Bidens Konjunkturprogramm verabschiedet: Kurzfristiger Nutzen für Beschäftigte – langfristig aber wirkungslos

Das 1,9 Billionen Dollar schwere Corona-Hilfspaket des neuen US-Präsidenten ist so gut wie Gesetz. Es steht für den ersten großen Erfolg der neuen Regierung auf legislativer Ebene und wird von führenden Vertreter*innen der Demokraten als historischer Fortschritt gefeiert. Zweifellos wird dieses Programm kurzfristig einen spürbaren Effekt haben und den Menschen helfen, die unter dem verheerenden, durch die Pandemie ausgelösten, wirtschaftlichen Zusammenbruch zu leiden haben. Langfristig wird es den arbeitenden Menschen aber kaum helfen.

von Keely Mullen, Socialist Alternative (Schwesterorganisation der SAV und ISA in den USA)

Bei diesem Hilfsprogramm handelt es sich um das zweitgrößte in der US-Geschichte, das je umgesetzt wurde. Es folgt auf das „CARES“-Gesetz, das im März 2020 in Kraft getreten ist. Das jetzige Paket beinhaltet eine Einmalzahlung an Menschen mit niedrigem Einkommen in Form von Schecks, eine Erhöhung der Arbeitslosenhilfe und Zuschüsse für die Kinderbetreuung. Es ist auch die erste größere Zahlung an die Bundesstaaten seit Beginn der Pandemie, die es ihnen angeblich ermöglicht, entlassene Verwaltungsangestellte wieder einzustellen und klaffende Löcher in den Staatshaushalten zu stopfen. Dies steht in deutlichem Kontrast zum letzten Jahr, als das Konjunkturprogramm größtenteils eine Rettungsaktion für die amerikanischen Unternehmen war.

Um den Umfang zu verstehen: Ein Paar mit 2 Kindern erhält 5.600 Dollar Direkthilfe aus dem Paket. Mit den erhöhten Steuernachlassen für Kinder, die nun in Form monatlicher Zahlungen realisiert werden, können Familien ein Jahr lang monatlich zwischen 250 und 300 Dollar je Kind erhalten. Hinzu kommt, dass Familien höhere Rückerstattungen beantragen können, um die gestiegenen Kosten für die Kinderbetreuung geltend zu machen. Es wird vermutet, dass das Gesetz die Kinderarmut in den USA zeitweilig halbieren wird. Wenn die Maßnahmen 2022 enden, werden aber auch die positiven Effekte verschwinden.

Wenn man sich diese Maßnahmen im US-amerikanischen Kontext ansieht, dann ist nicht zu übersehen, dass sie einen Richtungswechsel darstellen – vor allem im Vergleich zu dem, was 2008/-09 passiert ist. Die bisherigen Regierungen haben stets und über Jahrzehnte hinweg eine neoliberale Austeritätspolitik betrieben, eine „sparsame“ Ausgabenpolitik praktiziert und Rettungspakete für Konzerne geschnürt. Nun haben sowohl die Regierung als auch die Notenbank „Federal Reserve“ gesagt, dass die Angst vor einer Inflation nicht mehr als entscheidendes Maß betrachtet werden sollte, was in der Vergangenheit von ihnen immer als der Grund für begrenzte Hilfspakete angegeben worden ist. Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass die Demokraten jedem Penny der vielen Milliarden zugestimmt haben, die letztes Jahre in die Taschen der Konzerne geschaufelt wurde, genauso wie den extremen Summen, mit denen die Finanzmärkte aufgefangen wurden. Und wenn irgendwann die Rechnung dafür kommt, werden die gleichen Demokraten auch nicht zögern, sie an die Arbeiter*innen weiterzugeben.

Was steckt hinter diesem Kurswechsel?

Biden wird für diese Politik gefeiert – nicht nur von den konzernhörigen Medien, die ihn schon als eine Art Robin Hood bezeichnet haben, sondern auch von den Kapitalist*innen in Amerika selbst. Fakt ist, dass 73 Prozent der Geschäftsführer*innen dieses Konjunkturpaket unterstützen. Biden hat ein extrem einflussreiches Bündnis mit Konzernchef*innen geschmiedet und hinter sein Corona-Hilfsprogramm gesammelt. Unter ihnen befinden sich Jamie Dimon, der Vorstandsvorsitzende von „JPMorgan“, der größten US-Bank und „Walmart“-Chef Doug McMillon,  sowie nicht näher genannte hohe Vertreter*innen von US-amerikanischen Fluggesellschaften, General Motors, Ernst & Young und weiteren. Scheinbar waren sie sich alle einig, dass kein Hilfspaket „zu groß sein“ könnte.

