Biden und Xi eskalieren den USA-China-Konflikt weiter

Über Taiwan, Xinjiang und „demokratische Werte“ verhärten sich die Fronten im neuen Kalten Krieg.

von Vincent Kolo, chinaworker.info

Joe Biden hat als Präsident, der noch keine 100 Tage im Amt ist, die antichinesische Politik seines Vorgängers Donald Trump fortgesetzt und verschärft. Der Präsident fasst seine Haltung in dem Schlagwort „extremer Wettbewerb“ zusammen. Die Erwartung mancher Kreise – auch von Teilen der chinesischen Führung (KPCh) -, dass sich der neue Kalte Krieg zwischen den Supermächten nach Trumps Abgang aus dem Weißen Haus abschwächen würde, hat sich nicht erfüllt. Vielmehr geht die Tendenz in Richtung weiterer Eskalationen. Davor hatte die ISA bereits vor der US-Wahl im November letzten Jahres gewarnt.

Während Trump einen planlosen und oft sprunghaften Ansatz verfolgte, „erbt Biden die zerstörerischen Ergebnisse seines Vorgängers und systematisiert die China-Eindämmungspolitik“, stellte die Global Times, ein einflussreiches KPCh-Blatt, fest.

Wie wir vorausgesehen haben, verfolgen die Demokraten unter Biden einen eher „ideologischen“ Ansatz und benutzen Themen wie Demokratie und Menschenrechte als Tarnung für das, was in Wirklichkeit ein imperialistischer Machtkampf ist, um zu bestimmen, ob Washington oder Peking die ultimative Herrschaft über die Weltwirtschaft ausüben wird. „Dies ist ein Kampf zwischen der Zweckmäßigkeit von Demokratien im 21. Jahrhundert und Autokratien“, sagte Biden im März bei seiner ersten Pressekonferenz als Präsident. In Anlehnung an Trump sagte er, China plane, das mächtigste Land der Welt zu werden, aber „das wird nicht unter meiner Aufsicht passieren“. (Trump sagte dasselbe 2019).

Bidens-Regierung hat alle von Trumps Zöllen beibehalten, die für 66 Prozent der chinesischen Exporte gelten. Ähnlich wie ihr Vorgänger verteidigte Handelsministerin Gina Raimondo die Zölle mit der Aussage, sie werde „alle Werkzeuge aus dem Werkzeugkasten so aggressiv wie möglich einsetzen, um amerikanische Arbeiter*innen und Unternehmen vor unfairen chinesischen Praktiken zu schützen.“

Auch im Bereich der Technologie, einem zunehmend zentralen Schlachtfeld im Kalten Krieg zwischen den USA und China, kündigte die US-Regierung im Februar eine „100-tägige Überprüfung“ der Ausfallsicherheit der Lieferketten an. Der Fokus wird darauf liegen, Chinas Zugang zu Spitzentechnologien wie hochentwickelten Halbleitern, die für beide Seiten entscheidend sind, einzuschränken.

Diejenigen, die erwarten, dass die USA in ihrem Tech-Krieg gegen China zurückstecken, „werden enttäuscht sein“, prognostizierte James Crabtree von der Lee Kuan Yew School of Public Policy in Singapur. „Biden wird wahrscheinlich eine immer stärker chinesisch geprägte Industriepolitik vorantreiben“, sagte er voraus. Das Ziel sei, „globale Chip-Lieferanten dazu zu bewegen, in die USA zu wechseln und China den Zugang zu den fortschrittlichsten Produkten dieser Industrie zu verweigern“ (Nikkei Asia 10. März 2021). Dies widerspricht natürlich „den Prinzipien der Marktwirtschaft“, wie der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, betonte.

Im April setzte Washington in einem weiteren Schritt, der darauf abzielt, die Entwicklung des chinesischen Technologiesektors zu behindern, sieben weitere chinesische Computerfirmen auf die schwarze Liste, die sogenannte „Entity List“, die ihnen den Zugang zu US-Komponenten verwehrt, da sie Verbindungen zum chinesischen Militär haben. Dies war die erste Erweiterung der schwarzen Liste seit Trumps Amtsantritt. Trumps Regierung hat mehr als 60 chinesische Tech-Unternehmen auf die „Entity List“ gesetzt, am bekanntesten ist der Telekommunikationsriese Huawei, der dadurch schwer getroffen wurde.

