Demokratieabbau im Schatten der Pandemie

Neues NRW-Versammlungsgesetz: auch ein Angriff auf die Arbeiter*innenbewegung.

Die CDU-FDP-Regierung unter Armin Laschet versucht, das reduzierte öffentliche Leben während der Covid-Pandemie zu nutzen, um im Eiltempo ein extrem einschränkendes Versammlungsgesetz zu beschließen. Wenn sie damit Erfolg hat, wird es deutlich schwieriger, zu demonstrieren.

von Conny Dahmen und Claus Ludwig, Köln

Durch die Ausweitung des Regelungsbereiches (§2, Abs. 3) werden schon zwei Menschen zu einer – anmeldepflichtigen – Versammlung, bisher sind es drei. Das setzt die Hürde für spontane Aktionen herauf, es erschwert z.B. Mahnwachen oder “Banner Drops”, die bisher ohne jeden Kontakt mit der Polizei oder bürokratische Hürden umsetzbar waren. Das Gesetz beträfe selbst Stadtteil-Initiativen, die für Verkehrsberuhigung oder Spielstraßen eintreten.

Unter dem Label “Zusammenarbeit” (mit den Behörden) wird durch zusätzliche bürokratische Regelungen die Anmeldung einer Kundgebung erschwert. Eine gefährliche Dimension bekommen diese Regelungen durch die Pflicht, den Namen der Einlader*in zu einer öffentliche Kundgebung auf der “Einladung”, also auf einem Flyer, Plakat oder einer Veranstaltung auf Social Media, bekannt zu geben (§4). Dies würde z.B. Menschen, die in ihrem Stadtteil gegen Nazi-Aktivitäten mobil machen wollen, in den Fokus der Rechten rücken.

Brauner Teppich

In §7  (“Störungsverbot”) werden gegen andere Versammlungen gerichtete Aktivitäten – in der Praxis häufig Aktionen gegen faschistische Aufmärsche – in einem bisher nicht gekannten Ausmaß unter Strafe gestellt. Mit den in Absatz 2 formulierten Regelungen werden nicht nur friedliche Sitzblockaden strafbewehrt, sondern auch das Training von Blockaden. Besonders drastisch ist, dass schon die Behinderung einer Veranstaltung von dem Verbot erfasst wird. Das überlässt die Definition komplett bei der Polizei. Diese könnte schon eine massive akustische Störung als verbotene Behinderung interpretieren. 

Das Gesetz setzt zudem im Vorfeld der Versammlungen an. Durch staatliches Handeln soll verhindert werden, dass überhaupt gesellschaftlicher Druck entsteht, der z.B. zur Absage eines angekündigen Nazi-Aufmarsches führen könnte:  […] Das Störungsverbot setzt generell nicht voraus, dass die zu verhindernde Versammlung bereits stattfindet …”

We are watching you

In den letzten Jahren kassierte die Polizei mehrere juristische Niederlagen bezüglich der Videoüberwachung von Versammlungen. Mit dem neuen Versammlungsgesetz soll diese Scharte ausgewetzt und die umfassende Videoüberwachung von Demonstrationen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden.

Im §16 (“Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton”) reicht es aus, wenn “Tatsachen die Annahme rechtfertigen”, dass … jemand irgendwie Ungesetzliches im Schilde führt. Dann darf die Polizei einzelne Personen filmen, bei den Aufnahmen auch Unbeteiligte erfassen. Ergänzt wird das durch die Möglichkeit zu “Übersichtsaufnahmen … zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes”. Diese sind möglich aufgrund von “Größe oder Unübersichtlichkeit” der Veranstaltung. Wenn Polizist*innen den Überblick verlieren, was häufiger vorkommt, können sie also aufzeichnen. “Kollege, ich seh die Demo vor lauter Demonstrierenden nicht, schalt’ mal die Kamera ein” könnte das Motto lauten.

