Nach der Twitter-Sperre gegen Donald Trump ist eine Debatte über die Macht der Tech-Konzerne entstanden, die mit der Kontrolle über die auf ihren Plattformen geposteten Inhalte massiven Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse ausüben. Jan Böhmermann, nicht unbedingt als radikaler Linker bekannt, twitterte die Forderung nach Enteignung von Konzernen wie Twitter, Facebook und Google.
Von Thies Wilkening, Hamburg
Dass eine Handvoll Großaktionär*innen und Manager*innen von Facebook, Twitter oder Alphabet/Google letztlich bestimmen kann, was und von wem gepostet werden darf, ist ein reales Problem und die Debatte darüber längst überfällig.
Wir stimmen Böhmermann zu – diese Konzerne gehören in öffentliches Eigentum überführt. Aber auch eine simple Übernahme der Netzwerke durch bürgerliche Staaten wäre noch keine Lösung. Die Konzerne erzielen ihren Gewinn aus sozialen Netzwerken vor allem durch angezeigte Werbung. Dementsprechend richten sie ihre Löschpraxis in der Regel nach den Interessen der Werbekunden aus. Auch beim Umgang mit Trump spielt Druck durch Unternehmen, die nicht mit dem zunehmend unpopulären Präsidenten in Verbindung gebracht werden wollten eine Rolle.
Auch Regierungen können schon jetzt Zensur durchsetzen, wie sich über Jahre immer wieder gezeigt hat, zum Beispiel an der Löschung nicht verbotener kurdischer Symbole bei Facebook. Wenn sie die direkte Kontrolle über die Plattformen hätten, würden etwa Accounts linker Gruppen vermutlich schneller verschwinden als heute.
Schon jetzt wird die Zensur stärker. So wurden diverse Facebook-Seiten der britischen Socialist Workers’ Party und einige Accounts ihrer Mitglieder Ende Januar gelöscht, weil ein Algorithmus ihre Inhalte als “Hassrede” klassifiziert hatte. Nach Protesten wurden die meisten Seiten und Accounts einen Tag später wieder hergestellt, ein Teil blieb allerdings verschwunden.
Alternativlose Konzerne
Warum fordern wir nicht einfach alle Menschen auf, die Netzwerke der Konzerne nicht mehr zu nutzen und zu nicht-kommerziellen Alternativen zu wechseln? Technisch wäre das kein Problem, es gibt längst freie Software, deren Funktionsumfang großen sozialen Netzwerken entspricht, zum Beispiel den Twitter-Klon Mastodon. Auch Serverkapazitäten können bisher aus Spenden finanziert werden. Aber die geringen Nutzer*innenzahlen und die oft kaum vorhandene Aktivität auf nicht-kommerziellen Plattformen zeigen, dass das Problem dieses Ansatzes woanders liegt – in der Natur sozialer Medien als Kommunikationsmedien.
Kommunikation setzt voraus, dass Menschen, die miteinander kommunizieren wollen, dies über dieselbe Plattform tun. Solange die Kommunikation innerhalb eines begrenzten Freundeskreises oder einer bestimmten politischen Filterblase passiert, ist es noch möglich, sich auf eine Plattform abseits der großen Konzerne zu einigen. Das bekannteste Beispiel dürfte die “Alt-Right” (neue Rechte) in den USA sein, die sich nach der Sperrung diverser Facebook- und Twitter-Accounts und Subreddits eigene soziale Medien wie Parler oder Gab geschaffen hat, die außerhalb der rechten Szene quasi nicht genutzt werden.
Wer aber mit Menschen über ein vorab bestehendes Umfeld hinaus in Kontakt treten will, ist letztlich gezwungen, die populären sozialen Netzwerke zu nutzen. Durch diesen Effekt entsteht zwangsläufig ein Oligopol, in dem sich die Masse der Nutzer*innen auf einigen wenigen Netzwerken sammelt, die auf unterschiedliche Typen von Inhalten, bzw. im Fall Chinas und Russlands auf einzelne Länder spezialisiert sind und dafür jeweils Monopole darstellen.
Enteignung notwendig
Selbst wenn alternative Netzwerke mit öffentlichen Mitteln aufgebaut und massiv beworben würden wäre keinesfalls garantiert, dass sie genügend Nutzer*innen gewinnen können, um langfristig zu überleben. Um die Macht der Milliardäre über Plattformen und Content zu brechen, ist daher eine Vergesellschaftung unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung nötig – open source-basiert, unkommerziell und für alle zugänglich. So könnten Nutzer*innen gemeinsam mit den Entwickler*innen und anderen Expert*innen, etwa für Datenschutz gemeinsam über die Strukturen, die weitere Entwicklung und die Kriterien für die Löschung von Inhalten und Accounts entscheiden und soziale Netzwerke wären für ihre Nutzer*innen da statt für Profite.