Ebenso enthält Bidens vorgeschlagenes 2,25-Billionen-Dollar-Infrastrukturpaket eine klare Komponente des Kalten Krieges. Bei der Ankündigung des Plans im April erwähnte Biden sechsmal China. Wie das Wall Street Journal (Gerald F. Seib, 5. April) bemerkte: „Das Biden-Team sieht das Vorhaben – und will, dass die Chinesen das Vorhaben so sehen – als ein Signal, dass die USA sich in eine bessere Position bringen wollen, um mit Peking wirtschaftlich zu konkurrieren. So markiert die Infrastruktur nur das jüngste Beispiel dafür, wie das Schreckgespenst eines langen Konkurrenzkampfes mit China beginnt, alle Arten von amerikanischen politischen Maßnahmen zu färben, in beiden Parteien.“ Wie auch dieses Beispiel zeigt, wird die Rivalität zwischen den USA und China zunehmend von beiden Seiten als Waffe eingesetzt, um interne Widerstände zu überwinden und eine Stimmung der „nationalen Einheit“ hinter der Regierungspolitik zu erzeugen.

In den ersten Monaten des Jahres 2021 sind es jedoch die geopolitischen Konflikte zwischen Peking und Washington, die in den Mittelpunkt gerückt sind. Es gibt Spannungen um Xinjiang, Hongkong, Taiwan und umstrittene Territorien im Südchinesischen Meer. In Xinjiang, wo Millionen von hauptsächlich muslimischen Uiguren und andere Minderheiten schrecklichen Unterdrückungen ausgesetzt sind, hat das US-Außenministerium das chinesische Regime des „Völkermordes“ beschuldigt und einen möglichen Boykott der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking angedeutet. In Taiwan entfaltet sich ein gefährliches Pokerspiel, bei dem sowohl Peking als auch Washington die Einsätze mit endlosen Militärmanövern und zunehmender psychologischer Kriegsführung erhöhen.

Selbst in Myanmar, wo eine heldenhafte revolutionäre Generalstreikbewegung für den Sturz der Militärdiktatur kämpft, wächst die Gefahr, dass die Dynamik des Kalten Krieges in die Situation einfließt, sollte die zunehmend blutrünstige Taktik der Armee das Land an den Rand eines totalen Bürgerkriegs treiben. In einem solchen Szenario könnten China, Russland, die USA und möglicherweise andere auswärtige Mächte aus ihren eigenen geopolitischen Gründen intervenieren, indem sie Stellvertretertruppen finanzieren, die wenig mehr als Krokodilstränen für das Volk Myanmars übrig haben.

Die Eskalation der Spannungen in der riesigen indo-pazifischen Region zwischen dem US- und dem chinesischen Imperialismus, nicht in Form einer direkten militärischen Konfrontation zum jetzigen Zeitpunkt, sondern als Folge einer Spirale von militärischen Übungen, provokativer Diplomatie, Blockbildung und sogenannter „Grauzonen“-Kriegsführung, stellt ein ernsthaftes Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung der Region dar und schafft einen potentiellen Nährboden für giftigen Nationalismus und Rassismus.

Katastrophe in Alaska

Das erste hochrangige Treffen zwischen Bidens Team und ihren chinesischen Kollegen am 18. und 19. März in Anchorage begann mit einem außergewöhnlichen Schlagabtausch. Am Vorabend des Treffens sanktionierte das US-Außenministerium weitere 24 chinesische und Hongkong-Beamte als Reaktion auf Chinas Entscheidung, Hongkong ein neues politisches System aufzuerlegen, das Peking die volle Kontrolle gibt. Die US-Sanktionen waren weitgehend symbolisch, im Einklang mit früheren Sanktionen der Trump-Regierung, aber ihr Zeitpunkt steigerte die Spannung vor dem Treffen in Alaska.

Das Alaska-Treffen war laut dem Ökonomen Stephen Roach „ein Desaster“. „Die Situation wird immer schlimmer und das muss nicht sein“, klagte er. Diese Ansicht teilte auch Allison Sherlock von der Eurasia Group: „Jeder, der gehofft hat, dass es eine signifikante Deeskalation geben würde – vor allem Leute aus der Wirtschaft – kann sehen, dass das nicht möglich sein wird, zumindest nicht in naher Zukunft.“

Die Vertreter*innen beider Regierungen nutzten das Treffen, um sich vor einem großen Publikum zu profilieren. Es war ein historisches, aber eher bizarres Treffen, bei dem jede Seite versuchte, ihre nationalen Stärken herauszustellen. US-Außenminister Anthony Blinken warnte die Chinesen, „nicht gegen Amerika zu wetten“ und brandmarkte Chinas Aktionen als „Bedrohung der globalen Stabilität“.

Yang Jiechi, der Direktor des Büros der Zentralen Kommission für Auswärtige Angelegenheiten und Mitglied des regierenden Politbüros Chinas, startete einen vernichtenden Angriff auf die US-Bilanz bei den Menschenrechten, ihren „langen Arm in der Strafverfolgung und der Unterdrückung“ und erklärte, dass „Chinas Entwicklung und Erstarken unaufhaltsam sei“.

