Ein Interview mit Angela Bankert, die für die Landesliste NRW zur Bundestagswahl kandidiert.
Du kandidierst für Listenplatz 1 in NRW – den „Stammplatz“ von Sahra Wagenknecht, den der Landesvorstand erneut für sie reservieren wollte. Was sind die Gründe, gerade auf diesen Platz zu kandidieren?
Erstens: Ich verstehe meine Kandidatur als Signal an alle Aktiven in gewerkschaftlichen, sozialen, ökologischen, feministischen und migrantischen Bewegungen, dass die LINKE an ihrer Seite steht. Ich stehe für einen Brückenschlag zwischen Gewerkschaftsbewegung und ökologischer Bewegung. Daran habe ich in Köln mitgewirkt als Gewerkschaftssekretärin und in der Klimaschutzbewegung.
Zweitens: Ich vertrete ohne Wenn und Aber die migrationspolitischen Positionen, die die Partei und der NRW-Landesverband mit großer Mehrheit beschlossen haben. Die Gedenkveranstaltungen von Hanau am 19. Februar haben mich erneut sehr nachdenklich und traurig gemacht. Wir als Linke müssen da ganz unzweideutig Stellung beziehen und Rassismus in allen Formen bekämpfen.
Drittens: Ich vertrete eine verbindende Klassenpolitik, welche die gemeinsamen Interessen der verschiedenen Schichten betont. Die Klasse der Lohnabhängigen hält die Gesellschaft am Laufen und ist die zentrale Kraft für grundlegende Veränderungen. Die Zusammensetzung der Klasse hat sich stark verändert, sie ist weiblicher, migrantischer, auch akademischer geworden. Das kann nicht zur Folge haben, sich auf die eine oder andere Schicht stärker zu konzentrieren, sondern die gemeinsamen Interessen herauszuarbeiten und den gemeinsamen Kampf dafür organisieren zu helfen.
Das kapitalistische System schafft soziale Ungleichheit, Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen, bedroht unser Leben in der Pandemie, schürt Rassismus und vertieft Spaltungslinien. Die Kämpfe dagegen gehören zusammen und müssen gebündelt werden. Das führt mich viertens zum Thema Wirtschaft. Die wirtschaftlichen, ökologischen und gesundheitlichen Krisen sind keine Naturkatastrophen, sondern kapitalismus-gemacht. Dieses System hat als eine einzige Triebkraft die Kapitalverwertung, welcher der ganze Planet untergeordnet wird. In diesem Stadium gibt es kein zurück zum alten Sozialstaat mit keynesianischer Ausgabenpolitik und Mittelstandsförderung. Statt Profitwirtschaft und Ökonomisierung aller Lebensbereiche brauchen wir eine Gebrauchswerte produzierende, ökologisch wirtschaftende, demokratisch geplante, sozialistische Ökonomie. Dieses Ziel gilt es zu popularisieren. Wir müssen offensiv vertreten, dass Bereiche wie Gesundheitswesen, Pharmaindustrie, Wohnungswirtschaft dem Markt entzogen und in öffentliches Eigentum überführt werden müssen, bei demokratischer gesellschaftlicher Kontrolle.
In deinem Vorstellungstext schreibst du „der Aufbau gesellschaftlicher Gegenmacht ist das Gebot der Stunde“. Als Aktive in sozialen Bewegungen in Köln, als Gründungsmitglied der SAV und der LINKEN und als linke Gewerkschaftssekretärin bei ver.di und der GEW hast du darin reichlich Erfahrung. Wie würdest du als Abgeordnete Gegenmacht unterstützen?
Ich rede nicht über Lohnabhängige möchte nicht „Fürsprecherin“ für Bedrängte sein, sondern ich spreche mit ihnen vor Ort. Als gewerkschaftliche Organzerin weiß ich, dass es darum geht, die Selbstorganisation zu befördern. Abgeordnete müssen bei wichtigen Bewegungen, die in die richtige Richtung gehen, Präsenz zeigen und diese unterstützen.
Die linke Bundestagsfraktion müsste insgesamt nicht so handzahm sondern viel rebellischer auftreten und stärker kampagnefähig werden. In der aktuellen Situation zum Beispiel fände ich eine Kampagne von Partei und Fraktion angebracht mit den Eckpunkten: Patente freigeben, Impfstoffproduktion anordnen in Kooperation mit Belegschaften, Betriebsräten und Gewerkschaft; Abschaffung der Fallpauschalen, keine Krankenhausschließung mehr sondern bedarfsgerechte Finanzierung, massive personelle Aufstockung und Aufwertung der Berufe im Gesundheitswesen. Die Finanzierung muss durch die Belastung der Reichen und Superreichen erfolgen, durch eine Corona-Sonderabgabe auf Vermögen ab einer Million und die Einführung einer Vermögenssteuer. Diese Dinge liegen doch auf der Hand und werden auch breit unterstützt. Entsprechende Initiativen, Petitionen und Aktiven-Netzwerke gibt es. Wir sollten die Bündelung politisch voranbringen.
Wie siehst du das Spannungsverhältnis Partei und Fraktion?