Das zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie stark die Krise ist, in der sich der US-amerikanische Kapitalismus befindet – und wie groß die Verzweiflung der herrschenden Klasse ist, eine tragfähige Lösung zu finden. Das massive Konjunkturpaket von vergangenem Jahr (das im Gegensatz zum jetzigen von beiden Parteien mitgetragen worden ist) hat den totalen wirtschaftlichen Zusammenbruch verhindert. Doch auch wenn diese Maßnahmen von der herrschenden Klasse vorläufig als notwendig betrachtet wurden, so helfen sie in keinster Weise gegen die tiefer liegenden Ursachen der Wirtschaftskrisen von 2008/-09 und 2020: Das geringe Produktivitätswachstum bleibt davon ebenso unberührt wie der Mangel an Investitionen durch die Kapitalist*innen in die Wirtschaft. Die Größe dieses Pakets, ausschließlich gebaut auf Krediten, ist nur wegen der historisch niedrigen Zinsen möglich und dadurch, dass die USA immer noch die größte Wirtschaftsmacht ist und die Leitwährung der Welt stellt. Aber Schuldenberge, wie man sie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr gesehen hat, sind auf Dauer nicht tragbar.

Dabei geht es nicht nur im die Schulden, die der Staat macht. Obwohl viele Amerikaner*innen in der Zeit der Pandemie mehr sparen konnten und die Ausgaben für Waren gestiegen sind, ist die Verschuldung der Konsument*innen so hoch wie nie.

Bidens Konjunkturmaßnahmen werden von der US-amerikanischen herrschenden Klasse breit unterstützt, weil sie – neben der steigenden Zahl an Geimpften – der Wirtschaft einen Schub verpassen werden und zu einem zeitweiligen Aufschwung führen können. Tatsächlich befindet sich die Wirtschaft bereits in einer Aufwärtsbewegung, die darauf zurückgeht, dass die Bundesstaaten die Corona-Beschränkungen lockern und die Verbraucher*innen online einkaufen. Ein großes Hindernis besteht jedoch noch darin, dass die Pandemie trotz des starken Rückgangs an täglichen Neuinfektionen seit Januar noch längst nicht vorüber ist. Es besteht die reale Gefahr einer vierten Welle, verursacht durch neue Virus-Varianten, die durch die rücksichtslose Öffnung der Wirtschaft noch verschärft werden könnte. Solange die Impfungen wirken, wird der Trend in Richtung „Zurück zur Normalität“ gehen. Das Tempo kann sich aber stark verlangsamen, je nachdem wie schnell sich die neuen Varianten ausbreiten.

Was hinter dem Aufschwung versteckt bleibt

Hinter diesem wirtschaftlichen Aufschwung verbirgt sich auch ein noch nie dagewesenes Ausmaß an Prekarität, mit dem sich die große Mehrheit der amerikanischen Arbeiter*innen konfrontiert sieht, für die selbst die größten befristeten Maßnahmen und einmaligen Schecks keine Lösung bieten können.

Beinahe 20 Prozent der Mieter*innen sind mit ihren Mieten im Rückstand. Jede*r von ihnen muss im Schnitt 5.600 Dollar an Nachzahlungen leisten. Im Dezember summierten sich die Mietschulden insgesamt auf 70 Milliarden Dollar. Die Summe ist mit jeder ausgeblieben Zahlung, Monat für Monat, weiter gestiegen. Bidens Konjunkturpaket beinhaltet nur 21,5 Milliarden Dollar für Mietzuschüsse. Das ist weniger als ein Drittel der gesamten Mietschulden. Eine Einmalzahlung von 1.400 Dollar mag bei einer Monatsmiete helfen. Aber was ist mit der Miete für den Folgemonat? Was passiert, wenn im September die Aussetzung der Zwangsräumungen endet?

Die Schulden der Studierenden sind auf 1,7 Billionen Dollar gestiegen. Durch die vorübergehende Aussetzung der Raten ist die Zahl der säumigen Schuldner*innen zwar nicht mehr so schnell gestiegen wie vorher – aber was wird passieren, wenn die Ratenzahlungen im September wieder eingefordert werden? Was macht man, wenn man erstmal in die Situation geraten ist, im Schnitt fast 400 Dollar im Monat für Studiengebühren aufbringen zu müssen?

Auch wenn der Umfang des Hilfspakets für Millionen Amerikaner*innen direkte Verbesserungen bedeutet und der Wirtschaft zeitweise neuen Auftrieb geben wird, zögert es doch nur eine unvermeidliche noch größere Krise heraus. Wahrscheinlich wird sie in Form einer gewaltigen Finanzkrisen kommen, ausgelöst durch das Platzen der Aktienblase, Schuldenblase der Konzerne oder durch ärmere Staaten, die ihre Schulden nicht mehr bedienen können. Die Vorstellung, dass der Kapitalismus auch nur zu der Stabilität zurückfinden kann, die er noch zu Beginn dieses Jahrhunderts hatte, entspringt dem Reich der Phantasie.

„Wir müssen“ , aber wie?

Das grundlegende Problem des Hilfspakets bleibt – trotz seiner Größe und der möglichen kurzfristigen Positiv-Effekte – dass es faktisch keine dauerhaften Verbesserung für arbeitende Menschen beinhaltet. Das versinnbildlicht im Grunde alles, was man über die Führung der Demokratischen Partei wissen muss: Sie dient den Interessen der Konzerne.