In einer sechzehnminütigen Rede ohne Übersetzungspause, die offensichtlich eher für die chinesischen Medien als für seine amerikanischen Gastgeber bestimmt war, forderte Yang die Amerikaner*innen auf, China nicht schlecht zu reden: „Die Vereinigten Staaten haben nicht die Qualifikation zu sagen, dass sie mit China aus einer Position der Stärke sprechen wollen.“ Innerhalb weniger Tage ging diese Aussage in den sozialen Medien Chinas viral. Sogar T-Shirts wurden mit diesem Slogan bedruckt verkauft.

Chinas Schwung

Die Bedeutung von Yangs Äußerungen wurde in China und den USA breit diskutiert. Viele westliche Beobachter*innen waren schockiert. China hat seine chauvinistische „Wolfskrieger“ -Politik schon früher gegenüber kleineren Mächten praktiziert – Australien, Kanada, Schweden, sogar dem ehemals China-freundlichen Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus – aber noch nie in der jüngeren Vergangenheit hat es Vertreter*innen der USA auf diese Weise angesprochen. Selbst gegenüber den vielen Provokationen Trumps waren die offiziellen chinesischen Stellungnahmen relativ zurückhaltend.

„Die Biden-Regierung bekommt eine Kostprobe von Chinas ‚Wolfskrieger‘-Politik“, lautete eine Schlagzeile in der Washington Post. Mehrere US-Experten kommen zu dem Schluss, dass Yangs Tirade ein Zeichen für das wachsende Selbstvertrauen des chinesischen Regimes und das Gefühl seiner globalen Macht sei. „Die chinesischen Anführer*innen glauben, dass sie Schwung haben und die Zeit auf ihrer Seite ist“, sagte der ehemalige chinesische Diplomat Victor Gao gegenüber der Financial Times.

Auch in China ist die offizielle und am weitesten verbreitete Interpretation, dass Yang Chinas Supermachtstatus als gleichwertige oder sogar überlegene Kraft gegenüber den USA artikulierte. Chinesische Medien berichteten ausführlich über Yangs Rede und zogen Vergleiche mit dem demütigenden „Boxer-Protokoll“, das 1901 zwischen dem zerfallenden Qing-Reich und der Acht-Nationen-Allianz der Westmächte plus Japan unterzeichnet wurde und China zur Zahlung lähmender Entschädigungen zwang. Die People’s Daily der KPCh veröffentlichte Fotos der Niederlage von 1901 und des Treffens in Alaska nebeneinander, um die Botschaft einzuprügeln, dass dies 120 Jahre später ein anderes China ist.

Sowohl die chinesische als auch die US-amerikanische herrschende Klasse müssen Nationalismus und eine äußere Bedrohung schüren, um soziale Unruhen abzufangen, da ihre jeweiligen kapitalistischen Systeme von Krisen und Zerfall geplagt werden. Bidens „Amerika ist zurück“ ist ein Remix von Trumps „MAGA“, wenn auch mit einer anderen Betonung auf der Bildung „demokratischer Koalitionen“ gegen China. Für die chinesische Diktatur gibt es ein zusätzliches Element: Nationalismus und antiwestliche Rhetorik sind untrennbar mit Xi Jinpings Plan zut Herrschaft auf Lebenszeit und dem Machtkampf innerhalb des KPCh-Staates verbunden. Xi plant, bis 2035 zu regieren, was innerhalb der herrschenden Klasse zunehmend zu einer Spaltung führt.

Aber Pekings geopolitische und wirtschaftliche Diplomatie verstrickt sich, wie das Treffen in Alaska zeigte, in Widersprüche. Offensichtlich sind die Spitzendiplomaten der KPCh mit mehr als nur der Absicht nach Alaska gereist, den USA eine Standpauke zu halten. Während der „Wolfskrieger“-Nationalismus und der chinesische Triumphalismus die Markenzeichen von Xi Jinpings Herrschaft sind, gibt es hinter dieser Fassade eine tiefe Verunsicherung.

Innerhalb des chinesischen Staates wächst der Druck, zu versuchen, die Spannungen zu entschärfen oder zumindest einige „Leitplanken“ um die Beziehung zwischen den USA und China zu bauen, um zu verhindern, dass der Konflikt weiter außer Kontrolle gerät. Das alte Sprichwort über das Reiten eines Tigers – dass es nur noch schwer möglich ist, abzusteigen – trifft auf die heutige Regierungsgruppe zu. Xis Nationalismus und sein harter, repressiver Kurs haben sich zu einem Hindernis für den Handlungsspielraum des Staates und seine außenpolitische Flexibilität entwickelt, was wiederum die Risiken für seine exportabhängige Wirtschaft erhöht.

