Keine Chance ohne Sahra?

Sahra Wagenknecht ist als langjährige „Talkshow-Linke“ und Ex-Bundestagsfraktionsvorsitzende bekannt. Früher war sie das Aushängeschild des linken Parteiflügels, heute vertritt sie sozialdemokratische Positionen mit dem Muff der 1970er Jahre. Ihre Positionen zur Zuwanderung sind nach rechts offen. Viele Aktive der antifaschistischen oder Klima-Bewegung sind wegen ihr auf Distanz zur LINKEN gegangen. Trotzdem wird sie von Teilen der Partei unterstützt. Andere Parteimitglieder sehen ihre Positionen kritisch, schweigen aber zu ihren politischen Alleingängen. Ihre These: Die Partei hätte ohne Wagenknecht keine Chancen, sie sei das entscheidende „Zugpferd“. Auf dieser Grundlage votierte ein Teil des Landesvorstandes der LINKE.NRW für ihre Kandidatur auf Platz 1 der Landesliste zu den Bundestagswahlen – obwohl Teile der Partei das als Affront sehen.

Dieser Artikel ist in der März-Ausgabe der sozialismus.info erschienen. Mittlerweile hat Sahra Wagenknecht das Buch „Die Selbstgerechten“ veröffentlicht, in dem sie sich selbst als „linkskonservativ“ bezeichnet und stärker als bisher ein rückwärtsgewandtes Programm formuliert. Wir empfehlen die Rezension von Edith Bartelmus-Scholich auf scharf-links.de

von Thies Wilkening, Hamburg

Ob eine Politikerin Stimmen zieht, ist nicht entscheidend. Die LINKE muss eine glaubwürdige und konsequente sozialistische Politik machen, selbst wenn das zunächst weniger Wahlunterstützung bringen würde. Doch selbst die populistische Argumentation der Wagenknecht-Anhänger*innen in NRW, man brauche sie bei den Wahlen, stimmt nicht.

Bei den Bundestagswahlen 2017 erzielte Sahra Wagenknecht in ihrem Direktwahlkreis Düsseldorf II 13 % der Erststimmen und damit das beste Ergebnis in NRW. Bei den viel wichtigeren Zweitstimmen war ihr Wahlkreis allerdings mit 9,9 % keine Hochburg der Partei. In den vier Wahlkreisen in Köln/Leverkusen schnitt die LINKE mit 10,7 % bis 12,8 % der Zweitstimmen deutlich besser ab. Es gibt eine Schicht von Wähler*innen, die Wagenknecht unterstützen, aber denken, sie sei „in der falschen Partei“. Teile dieser wahrscheinlich nach rechts offenen Wähler*innen wählen daher nicht die LINKE. Während die LINKE nur teilweise von Wagenknechts Bekanntheit profitieren würde, verlöre sie Wähler*innen in den sozialen Bewegungen. Diese sind oft nicht nur Wähler*innen, sondern Aktive und damit Multiplikator*innen. Bestenfalls wäre Wagenknechts Kandidatur ein Nullsummenspiel, möglicherweise schadet sie der Performance der LINKEN bei den Wahlen direkt.

Vom linken Flügel zur Sozialdemokratie

Früher galt Wagenknecht als führende Vertreterin des linken Flügels in der PDS, während der Vereinigung mit der WASG zur LINKEN war sie an der Gründung der AKL beteiligt und in der Kommunistischen Plattform aktiv. In den letzten zehn Jahren hat sie sich von antikapitalistischen Positionen abgewendet und fordert faktisch nur noch einen gebändigten Kapitalismus. Auch ihre Ablehnung der herrschenden Politik ist nicht so konsequent wie ihr häufig nachgesagt wird. Als sie 2018 „Aufstehen“ gründete, sollte daraus eine explizit parteiübergreifende Sammlungsbewegung zur Vorbereitung einer Koalition mit der SPD werden, nur hielt sich das Interesse von SPD-Mitgliedern noch mehr in Grenzen als in der LINKEN.

Bis heute vertritt Sahra Wagenknecht in einigen ihrer Interviews und Youtube-Videos mit Kritik an Sozialabbau, Banken und Konzernen linke Inhalte. Leider sind es aber nicht mehr diese Positionen, die ihr Auftreten prägen. Seit einiger Zeit kritisiert sie vorrangig die Corona-Maßnahmen und fordert ein Ende des Lockdowns oder zumindest deutliche Lockerungen – für die Wirtschaft. Statt die einseitige Ausrichtung der Beschränkungen auf das Privatleben zu kritisieren und Betriebe in die Pflicht zu nehmen, spricht sie vom Grundrecht auf Gewerbefreiheit. Ihr Auftritt bei Anne Will Anfang Februar wurde selbst von rechten Medien als „FDP-haft“ (Cicero) wahrgenommen.