“Militanzverbot”

Der massivste Eingriff in das Versammlungsrecht findet sich in §18 (“Militanzverbot”). Bisher galt im bundesdeutschen Versammlungsrecht ein “Uniformverbot”, basierend auf den Aufmärschen paramilitärischer, teils bewaffneter Verbände in der Endphase der Weimarer Republik. Die Begriffe “Uniform, uniformähnlich” und “paramilitärisch” werden ergänzt durch die Formulierung “oder 3. in vergleichbarer Weise Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt.”

Durch das “Militanzverbot” bekommt die Polizei ein Instrument in die Hand, nahezu jeden missliebigen, kämpferischen, lauten, aktiven Demonstrationsblock mit Maßnahmen bis zu hin Auflösung und Festnahme zu konfrontieren. Dies wäre in der Praxis nicht neu. Immer wieder wurden in den letzten Jahren Demonstrationen polizeilich attackiert, ohne dass es zuvor zu Gewalttaten oder Störungen gekommen ist. Doch mit diesem Paragrafen erhielten willkürliche polizeiliche Einsätze eine solide gesetzliche Grundlage.

Im §27 (“Straftaten”) wird die Formulierung durch die ebenso dehnbaren Begriffe “aggressiv” und “provokativ” ergänzt. Wenn demnach eine antifaschistische Demo in 100 Metern Entfernung an einer Nazi-Demo vorbeiläuft und dabei “provokative” (“Ohne Verfassungsschutz habt ihr keine Chance”?) und “aggressive” Parolen (“Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazi-Pest”?) ruft und sich die Nazis an die Einsatzleitung wenden, weil sie sich eingeschüchtert fühlen, dann hat die Polizei a) eine Handhabe zum Eingreifen und kann b) die vom Zugriff betroffenen Personen mit einer massiven Strafandrohung konfrontieren.

Laschet, lass et!

Das Inkrafttreten des vorliegendes Gesetzentwurfes würde zu einem “Versammlungsverhinderungsgesetz” führen. Breite gesellschaftliche Mehrheiten – historisch gegen die Atomkraft, heute gegen den Braunkohle-Tagebau, gegen Rassismus oder gegen steigende Mieten, werden durch den Gesetzentwurf als “Rand- und Splittergruppen” diffamiert. Die Verfasser*innen machen sich nicht einmal die Mühe zu verbergen, dass es sich um eine “Lex RWE” handelt, basierend auf der Frustration des Konzerns, seiner Aktionär*innen und seiner politischen Erfüllungsgehilf*innen über die erfolgreichen massenhaften Aktionen zivilen Ungehorsams im rheinischen Revier.

Der Entwurf für ein NRW-Versammlungsgesetz ist ein strategisches Projekt. Die Regierenden bereiten sich damit auf stärkere soziale Auseinandersetzungen in den nächsten Jahren vor. Die Regierung Laschet prescht vor, aber das Gesetz ist als Präzedenzfall gedacht, um bundesweit in Richtung stärkerer Repression zu gehen. Die neuen Regelungen würden auch gegen betriebliche und gewerkschaftliche Proteste eingesetzt werden können. Proteste von Beschäftigten gegen Aktionärsversammlungen oder die Vorstandstreffen von Unternehmen, bei denen es z.B. um Arbeitsplatzvernichtung oder Betriebsschließungen geht, könnten als Versuche der “Behinderung” der jeweiligen Veranstaltungen gewertet und damit schon im Vorfeld erschwert werden.

Das landesweite Bündnis “NRW Versammlungsgesetz stoppen – Grundrechte erhalten” strebt nach einer Verbreiterung des Protestes über die bisher Aktiven und über NRW hinaus mit dem Ziel,  eine starke Bewegung aufzubauen, um diesen Angriff auf die demokratischen Rechte zu verhindern.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus einem Analyse-Text, den die Autor*innen für das Kölner Bündnis “NRW Versammlungsgesetz stoppen – Grundrechteerhalten” verfasst haben.