Dieses Dilemma wird in zwei Leitartikeln der notorisch nationalistischen Global Times hervorgehoben. Am 9. April argumentierte sie, dies sei „nicht der richtige Zeitpunkt, um mit Washington zu streiten“, während am 15. April dieselbe Leitartikelseite argumentierte: „China sollte sich bemühen, den Rahmen der chinesisch-amerikanischen Beziehungen zu stabilisieren, auch wenn es um einen harten Wettbewerb geht“.

Es überrascht daher nicht, dass das Treffen in Alaska eine Reihe von widersprüchlichen Botschaften der chinesischen Regierung hervorbrachte. Chinesische Beamte bezeichneten das Treffen als „strategischen Dialog“ und bezogen sich dabei auf die jährlichen Treffen auf höchster Ebene, die während der Präsidentschaften von Bush und Obama stattfanden und die von Trump abgeschafft wurden. Die US-Seite wies dies zurück. „Dies ist kein strategischer Dialog“, sagte Blinken. „Es gibt zu diesem Zeitpunkt keine Absicht für eine Reihe von Folgeaktivitäten.“

Chinesische Medien berichteten, die beiden Seiten hätten sich darauf geeinigt, während der Gespräche in Alaska eine gemeinsame Arbeitsgruppe zum Klimawandel einzurichten. Aber auch zu diesem Punkt sagten US-Beamte, dass keine solche Vereinbarung getroffen worden sei.

Eine mögliche Interpretation ist, dass Xis Regime größere Hoffnungen in das Treffen gesetzt hatte; dass zumindest einige oberflächliche diplomatische „Knochen“ geworfen werden würden, die es Peking erlauben würden, das Treffen als Fortschritt zu präsentieren und den Anschein einer „Stabilisierung“ in den Beziehungen zwischen den USA und China zu erwecken. Dass die KPCh, zumindest nach außen hin mehr als die US-Seite, nach einer solchen „Auszeit“ sucht, ist ein Hinweis auf den realen Druck, dem sie wirtschaftlich und politisch ausgesetzt ist, während der Konflikt weitergeht.

Pekings zunehmender Rückgriff auf strategische Übertreibungen, seine Tendenz, die eigene Hand zu überreizen, verbirgt ernsthafte Schwächen. Das gilt natürlich für beide Supermächte, die beide verschuldet sind, die beide auf einer explosiven sozialen Ungleichheit aufbauen und die beide in einem globalen kapitalistischen System verwurzelt sind, in dem sie nicht mehr konfliktfrei koexistieren können.

Es gibt große Bedenken, dass Chinas Wirtschaft durch die westliche Abkopplung ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen wird, was sich noch beschleunigen könnte, wenn die „Dynamik der Seitenwahl“ des Kalten Krieges zum Tragen kommt. Das ist schließlich der ganze Sinn von Bidens blockbildendem Ansatz, sich mit den US-Verbündeten abzustimmen (und sie stark zu machen). Xis Strategie der „doppelten Zirkulation“, die 2020 eingeführt wurde, um sich auf Chinas Binnenkonsum als Schlüssel zur Expansion zu konzentrieren, funktioniert besser als Propaganda denn als realistisches Wirtschaftsmodell.

Chinas Binnenkonsum ist im globalen Vergleich sehr niedrig und die Versuche der letzten zwei Jahrzehnte, dies zu ändern, sind gescheitert. Im Jahr 2001, als China der Welthandelsorganisation beitrat, betrug der Anteil des Inlandskonsums am BIP 45,5 Prozent. Dieser Anteil sank auf 34,3 Prozent im Jahr 2010 und hat sich laut Weltbank allmählich auf 39 Prozent erholt. Das ist selbst im Vergleich zu anderen sogenannten Entwicklungsländern schlecht, mit Quoten von 65 Prozent in Brasilien, 60 Prozent in Indien und 50 Prozent in Russland.

Tiefgreifende strukturelle Faktoren sind der Grund für Chinas geringe Konsumausgaben; niedrige Löhne und das Fehlen von Sozialleistungen und medizinischer Versorgung, die die Menschen zum Sparen zwingen. Diese Probleme werden nun durch die demografische Zeitbombe einer alternden und bald schrumpfenden Bevölkerung verschärft, was auch eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung bedeutet. Die reale Situation für Chinas Arbeiter*innenklasse und Arme ist meilenweit von der triumphalistischen Propaganda der KPCh entfernt. Offiziell wurde die extreme Armut ausgerottet – unter Xis persönlicher Führung (!) – aber basierend auf den Messungen der Weltbank leben in China immer noch 200 Millionen Menschen in extremer Armut.