Ich stehe für das Primat der Partei. Abgeordnete brauchen die Rückkoppelung mit der Basis in Partei und Bewegungen. Ich beobachte eine zunehmende Dominanz der Parlamentsfraktionen, Mandatsträger:innen und ihrer Mitarbeitenden, von der Kommunalebene bis zum Bundestag. Das tut der Partei nicht gut, weder hinsichtlich ihrer Programmatik noch ihrer Verankerung. Es führt zu verstärkter Ausrichtung auf parlamentarische Arbeit und Regierungsteilnahme. Ähnliche Entwicklungen haben Grüne und SPD durchgemacht. Eine weitere solche Partei braucht aber niemand.
Linke Abgeordnete dürfen sich nicht mit den Repräsentant*innen der herrschenden Klasse vergleichen, sondern sollten in der arbeitenden Klasse verankert sein. Dafür gehört für mich auch, dass sie nicht mehr als einen durchschnittlichen Facharbeiter*innen bzw. ein mittleres Gehalt im öffentlichen Dienst beziehen sollten. Ich persönlich werde alles darüber hinaus für die politische Arbeit abführen.
Welche Beispiele siehst du für die Dominanz der Fraktion?
Ein aktuelles Beispiel ist die Vermögensabgabe, bei der sich Grüne und SPD zieren, ebenso manche Gewerkschaftsspitze, wie der gemeinsame Brief von DGB-Chef-Hofmann und Grünen-Chef Habeck gezeigt hat. Alle anderen Parteien möchten die Frage “Wer bezahlt für die Krise?” auf die Zeit nach der Wahl verschieben und die Rechnung erst dann präsentieren. Auch da hätte die LINKE ein Alleinstellungsmerkmal.
Die Dominanz der Fraktion drückt sich hier in einer geradezu lächerlichen Forderung aus, die leider auch Eingang in den Entwurf des Wahlprogramms gefunden hat. Gefordert wird ein Volumen von 310 Milliarden Euro, auf 20 Jahre gestreckt. Mit Verzinsung kommen da 19 Milliarden Euro im Jahr raus. Die Fraktion in ihrem Material beteuert, das sei eine „moderate Abgabe“, bei der „die jährlichen Belastungen sehr gering“ ausfallen und „überwiegend wird nicht einmal die Substanz des Vermögens belastet“ werde.
Das ist doch in Anbetracht der Corona-Kosten ganz offensichtlich völlig unzureichend und bleibt weit hinter dem zurück, was gesellschaftliche Bündnisse wie UmFairteilen schon gefordert hatten. In der Tat könnten die Milliardäre das aus dem laufenden Vermögenszuwachs mit links bezahlen; es gibt nicht das kleinste Umverteilungsmoment. Da sträuben sich mir die Haare, was die Fraktion aus dieser sinnvollen Forderung gemacht hat. Es ist grundfalsch zu glauben, je bescheidener die Forderung, umso realistischer sei sie durchzusetzen. Breite gesellschaftliche Bewegungen braucht es leider auch für den kleinsten Fortschritt.
Ich kann nur hoffen, dass das Wahlprogramm anders aussieht als der Entwurf. Ich unterstütze hier den Beschluss des NRW-Landesparteitags, der eine Abgabe von 50% ab 50 Millionen Euro vorsieht. Ich halte es nötig, im Bundestagswahlkampf eine Kampagne für eine deutliche Vermögensabgabe auf die Beine zu stellen. Wir sind in meinem Kreisverband Köln auch schon in den Vorbereitungen für eine solche Kampagne, möchten diese aber nur ungern für eine derart handzahme Forderung durchziehen.
Was für Reaktionen auf die Kandidatur hast du bisher von innerhalb und außerhalb der Partei bekommen? Es wird ja behauptet, die Kandidatur würde Zwiespalt säen und Schlammschlachten befördern.
In einer demokratischen Partei sollten mehrere Kandidaturen, auch für einen Spitzenplatz, ein normaler Vorgang sein. Das kriegt ja selbst die CDU hin. Ich führe keine Schlammschlacht sondern erkläre sachlich, wofür ich inhaltlich stehe. Weder ich noch die AKL attackieren im Wochenrhythmus in Podcasts, in Talkshows, in Welt und Focus die LINKE und die Linke. Ich empfinde die Vorwürfe als Umkehrung der tatsächlichen Vorgänge.
Die Reaktionen aus der Partei sind gemischt, die Reaktionen aus Bewegungen sind überwiegend positiv. In der Partei sind viele der Meinung, eine prominente und bekannte Person würde mehr Stimmen ziehen. Ein prominentes Zugpferd ist sicher nicht unwichtig, die Frage ist nur, in welche Richtung es zieht. Ich glaube, dass die Bindung unseres Umfelds und unserer potentiellen Wähler*innen an unsere Inhalte viel wichtiger sind als der Promi-Faktor. Das sieht man auch bei einer Wahlanalyse auf Wahlkreisebene, zumindest im Westen. Prominente bekommen vielleicht ein paar Prozent mehr Erststimmen, das schlägt sich aber nicht in einem überragenden Ergebnis für die Partei-Stimmen nieder. Bei der letzten Bundestagswahl hatte NRW-weit eine Kölner Genossin das beste Zweitstimmenergebnis, die überörtlich gar nicht bekannt ist.