Keine Patente auf Covid-Impfstoffe!

Im November 2020 triumphierte der Vorsitzende der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, Karl-Heinz Paqué, in der Wirtschaftswoche: „Eine Verneigung vor dem Kapitalismus wäre jetzt angebracht“. Die FAZ sah angesichts der schnellen Entwicklung von Impfstoffen die „Ehrenrettung für den Kapitalismus“. Zwei Monate später ist der Normalzustand des Systems erreicht: Ungerechtigkeit, Chaos durch Profitorientierung und Konkurrenz, Nationalismus, Inkompetenz.

Von Claus Ludwig, Köln

Produktion und Lieferung der diversen Impfstoffe laufen langsamer, als es zur Bekämpfung der Pandemie nötig wäre. Zum Teil gibt es technisch-organisatorische Gründe für die Engpässe. Entscheidend ist jedoch die Profitlogik des Systems. Die Neue Zürcher Zeitung schreibt: „Die Branche hat ihre Kapazitäten für die Herstellung von Vakzinen zwar enorm ausgeweitet, doch muss an jedem Standort die Herstellung erst hochgefahren und mit zahlreichen Partnern in einer komplexen Wertschöpfungskette abgestimmt werden.“

Doch die „komplexe Wertschöpfungskette“ könnte ganz einfach entkompliziert werden: Würden die Patente aufgehoben bzw. freigegeben, würden die Entwickler*innen und Hersteller*innen ihr Wissen teilen, würden Produktion und Verteilung wesentlich schneller gehen. Allein in Indien existieren mehrere moderne Pharma-Fabriken, die schnell auf die Produktion von Impfstoffen umgestellt werden könnten. Das noch nicht fertig entwickelte Vakzin der Tübinger Firma Curevac soll zwar von Bayer vertrieben, aber nicht in den Bayer-Werken produziert werden.

Die Entwicklung von Impfstoffen ist über Jahrzehnte von den Pharma-Konzernen vernachlässigt worden, weil sie nicht als profitabel genug galt. Die vorherigen Ausbrüche von Corona-Viren, SARS und MERS, endeten schnell. Die Investitionsmittel für die Entwicklung von Vakzinen wurden von den Konzernen heruntergesetzt. „Hätten wir nicht das Programm zur Erforschung von SARS-Impfstoffen gestoppt, könnten wir die bereits geleistete Grundlagenarbeit auf diesen sehr eng verwandten Virus anwenden.“(Prof. Jason Schwarz in einem Interview mit The Atlantic).

Verluste vergesellschaftet

Als die Corona-Krise explodierte, begann der Wettlauf um den Profit-Jackpot. Doch die Konzerne liefen nicht von allein los. Die Staaten setzten Steuergelder ein, um sie auf Trab zu bringen, insgesamt mehr als 12 Milliarden US-Dollar. AstraZeneca erhielt 1,7 Milliarden, Johnson & Johnson 1,5 Milliarden, GlaxoSmithKline 2,1 Milliarden, Novavax 2 Milliarden, Moderna 2,5 Milliarden Dollar. Ohne diesen öffentlichen Anschub verschiedener Konzerne hätten wir auf die „kapitalistische Innovation“ länger warten können. Das „unternehmerische Risiko“ mussten die Staaten übernehmen.

Biontech/Pfizer betont, die Herstellung selbst zu finanzieren und verkauft die Dosen zum satten Preis von 19 Dollar. Der Impfstoff soll laut Investment-Bank Morgan Stanley allein dieses Jahr 13 Milliarden Dollar Profit bringen, das entspricht dem Haushalt der Weltgesundheitsorganisation WHO für sechs Jahre. Die Entwicklung finanzierte Biontech/Pfizer allerdings nicht selbst, 2,5 Millionen öffentliche Gelder flossen, allein 375 Millionen Euro Steuergelder stellte Deutschland bereit.