Die chinesische Diktatur wurde durch Bidens sofortige Übernahme einer aggressiven Kalter-Krieg-Haltung aufgeschreckt. Peking hatte mit einer längeren Atempause gerechnet, da Washington mit politischen und wirtschaftlichen Krisen und dem katastrophalen Ausmaß der Pandemie beschäftigt ist.

Der Quad

Eine Woche vor dem Treffen in Alaska, am 12. März, leitete Biden das erste Gipfeltreffen des Quadrilateralen Sicherheitsdialogs (Quad) mit Australien, Japan, Indien und den USA. Der Quad, der nach dem Tsunami im Indischen Ozean 2004 ins Leben gerufen wurde, war zuvor kaum mehr als ein Gesprächsforum. Im neuen Kalten Krieg wird er jedoch umgestaltet, um als militärisches und geopolitisches Gegengewicht zu China im Indo-Pazifik zu agieren. „Chinas Alptraumszenario einer ‚östlichen NATO‘ beginnt Gestalt anzunehmen“, kommentierte Shi Jiangtao in der South China Morning Post.

Der Zeitpunkt des „historischen“ Quad-Treffens als Bidens allererster Gipfel war eine unmissverständliche Warnung an Peking. Die vier Länder hätten „die Quad auf eine neue Ebene gebracht“, behauptete Jake Sullivan, Bidens nationaler Sicherheitsberater. Ein entscheidender Wandel hat auch mit Indien stattgefunden, das zuvor sowohl dem Quad als auch einer engeren Bindung an die USA gegenüber zurückhaltend war und sich nun mit mehr Nachdruck in das von den USA geführte Lager bewegt.

Ein wichtiger Faktor hinter diesem Umschwung ist der letztjährige militärische Konflikt zwischen China und Indien an der umstrittenen Grenze im Himalaya, der die ersten militärischen Todesopfer seit 1967 forderte. Dieser Konflikt in der indischen Region Ladahk, die aufgrund ihrer kulturellen und historischen Verbindungen mit dem von China kontrollierten Tibet als „Klein-Tibet“ bekannt ist, hatte kaum eine andere Logik als die, die politische Autorität der Regierungen Modi und Xi zu untermauern. China scheint einige kleinere militärische Gewinne aus der Konfrontation gezogen zu haben, allerdings zu erheblichen Kosten in wirtschaftlicher und geopolitischer Hinsicht. Wie an vielen anderen Fronten ist Xis unnachgiebiger „Wolfskrieger“-Ansatz in der Lage, kurzfristige Propagandasiege zu erringen, allerdings um den Preis, neue Krisen zu erzeugen und Chinas Position längerfristig zu unterminieren.

Die US-Waffenverkäufe an Indien stiegen von 6,2 Millionen Dollar im Jahr 2019 auf 3,4 Milliarden Dollar im Jahr 2020, und Modis Regierung unterzeichnete Abkommen, die es amerikanischen und australischen Streitkräften erlauben, auf indischen Stützpunkten aufzutanken. Der US-geführte Versuch, die Quad aufzubauen, geht über die militärische Zusammenarbeit hinaus. Auf dem Gipfel am 12. März wurde vereinbart, dass Japan und die USA die indische Produktion von einer Milliarde zusätzlicher Covid-19-Impfdosen für die Verteilung in Südostasien finanzieren werden.

Der Vorstoß des Quads in die „Impfstoffdiplomatie“ ist eindeutig darauf ausgerichtet, sein Profil als Gegenpol zum wachsenden Einfluss Chinas in der Region zu schärfen. Doch die Initiative stieß fast sofort auf Schwierigkeiten. Indien, „die Apotheke der Welt“, die 60 Prozent aller Impfstoffe weltweit produziert, kündigte Ende März einen Stopp der Impfstoffexporte an, weil die Zahl der Covid-19-Infektionen im eigenen Land gestiegen war. Die Global Times konnte ihre Schadenfreude über Neu-Delhis Missgeschick nicht verbergen: „Anstatt sich auf die Eindämmung der Epidemie zu konzentrieren, löste Indien durch sein opportunistisches Verhalten eine Reihe von Streitigkeiten mit seinen Nachbarn, einschließlich China, aus.“

Bidens Entscheidung, Japans Premierminister Yoshihide Suga Mitte April nach Washington einzuladen, sein erstes persönliches Treffen mit einem führenden Politiker der Welt, spiegelt die gleiche strategische Botschaft wider. Ihre Gespräche konzentrierten sich auf China und insbesondere auf dessen militärische Aktivitäten im Süd- und Ostchinesischen Meer. Die gemeinsame Erklärung, die nach den Gesprächen der beiden Politiker*innen herausgegeben wurde, enthielt den ersten Verweis auf Taiwans Sicherheit seit 1969, eine offensichtliche Provokation in den Augen Pekings.