Fortschrittliche Kräfte im Kongress waren nie in einer besseren Position, um ihre Prioritäten auf die Tagesordnung zu setzen. Mit einer derart dünnen Mehrheit, die die Demokraten in beiden Häusern und dem Senat haben, sind die Fortschrittlichen im Prinzip das Zünglein an der Waage. Im Repräsentantenhaus können die sechs Kernmitglieder von „The Squad“ ganz allein jede Gesetzesinitiative so lange rauszögern, bis ihre Forderungen berücksichtigt werden. Im Senat ist Bernie Sanders dazu sogar allein in der Lage.

Hätten sie diese Möglichkeiten der Einflussnahme so genutzt wie es konservative Demokraten wie Joe Manchin getan haben, dann hätten sie für ein Hilfspaket sorgen können, das auch langfristigen Nutzen für die arbeitenden Menschen mit sich bringt. Mit einer faktischen Veto-Möglichkeit bei einem „must-pass“-Gesetzentwurf wie diesem (gemeint ist ein Gesetz, dass unbedingt verabschiedet werden muss, Anm. d. Übers.), hätten sie zumindest die Rücknahme der erschwerten Zugangsberechtigung zu den Hilfszahlungen und der Kürzung des Arbeitslosengeldes verlangen können. Joe Manchin hat diese beiden Forderungen durchgesetzt, ohne überhaupt dafür kämpfen zu müssen

Größer gedacht, hätten sie auch Bidens Augenwischerei um den Mindestlohn beenden können. Anstatt Biden und Kamala höflich zu bitten, den völlig machtlosen Joe Manchin zu überstimmen, hätten sie die Unterstützung für jede Gesetzesvorlage verweigern können, die keinen $15-Mindestlohn enthält. Da die Handelskammer Biden unter Druck gesetzt hat, die $15 fallen zu lassen, war für viele klar, dass die Beschwichtigung von Joe Manchin eine reine Ablenkung war. Dies aufzudecken und $15 wieder in den Gesetzentwurf zu zwingen, hätte die Löhne von 32 Millionen Amerikaner*innen angehoben und wäre ein enormer Sieg für die Arbeiter*innenklasse gewesen.

Stattdessen beschränkte sich ihre Taktik darauf, bei Twitter  einige hundert „wir müssen“-Tweets abzusetzen: „Wir müssen den $15 Mindestlohn verabschieden“, „Wir müssen $2000 Direkthilfen auszahlen“, „Wir müssen Studienkredite erlassen“. Allein die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) hat seit Bidens Vereidigung 45 dieser Tweets gepostet. Leider ging mit all diesen Verlautbarungen darüber, was „wir tun müssen“, keine Strategie einher, wie wir das durchsetzen können. Bernie Sanders muss zugute gehalten werden, dass er eine Abstimmung über den $15-Mindestlohn erzwungen hat, die die Gräben in der Demokratischen Partei gezeigt hat – es wäre aber noch weit mehr zu tun möglich gewesen.

Es wird immer gute Ausreden geben, warum man sich zurückhält. „Es ist strategisch nicht sinnvoll“, „es kommt eine bessere Gelegenheit“, „jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt“. Aber diese Ausreden sind in Wirklichkeit so gut wie immer ein Deckmantel für einen Mangel an politischem Mut und die Angst vor einem Konflikt mit dem Establishment. Hätten „The Squad“ und Bernie Sanders einen echten Kampf um die Erhöhung des Mindestlohns geführt, wäre ein großer Teil der Gesellschaft bereit gewesen, sie zu unterstützen. Sie hätten ihre Millionen von Befürworter*innen zum Handeln mobilisieren können, und wir hätten gewinnen können.

Die nächsten zwei Jahren wird die Linke einen harten Test durchlaufen. Sind die „demokratisch-sozialistischen“ und die „progressiven“ Repräsentant*innen in den Machtzentralen bereit, für die arbeitenden Menschen in die Bresche zu springen? Und wenn nicht: Sind Organisationen wie die DSA dann bereit, mit dem Ansatz zu brechen, diesen Repräsentant*innen in jedem Fall den Rücken zu stärken?

Socialist Alternative wird sich innerhalb der breiteren sozialistischen und Arbeiter*innenbewegung für Klarheit in diesen Fragen einsetzen. Das Ausmaß der Krise, der die arbeitenden Menschen ausgesetzt sind, macht erforderlich, dass unsere Repräsentant*innen wirklich alles tun, was sie können, um die Bewegung weiter zu bringen anstatt sie auszubremsen.

Wenn eine politisch mutige Strategie echte Errungenschaften für die arbeitenden Menschen gewinnen kann, wird sie sich letztlich in einem frontalen Konflikt mit der Demokratischen Partei wiederfinden. Die Schwächen von Bernie Sanders und „The Squad“ sind mit ihrem Wunsch verbunden, innerhalb der Demokratischen Partei für deren Führung tolerierbar zu bleiben. Letztendlich erfordert das Gewinnen der vor uns liegenden entscheidenden Kämpfe die Schaffung einer neuen, wirklich demokratischen politischen Partei für die arbeitenden Menschen in den USA.

Originalartikel: https://internationalsocialist.net/en/2021/03/us-economy

Verschlagwortet