Immer wieder wirft Wagenknecht der eigenen Partei vor, mit Klimaschutz, Antirassismus und dem Kampf gegen Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit Politik für „akademisch Gebildete in den Großstädten“ zu machen und sich damit von Arbeiter*innen und Armen abgewendet zu haben. Migrant*innen arbeiten laut Wagenknecht zu Dumpinglöhnen, senken damit das Lohnniveau und konkurrieren mit den schon in Deutschland lebenden Menschen um Sozialwohnungen. Ihre Konsequenz daraus ist jedoch nicht, die Schaffung von mehr Wohnraum für alle zu fordern und die gewerkschaftliche Organisierung von Arbeiter*innen mit und ohne Migrationshintergrund für höhere Löhne zu fördern, sondern die Ablehnung von Migration.

Klassenpolitik oder „Hauptsache dagegen“?

Wagenknechts Inhalte machen nicht den Eindruck, dass sie diese an Klasseninteressen ausrichtet. Ihre Zielgruppe scheinen immer „die Unzufriedenen“ zu sein, die auf die Straße gehen, auch wenn die Forderungen, die dort vertreten werden, rassistisch sind oder, wie bei „Querdenken“, gegen das gesundheitliche Interesse der Arbeiter*innenklasse gerichtet. Zusammen mit Wagenknechts ökonomischen Positionen wird deutlich, dass sie eine populistische und keine sozialistische Politik macht. Das macht sie noch nicht zur „Rechtspopulistin“, aber auch nicht zu einer geeigneten Spitzenkandidatin für eine Partei mit sozialistischem Anspruch.

Ziel der Linken sollte sein, die Arbeiter*innenklasse – ob mit oder ohne Migrationshintergrund, lesbisch, bi, hetero oder schwul, cis oder trans – zum gemeinsamen Eintreten für ihre Interessen zu vereinen. Da ist nicht hilfreich, Interessengegensätze zu konstruieren oder anzudeuten, wichtige Themen wie Klimaschutz würden nur „Gebildete“ interessieren und die Mehrheit der Arbeiter*innenklasse sei damit nicht erreichbar.

Wagenknecht vertritt anscheinend die Vorstellung, die „richtige“ Arbeiter*innenklasse sei nur über ihre direkten ökonomischen Interessen ansprechbar und in in anderen Fragen tendenziell konservativ, betrachte Minderheiten kritisch oder mit „Sorge“ und verschließe vor neuen Ideen und Gefahren wie dem Klimawandel die Augen. Dieses Bild wird manchmal als „veraltet“ bezeichnet – es ist aber nicht nur veraltet, sondern schlicht falsch.

Zur Geschichte der Arbeiter*innenbewegung gehört seit ihrer Entstehung der Kampf gegen jede Form von Unterdrückung. Karl Marx wollte „alle Verhältnisse [umwerfen], in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“, Friedrich Engels und August Bebel beschäftigten sich im 19. Jahrhundert mit den Ursachen von Frauenunterdrückung, Bebel forderte 1898 im Reichstag die Aufhebung des schwulenfeindlichen Strafrechtsparagraphen 175. Sozialistinnen wie Clara Zetkin und Rosa Luxemburg kämpften für volle Wahl- und Bürger*innenrechte für Frauen und Karl Liebknecht setzte sich für Migrant*innen gegen das „Damoklesschwert der Ausweisung“ ein.

All das zu einer Zeit, in der die damalige Sozialdemokratie zu einer Massenpartei mit bis zu einer Million Mitglieder aus der Arbeiter*innenklasse heranwuchs, die sich von Kämpfen gegen die besondere Unterdrückung von Teilen der Klasse offensichtlich nicht abgeschreckt fühlten, obwohl traditionelle und religiös motivierte Vorurteile sehr viel präsenter waren als heute.

Ein konsequenter Einsatz für die Rechte von Geflüchteten, für Klimaschutz und gegen Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit macht eine linke Partei nicht schwächer, sondern stärker. Menschen aus der Arbeiter*innenklasse sind nicht frei von Rassismus und Sexismus, die in der Klassengesellschaft nach wie vor durch Medien, religiöse Autoritäten und bürgerliche Politiker*innen reproduziert werden. Aber solchen Tendenzen nachzugeben, anstatt gegen sie zu argumentieren würde Linke von allen isolieren, die davon betroffen sind und sie davon abhalten, mit uns gemeinsam für ein gutes Leben für alle zu kämpfen.

Angela Bankert kandidiert

Viele LINKE-Mitglieder in NRW lehnen die These ab, dass die Partei ohne Wagenknecht bei den Wahlen schlechter dastehen würde. Daher kandidiert Angela Bankert, SAV-Mitglied aus Köln, gegen Sahra Wagenknecht für den Platz 1 der NRW-Landesliste, unterstützt von der Antikapitalistischen Linken (AKL) und dem Kölner Kreisverband der LINKEN.

Angela Bankert steht über die SAV hinaus für eine verbindende Klassenpolitik, für die Verbindung ökonomisch-sozialer Kämpfe mit Bewegungen gegen jede Form von Diskriminierung. Angela macht damit das Angebot einer Alternative zu Sahra Wagenknecht, deren Spitzenkandidatur Wähler*innen und Partei spalten und letztere schwächen würde.