Sugas Neigung zu einer offeneren konfrontativen Haltung gegenüber China, obwohl es Japans größter Exportmarkt ist, spiegelt eine breitere kämpferische Verschiebung in Japans regierender Liberaldemokratischer Partei wider, wobei Vorschläge kursieren, den USA nachzueifern und einen Verteidigungsvertrag mit Taiwan abzuschließen. Biden und Suga verpflichteten sich auch, in Bereichen wie 5G, künstliche Intelligenz, Quantencomputing, Genomik und Halbleiter-Lieferketten zu kooperieren – alles klar gegen China gerichtet.

Der US-Regierungschef will außerdem später im Jahr einen „Gipfel für Demokratie“ veranstalten, als Teil seines Vorstoßes, eine Allianz hauptsächlich westlicher „demokratischer“ Mächte in einer Einheitsfront gegen den „Autoritarismus“ wiederzubeleben – ein bequemes Etikett für China, aber auch für Russland, Iran, Nordkorea und andere Regime mit einer anderen Tagesordnung als der des US-Imperialismus.

Wie Marxist*innen und die ISA erklärt haben, unterstützen wir zwar den Massenkampf gegen autoritäre Herrscher*innen wie in Myanmar, Thailand und Hongkong, aber den Kapitalist*innen und Imperialist*innen geht es nur um wirtschaftliche Kontrolle und im heutigen Umfeld des Kalten Krieges darum, auf Kosten der anderen Seite geopolitische Vorteile zu erlangen. Solange diese Interessen bedient werden, sind politische Systeme, ob „demokratisch“ oder nicht, für die USA, China und andere Imperialist*innen völlig zweitrangig.

Die US-Regierung unterstützt drei Viertel der Diktaturen auf der Welt militärisch, mehr als China oder Russland. Auf die Frage, wer Autoritarismus und repressive Herrschaft fördert, lautet die Antwort: die Kapitalist*innen und Imperialist*innen in beiden Lagern des Kalten Krieges. Wie Myanmar deutlich gezeigt hat, erfordern demokratische Rechte einen Massenkampf der Arbeiter*innen und der Jugend, und dieser Kampf kann seine Hoffnungen auf keine der konkurrierenden Mächte setzen.

EU-China-Abkommen „jetzt auf Eis“

Trotz der ersten scheinbaren Erfolge wird Bidens Strategie der Blockbildung unweigerlich auf ernsthafte Hindernisse und Rückschläge stoßen. Beide Lager im neuen Kalten Krieg agieren in einem viel fragileren und unbeständigeren Umfeld als der Kalte Krieg des 20. Jahrhunderts. Anders als in den prägenden Jahren dieses Konflikts, nach dem Zweiten Weltkrieg, wird die Weltwirtschaft heute von schweren, hartnäckigen Krisen geplagt.

Das Schicksal von Chinas Investitionsabkommen mit der EU, dem Comprehensive Agreement on Investment (CAI), ist eine nützliche Lektion, wie schnell sich die Dinge ändern und vermeintliche Siege verspielt werden können. Als dieses Abkommen Ende 2020 zwischen Xi Jinping und den Regierungschef*innen der EU, vor allem Merkel (Deutschland) und Macron (Frankreich), unterzeichnet wurde, wurde es als geopolitischer Coup Chinas gefeiert, der möglicherweise einen Keil zwischen Europa und die kommende Biden-Regierung treiben würde.

Wie wir zu der Zeit feststellten:

„China mag den Anschein erwecken, in der letzten Zeit mit RCEP und dem China-EU-Deal sowie der scheinbar unaufhaltsamen Ausweitung der KPCh-Macht in Hongkong beeindruckende diplomatische und wirtschaftliche Siege über die USA errungen zu haben, aber dabei geht es möglicherweise mehr um Symbolik als um Substanz. Mit zunehmenden wirtschaftlichen Widersprüchen und Spannungen in der nächsten Periode könnten diese ‚Siege‘ schnell vergessen sein und durch neue Konflikte ersetzt werden.“

(US-China Cold War – Will There Be Another World War? Von Peter Chan, basierend auf einer Rede vom 30. Januar 2021).