Der US-Hersteller Moderna will bis zu 37 Dollar pro Dosis nehmen. Schon vor der ersten Impfung herrschte bei Moderna Goldgräberstimmung: „Unabhängig vom späteren Preis haben Führungskräfte von Moderna bereits profitiert, bevor der Impfstoff überhaupt zugelassen wurde. Mehrere Vorstandsmitglieder haben seit Beginn dieses Jahres immer wieder Anteile an ihrer Firma verkauft. Da in dieser Zeit der Aktienkurs deutlich gestiegen ist, haben sie damit viel Geld verdient – zusammen weit über 100 Millionen Dollar.“ (tagesschau.de)

Trotz der umfassenden Förderung mit öffentlichen Gelder werden Lizenzvereinbarungen und Lieferverträge geheim gehalten. Die Regierungen haben sich gebunden und Vorauszahlungen geleistet für Medikamente, deren Wirksamkeit teilweise noch nicht ausreichend gesichert ist. An der Wirksamkeit des Medikaments des britischen Herstellers AstraZeneca existieren Zweifel. Bei Studien wurden zu wenig ältere Menschen getestet. Zudem kann der Konzern die zugesagten Liefermengen in die EU nicht einhalten, weil es „Probleme mit einem Zulieferer in Belgien“ gäbe. Die staatlichen Gelder fließen bisher trotzdem. Sollte der EU bei AstraZeneca der Kragen platzen, wird wohl ein Deal ausgehandelt, der dem Konzern wenig schadet.

AstraZeneca erklärte sich bereit, den Impfstoff bis zum Ende der Pandemie zum Selbstkostenpreis zu verkaufen. Aus einem Vertrag mit der Regierung Brasiliens, den „Ärzte ohne Grenzen“ zitieren, geht allerdings hervor, dass der Hersteller sich vorbehält, das Ende der Pandemie selbst festzulegen. Als Termin wurde der Juli 2021 avisiert. Die Impfung wird jedoch mehrere Jahre dauern.

Staatliche Konkurrenz

Die Staaten gehen nicht abgestimmt vor. Anstatt Produktion und Verteilung zu steuern, drängeln sie sich bei Konzernen wie früher die Kund*innen beim Sommerschlussverkauf. Gleichzeitig versuchen sie, die Konzerne des eigenen Landes zu fördern. Auf Drängen Macrons hat die EU 300 Millionen Dosen bei Sanofi bestellt, um den französischen Konzern im Rennen zu halten, dieser kommt aber bei der Entwicklung nicht schnell genug vorwärts. Lieferprobleme gibt es auch bei Biontech/Pfizer. Gesundheitsämter, Kliniken und Ärzt*innen sind bereit, die Impfzentren stehen. Doch der Stoff fehlt.

In den USA und der EU, Japan, Kanada und Großbritannien leben 13% der Weltbevölkerung. Diese Staaten haben sich über 50% der in 2021 mutmaßlich verfügbaren Impfdosen gesichert. Die Menschen im globalen Süden, auch in Ländern, in denen das Virus stark verbreitet sind, werden erst später einen Zugang zu den Impfstoffen haben. Das ist nicht nur ungerecht, es ist zudem ineffektiv bei der Bekämpfung der Pandemie. Solange Herde irgendwo auf der Welt bestehen, wird die gesundheitliche Krise auch weltweit anhalten.

Eine globale Krise erfordert eine globale Antwort. Neben der Ausweitung der Produktion durch die Offenlegung des Wissens und die Aufhebung von Patenten muss die Verteilung weltweit nach den Kriterien des Bedarfes und der effizienten Bekämpfung der Pandemie organisiert werden.

Gesundheit in öffentliche Hand

Die schnelle Entwicklung der Covid-Impfstoffe ist kein Verdienst der kapitalistischen Profitwirtschaft, sondern ein Erfolg der Wissenschaft. Diese wird durch die Profitorientierung behindert. Mehrere Studien kommen zu dem Schluss, dass die Pharma-Industrie weltweit mehr in die Werbung steckt als in Forschung und Entwicklung. Ganz klar ist das nicht, weil in den USA auch verschreibungspflichtige Medikamente beworben werde dürfen, hierzulande nicht. Zudem sind nicht alle Werbungsausgaben (Besuche bei Ärzt*innen, Kongresse, Artikel in Fachmagazinen usw.) als solche deklariert. Ob die Werbungskosten bei 50 oder 120% der Forschungsausgaben liegen, ist nicht entscheidend. Sicher ist: Sie sind gewaltig. Und überflüssig. Dazu kommt, dass die Forschung sich auf gewinnbringende Medikamente konzentriert, die in den entwickelten kapitalistischen Ländern verkauft werden können und nicht auf die medizinisch notwendige Bekämpfung von Krankheiten zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent.

