Die Herstellung von Tests, Medikamenten und Impfstoffen ist nicht der harten Arbeit der Aktionär*innen zu verdanken. Auch nicht dem Einfallsreichtum einzelner Wissenschaftler*innen, die ein Unternehmen gegründet haben. Ohne öffentliche Schulen, öffentliche Universitäten, öffentliche Forschungsgelder, ohne die Millionen Beschäftigten, gäbe es weder Entwicklung noch Produktion noch Anwendung dieser Tests, Medikamente und Impfstoffe. Ein ganze Gesellschaft von arbeitenden Menschen ist dafür nötig. Deshalb muss das Eigentum, die Kontrolle und der Nutzen bei der Gesellschaft liegen. Es ist die Aufgabe von Gewerkschaften und der LINKEN, falls sie eine echte politische Alternative bieten will, die Beschäftigten und die breite Masse der Bevölkerung für diese Forderungen zu organisieren und zu mobilisieren.
Ursachen für das Versagen
Die Frage steht im Raum, wie diese erklärtermaßen pro-kapitalistische Regierung derartig bei der Bekämpfung der Pandemie versagen konnte, wo es doch im ureigensten Interesse von Industrie und Handel liegt, diese Pandemie schnellstmöglich zu überwinden. Die Antwort ist: die Herrschenden sind Gefangene ihres eigenen Systems und ihrer eigenen Ideologie. Eckpfeiler dieser Ideologie sind: das Privateigentum an Produktionsmitteln ist heilig und für die Probleme dieser Welt ist nicht ihr System, sondern immer die breite Masse der Bevölkerung verantwortlich.
Das führt im Alltag der Pandemie zu bizarren Situationen. Da verhängen Bedienstete der städtischen Ordnungsämter hohe Bußgelder für den Verzehr eines Fischbrötchens in der Fußgängerzone. Dass ein paar Meter entfernt in derselben Stadt in Altenheimen wegen fehlender Testung von Besucher*innen und Personal viele Bewohner*innen sterben, interessiert die Behörden dagegen wenig.
Kontrollen der Einhaltung des Infektionsschutzes in Betrieben, gar Einschränkung der Produktion – Fehlanzeige.
Während für den Großteil der Bevölkerung elementare Freiheitsrechte seit Monaten eingeschränkt werden und eine ganzen Generation um ein Jahr ihrer Jugend beraubt wird, während Millionen Beschäftigte und Solo-Selbständige um Einkommen und Existenz kämpfen, wird die Freiheit von Pharma-und anderen Konzernen, mit und in dieser historischen Krise Extra-Profite zu machen, nicht einmal ansatzweise angetastet.
Während das Drama sich längst zu einer Tragödie entwickelt hat, ist die die Führung der Gewerkschaften schweigend abgetaucht. Die Führung der LINKEN, soweit sie überhaupt wahrgenommen wird, verzichtet auf Fundamental-Kritik, weil sie letztlich im Rahmen eben dieses kapitalistischen Systems verharrt und weil sie gerne mit SPD und GRÜNEN die nächste Regierung bilden möchte.
Was tun?
Eine komplett andere Strategie im Kampf gegen das Virus ist möglich und nötig. Die Pandemie gefährdet Leben und Gesundheit von Milliarden Menschen, sie bedroht und beeinträchtigt die Gesellschaft weltweit. Die Antwort muss gesellschaftlich und internationale sein. Kooperation statt Gegeneinander ist international erforderlich. Das steht im direkten Widerspruch zum Grundprinzip der kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft.
Die Bekämpfung des Virus ist eine Klassenfrage. Es gibt das individuelle Profitinteresse der einzelnen Kapitalist*innen auf der einen und das gesundheitliche Interesse der Beschäftigten und der Gesellschaft auf der anderen Seite. Welche Maßnahmen in einem Betrieb notwendig und geeignet sind, um Infektionen zu verhindern, sollte logischerweise von den Beschäftigten und der Gesellschaft diskutiert und entschieden werden. Das gilt ebenso für Schulen, Kitas und in allen anderen Fragen der Pandemie, einschließlich der Fragen, wie die Einschränkungen möglichst gering gehalten, möglichst sozial gestaltet werden können.
Zwei Faktoren haben zum Ausbruch der aktuellen Pandemie geführt: die rücksichtslose Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlage und der komplette Mangel an Demokratie. Das hat zunächst zur schnellen Verbreitung in einem Teil Chinas geführt. Seit einem Jahr entscheiden in allen Ländern der Welt eine handvoll Regierungsmitglieder über Maßnahmen gegen die Pandemie, die doch Millionen betreffen. Maßnahmen, die wirksam wären, die aber die demokratische Beteiligung der Beschäftigten und der Gesellschaft erfordern würden, sind genauso außerhalb des Vorstellungsbereichs der Regierenden wie Maßnahmen, die die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse grundlegend in Frage stellen würden.
Im Mittelalter war das einfache Volk den Interessen und Launen eines Fürsten oder Königs ausgeliefert. Am Beginn des 21. Jahrhundert ist das Schicksal der Menschheit abhängig von den Profitinteressen einer handvoll Impfstoffhersteller.
Die Antwort auf diese Pandemie und zur Vermeidung künftiger Katastrophen muss demokratisch und gesellschaftlich sein. Dazu muss der Gesellschaft aber auch die demokratische Kontrolle über die Wirtschaft haben. Um die Kontrolle über die Wirtschaft zu haben, muss die Wirtschaft in das Eigentum der Gesellschaft überführt werden. Angefangen mit der Produktion von Schutzkleidung, Tests, Medikamenten, Impfstoffen, den privaten Krankenhäusern und Altenheimen.