Als Ende März der Sanktionskonflikt um Xinjiang eskalierte und Peking erstmals mit (ebenso symbolischen) eigenen Sanktionen gegen die USA, Großbritannien, Kanada und die EU zurückschlug, stürzte dies die CAI in eine Krise. Die Entscheidung der EU, sich der von den USA angeführten Sanktionsrunde anzuschließen, hat Xis Regime besonders verärgert und offenbar auch überrascht. Es waren die ersten europäischen Sanktionen gegen China seit 1989. Politische Positionen verhärteten sich daraufhin im Europäischen Parlament – das das Abkommen ratifizieren muss – und in mehreren europäischen Ländern, in denen Politiker*innen, NGOs oder Denkfabriken von Chinas Rache-Sanktionen betroffen waren. Sowohl die EU als auch Xis Regime erhielten eine Lektion in der Tatsache, dass Nationalismus und die Verteidigung der „nationalen Ehre“ eine wechselseitige Sache sein können.

„Die Ratifizierung dieses Paktes durch das Europäische Parlament liegt jetzt auf Eis und ist möglicherweise im Permafrost begraben, als Ergebnis von Chinas Sanktionen gegen mehrere Euro-Gesetzgeber“, erklärte The Economist. Der offensichtliche Mangel an Finesse der KPCh, wenn es darum geht, Wahlpolitik zu verstehen, ist eine mögliche Erklärung dafür, warum sie sich dafür entschieden hat, Politiker*innen aus dem gesamten Parteienspektrum zu sanktionieren, anstatt einen eher „taktischen“ Ansatz zu wählen, um die Gegenreaktion zu begrenzen.

Dass ein Deal, der von Kapitalist*innen und großen Unternehmen sowohl in Europa als auch in China favorisiert wird, nun in der Schwebe hängt, zeigt erneut, wie der Kapitalismus in die Ära der „Geoökonomie“ übergegangen ist, was ein anderer Begriff für einen zwischenimperialistischen Konflikt ist. „Wir haben sieben Jahre lang über den Deal verhandelt“, sagte Jörg Wuttke, Chef der Europäischen Handelskammer in China, gegenüber der Financial Times. „Jetzt sieht es so aus, als würde es weitere sieben Jahre dauern.“

Das Sanktionsspiel von allen Seiten ist zynisch und heuchlerisch. Nach dem Vorbild des “Magnitsky-Gesetzes“ sind diese Sanktionen das diplomatische Äquivalent von Mückenstichen, die auf Einzelpersonen, Regierungsbeamte oder Institutionen abzielen, mit Reise- und Finanzbeschränkungen, aber nur symbolischen Schaden anrichten. Einige Teile der Demokratiebewegung in Hongkong zum Beispiel und auch einige uigurische Exilgruppen glauben, dass diese Sanktionen etwas bewirken. Aber es gibt kein einziges Beispiel, in dem dies die nationale Politik, ob repressiv oder nicht, verändert hätte. Vielmehr erlauben sie den Regierungen, sich zur Verteidigung von „Prinzipien“ zu positionieren und gleichzeitig den Nationalismus zu schüren. Das erschwert die Entwicklung von Massenkämpfen, die der einzige Weg sind, um Gleichheit, demokratische Rechte und ein Ende der repressiven Herrschaft zu erreichen, anstatt sie zu unterstützen.

In Großbritannien ist unter mehreren Tory-Politiker*innen, die von Chinas Sanktionen betroffen sind, Iain Duncan Smith, ein ehemaliger Vorsitzender der rechtsgerichteten Konservativen Partei, der in letzter Zeit zu einem Kritiker der Menschenrechtsverletzungen in China und Hongkong geworden ist. Offensichtlich genießt Duncan Smith seinen plötzlichen Heldenstatus und sagte, er würde die chinesischen Sanktionen wie ein „Ehrenabzeichen“ tragen.

Aber das ist derselbe Duncan Smith, der Minister in der Regierung von David Cameron war, die 2015 eine „goldene Ära“ in den Beziehungen zwischen Großbritannien und China ausrief und behauptete, Chinas „bester Partner im Westen“ zu sein. Dementsprechend wurde Großbritannien im selben Jahr das erste westliche Land, das sich als Gründungsmitglied von Xi Jinpings Asiatischer Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB), dem finanziellen Arm der Gürtel- und Straßeninitiative (BRI) in Asien, anmeldete. Dies zog eine scharfe Rüge der Obama-Regierung über „einen Trend zur ständigen Anpassung an China“ durch Camerons Regierung nach sich.