Natürlich werden die Wissenschaftler*innen durch die Konkurrenz angetrieben, alle wollen die ersten sein. Diese würde allerdings auch belohnt werden können ohne Patente und private Profite – durch wissenschaftliche Anerkennung und durch finanzielle Anreize wie Prämien für die erfolgreichen Forscher*innen und Ingenieur*innen.

Die Anwendung der Innovationen wird durch miteinander konkurrierende Konzerne und deren treu ergebene Regierungen behindert. Die Impfstoffe tragen nicht so schnell und umfassend zur Bekämpfung der Pandemie bei, wie es nötig wäre. Das wird weitere Zehntausende unnötige Todesfälle zur Folge haben.

Ein anderer Umgang mit den Impfstoffen wäre möglich: Sämtliches Wissen sollte zum gesellschaftlichen Gemeingut erklärt und Patente aufgehoben werden. Produktion und Verteilung beschleunigt und weltweit gerechter organisiert werden. Pharma-Produktionsstätten sollten auf staatliche Anweisungen zur Produktion von Impfstoff umgewidmet werden, wenn dies technisch möglich ist. Alle Abkommen und Verträge bezüglich der Herstellung und Verteilung der Impfstoffe müssen veröffentlicht werden.

Staatliche Investitionen in die Impfstoff-Entwicklung sind richtig, aber es ist absurd, dass die Allgemeinheit bezahlt und Kapitalbesitzer*innen profitieren. Die Geschäftsbücher der Pharma-Konzerne sind offen zu legen. Sie müssen nachweisen, dass sie aus Entwicklung und Verkauf der Impfstoffe keinen Profit erzielen, sondern diesen zum Selbstkostenpreis produzieren.

Wenn die Konzerne ihre Zahlen nicht offenlegen oder Wissen zurückhalten, sind sie zu enteignen und in öffentliches Eigentum zu überführen – unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten, der Gewerkschaften, staatlicher Vertreter*innen und Vertreter*innen des Gesundheitswesen und von Patient*innen.

FFP2- und medizinische Masken für alle und kostenlos!

Die bundesweite Pflicht, FFP2- oder OP-Masken im ÖPNV und in Geschäften zu tragen wurde zuerst in Bayern eingeführt, mit nur wenigen Tagen Vorwarnzeit.

Diese begrenzt verfügbare und unbequem zu tragende Schutzausrüstung verhindert zwar bei richtigem Gebrauch viele Infektionen. Es wurde allerdings versäumt, die Verteilung rechtzeitig zu organisieren. Das ist eine große Belastung für Familien und Geringverdiener*innen, die diese auf eigene Rechnung kaufen müssen.

In Bayern waren die Masken binnen Stunden bei lokalen Drogerien und Apotheken sowie den Online-Händlern ausverkauft. Wie schon beim ersten Lockdown begann eine neue Sternstunde des Amazon-Schwarzmarkts.

Auf Drängen von LINKE, SPD und Sozialverbänden versprach der bayrische Ministerpräsident Söder, dass bis zu 2,5 Millionen Masken an Geringverdiener gratis verteilt werden. Das Ergebnis bleibt abzuwarten. Das Bundesland Bremen will an alle Bürger*innen fünf FFP2-Masken verschicken, die bis Mitte Februar ankommen sollen – eine nette Geste, aber ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Es könnte so einfach sein: Firmen müssten beauftragt werden, ausreichend Masken zum Selbstkostenpreis herzustellen, die Kommunen müssten die Verteilung übernehmen.

Nicht nur bei den Masken ist die Pandemie ein großes Geschäft. Auch das Testen gibt der Staat mehr und mehr aus der Hand. In vielen Städten entstehen private Teststationen, die 50-100 Euro für einen Test nehmen und ein Riesengeschäft machen. Es verweist auf den Charakter dieses Staates, dass eine solche Abzocke überhaupt erlaubt wird.