Sieben Tage Gefängnis, weil er die Wahrheit gesagt hat

Im Januar und Anfang Februar erschütterten Russland massive Proteste. Es waren vor allem Jugendliche, die gegen Korruption und gegen das Putin-Regime, auf die Straße gingen und Freiheit für politische Gefangene forderten.

von Reporter*innen der Sotsialisticheskaya Alternativa ( Schwesterorganisation der SAV in Russland)

Unterstützung für in Kasan verhaftete russische Aktivist*innen ist nötig!

Bitte sendet Unterstützungsnachrichten an Dzhavid – er kann auf Telegram unter @harronn erreicht werden oder indem ihr eine E-Mail an IntSocAltRussia@gmail.com schickt.

Spenden zur Unterstützung von Dzhavid zur Zahlung der Geldstrafen können an patreon.com/socalt geschickt werden. Ihr könnt entweder einen monatlichen Betrag oder eine einmalige Zahlung leisten – letzteres, indem ihr „nach der ersten Zahlung löschen“ in den Nutzungsbedingungen des Kontos angebt.

Die Proteste begannen, nachdem der Oppositionsführer Alexey Navalny wieder nach Russland zurückgekehrt war und direkt für 3,5 Jahre inhaftiert wurde. Über 10.000 Menschen wurden verhaftet, mehrere Dutzend bekamen Gefängnisstrafen. Navalnys Büro hat angekündigt, dass es bis zum Sommer keine weiteren Massenproteste organisieren wird. Man werde sich auf die Parlamentswahlen im Herbst konzentrieren und „auf ausländischen Druck setzen“, um die Freilassung der Gefangenen zu erreichen.

Bei den Wahlen werden diese Leute die gleiche Strategie anwenden, wie schon bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr: „smart voting“. In jedem Wahlbezirk werden sie den*die Kandidat*in wählen, der*die am besten in der Lage ist, die Kreml-Partei „Einiges Russland“ zu schlagen. Letztes Jahr hieß das oft, Kandidat*innen der sogenannten „Kommunistischen Partei“ oder der Partei „Gerechtes Russland“ zu unterstützen – die weithin als kremlfreundlich angesehen werden – oder offen liberale, pro-kapitalistische Kandidat*innen.

Der Kreml hat natürlich die Ankündigung, dass die Opposition „auf ausländischen Druck setzen“ werde, begeistert aufgegriffen, um die Proteste als von antirussischen Kräften organisiert darzustellen.

Die Ankündigung, dass die Proteste ausgesetzt werden, wurde von vielen Teilnehmer*innen mit Bestürzung aufgenommen. Immerhin waren Tausende bereit, für ihre Teilnahme Polizeigewalt in Kauf zu nehmen, verhaftet zu werden und ihren Job zu verlieren. Erst gestern wurde ein Pfleger entlassen, der sich seit Monaten um die Kranken in einem Moskauer Notfallkrankenhaus gekümmert hatte.

Die Aussetzung durch Navalnys Leute unterstreicht zwei sehr wichtige Punkte, für die die Unterstützer*innen von Sotsialisticheskaya Alternativa von Anfang an argumentiert haben: Erstens müssen die Proteste von demokratisch aufgebauten Komitees organisiert werden, und zweitens brauchen wir, wenn Korruption, autoritäre Herrschaft und Armut besiegt werden sollen, einen sozialistischen Kampf unabhängig von den prokapitalistischen Kräften.

Fackelproteste in Moskau

Am vergangenen Wochenende kündigte Navalnys Büro eine Fackeldemonstration an, und um 8 Uhr am Sonntagabend versammelten sich Unterstützer*innen mit Fackeln in Innenhöfen, um ihre Unterstützung zu zeigen. Am Samstag wurde im Zentrum Moskaus eine „Frauenkette“ in Solidarität mit Julia Nawalnaja abgehalten. „Liebe ist stärker als Angst“ war das Motto. Die Ultrarechten tauchten auf und bedrohten die Teilnehmerinnen, darunter auch Aktivistinnen von SozFemAlternativa.

Sotsialisticheskaya Alternativa nutzt jede Möglichkeit, um unsere Argumente für eine unabhängige Organisation zu verbreiten. Wir nahmen an den Hofversammlungen teil, um mit anderen in Kontakt zu kommen, damit die Proteste weiter organisiert werden. In einigen Teilen der Stadt gab es sogar spontane Demonstrationen, wo sich viele Leute versammelte.

Wir schickten aber auch eine Delegation nach Kasan, einer wichtigen Stadt an der Wolga, Hauptstadt der Republik Tatarstan. Aus irgendeinem Grund hatten die Behörden dort für Samstag eine kleine Demonstration genehmigt, was theoretisch bedeutet hätte, dass die Teilnehmer*innen ohne die Gefahr einer Verhaftung protestieren können. Aber die Polizei hatte andere Pläne. Der Platz wurde abgeriegelt, so dass sich nicht mehr als 200 Personen versammeln konnten. Hunderte andere wurden mit Zäunen ausgesperrt.

Protestierende der SozFemAlternativa weigern sich, ihr Transparent einzupacken


Aber Sotsialisticheskaya Alternativa und SozFemAlternativa konnten ihre Transparente halten und sogar sprechen. Den liberalen Organisator*innen gefiel das SFA-Transparent nicht, auf dem „Gegen das Regime, die Unterdrückung und die Armut“ stand und zu einem zweistündigen Streik am Internationalen Frauentag aufgerufen wurde. Aufgrund ihrer Beschwerden wurden unsere Unterstützer*innen beim Verlassen der Veranstaltung von der Polizei angegriffen und neun von ihnen verhaftet. Sechs wurden später ohne Anklage freigelassen, zwei wurden zu einer Geldstrafe verurteilt und Dzhavid wurde für sieben Tage ins Gefängnis gesteckt, weil er angeblich „Anordnungen der Polizei nicht gehorcht“ hat – in Wirklichkeit wurde er aber für das „Verbrechen“, auf einer Versammlung zu sprechen, bestraft.

Über diese Ungerechtigkeit wurde natürlich in der Oppositionspresse ausführlich berichtet. Der russischsprachige Sender von „Voice of America“ brachte unser Transparent sogar in seinen Nachrichtensendungen. Unser Besuch hat jedoch nicht nur unseren Bekanntheitsgrad erhöht, wir haben jetzt auch neue Unterstützer*innen in Kasan. Lokale Sympathisant*innen sorgen dafür, dass Dzhavid ordentliches Essen bekommt – etwas, das die örtliche Polizei nicht bereitstellt.

Den Originalartikel lesen auf der Website der ISA.