Als die liberalen pro-demokratischen Persönlichkeiten Anson Chan Fang On-sang und Martin Lee Chu-ming aus Hongkong 2014 London besuchten, um Unterstützung für demokratische Reformen aufzubauen, weigerte sich Cameron, sie zu treffen. Lee sagte später: „Ich glaube, ich kann die Außenpolitik der britischen Regierung in drei Worten zusammenfassen: mehr China-Handel“. Zu dieser Zeit wurde Hongkong von Massenprotesten heimgesucht, die als Regenschirmrevolution bekannt wurden und sich gegen die Weigerung der KPCh richteten, Wahlen nach dem Prinzip „eine Person – eine Stimme“ zuzulassen, um den Regierungschef des Gebiets zu wählen. Die britische Regierung, in der der nun sanktionierte Duncan Smith diente, stellte sich erneut auf die Seite der KPCh und sagte den Hongkongern, dass Pekings Angebot „besser als nichts“ sei (Huge Swire, Staatsminister im Außenministerium, vor einem Parlamentsausschuss, Januar 2015).

Xinjiang-Baumwolle

Ebenfalls Ende März brach ein weiterer Streit aus, über Xinjiang-Baumwolle – bei dem es um glaubwürdige Behauptungen über Zwangsarbeit ging – als die Kommunistische Jugendliga, ein Arm des KPCh-Staates, den schwedischen Einzelhändler*innen H&M ins Visier nahm, um eine Online-Boykottkampagne zu starten, die sich auf weitere ausländische Marken wie Nike, Adidas und Zara ausweitete.

Diese Kampagne war kein spontaner Protest des Volkes gegen die westlichen Marken, sondern wurde vom Staat orchestriert. In Bezug auf das Erreichen der Massen scheint die Kampagne auf eine sehr lethargische Resonanz gestoßen zu sein. H&M wurde jedoch plötzlich aus dem Internet in China gelöscht, seine Geschäfte verschwanden aus Online-Karten (abgesehen von Google Maps, das in China blockiert ist) und Ride-Hailing-Apps, und seine Produkte wurden nicht mehr bei den E-Commerce-Giganten Alibaba und JD.com angezeigt.

Die Erklärung von H&M, keine Baumwolle mehr aus Xinjiang zu beziehen, wurde im Oktober letzten Jahres herausgegeben und schlummerte, bis sich die Liga im März entschloss, dies zum Thema zu machen. Der Zeitpunkt – nur wenige Tage nach dem Aufflammen des Sanktionsstreits mit der EU – war kaum zufällig und sollte Druck auf die europäischen Regierungen ausüben, ihr „falsches Handeln“ bei der Verhängung von Sanktionen gegen China zu korrigieren.

Frühere nationalistische Boykottkampagnen, zum Beispiel gegen die südkoreanische Supermarktkette Lotte (wegen der Installation von THAAD-Raketen durch das Land) und die NBA (wegen eines Pro-Hongkong-Tweets des Geschäftsführers des Basketballteams Houston Rockets) sind im Allgemeinen mit der Zeit verblasst. Aber im heutigen, zunehmend polarisierten Umfeld des Kalten Krieges steigt die Wahrscheinlichkeit, dass politischer Druck dem Abkopplungsprozess zusätzliches Gewicht verleiht. „Ich erwarte nicht, dass das nachlässt“, sagte Surya Deva, ein außerordentlicher Professor an der City University of Hong Kong, der New York Times. „Dies ist eine andere Flugbahn und eine andere Ära.“

Das Thema eines Olympia-Boykotts 2022 wird wahrscheinlich wachsen, obwohl die Biden-Regierung, basierend auf ihren bisherigen Aussagen, dagegen ist. Die sich verändernde globale Landschaft stellt zusätzliche Anforderungen und erhöht den Druck auf Sozialist*innen und Aktivist*innen der Arbeiter*innenklasse, sich nicht ablenken oder dazu verleiten zu lassen, das eine oder andere kriegerische imperialistische Lager zu unterstützen. Solche Fehler sind bereits in einigen Teilen der Linken, aber auch in aufkommenden antiautoritären Kämpfen zu beobachten – entweder lehnen sie sich an das US-Lager an, in dem Irrglauben, dass dessen „demokratische“ Ansprüche tatsächlich etwas zählen, oder sie unterstützen die prokapitalistische Diktatur von Xi in dem Irrglauben, sie betreibe „Antiimperialismus“.

Die Aufgabe der ISA ist es, mit harten Fakten und klaren Analysen beide Lager des Kalten Krieges zu entlarven. Wir erklären, dass nur die Arbeiter*innenklasse, nicht irgendeine der kapitalistischen Regierungen, einen Weg aus der Krise der Menschheit weisen kann, und dies erfordert, dass die Arbeiter*innenbewegung ihre politische Unabhängigkeit bewahrt, ihre Organisationen aufbaut und sich über nationale Grenzen hinweg um das Programm des internationalen Sozialismus herum vereint.

Den Artikel im Original auf Englisch lesen.

Bild: U.S. Department of State from United States, Public domain, via Wikimedia Commons