von Tony Gong (Socialist Alternative, ISA in den USA)
Die globale Wirtschaftskrise hat die Notwendigkeit für Sozialausgaben deutlicher denn je hervortreten lassen. Arbeiter*innen, Schüler*innen und Jugendliche in den USA demonstrieren für Medicare for All (M4A), dem Schuldenerlass für Studierende und einen Green New Deal (GND). Doch wann immer diese Vorschläge zur Sprache kommen, fragen Konzern-Demokrat*innen und Republikaner*innen: “Wer soll das bezahlen?” Diese Frage, obwohl unaufrichtig, verdient eine ehrliche Antwort von Sozialist*innen.
Die Modern Monetary Theory (MMT) – eine Denkschule, die sich auf der Linken zunehmender Beliebtheit erfreut – besagt, dass Sozialausgaben vollständig durch Geldpolitik (d.h. “Gelddrucken”) finanziert werden können, ohne dass eine Inflation zu befürchten sei. Die MMT-Befürworter*innen verweisen auf die Milliarden an staatlichen Konjunkturausgaben für die COVID-19-Hilfe als Beweis dafür, dass der kapitalistische Staat Arbeitsplätze und Sozialprogramme vollständig finanzieren kann. Es ist bezeichnend, dass die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) ist der Meinung ist, dass MMT „unbedingt“ ein „größerer Teil unserer Debatte“ sein müsse, und es ist bezeichnend, dass Bernie Sanders die MMT-Verfechterin und Ökonomin Stephanie Kelton als leitende Wirtschaftsberaterin in seinen beiden Präsidentschaftskampagnen hatte.
Aber der Kapitalismus hat nie langfristige Vollbeschäftigung erreicht, und Gewinne für arbeitende Menschen sind nie dauerhaft und immer umkehrbar. Kapitalist*innen haben schon immer mit Arbeitslosigkeit gedroht, um die Löhne zu drücken und die Arbeiter*innen bei der Stange zu halten. Die Bosse wehren sich mit Händen und Füßen gegen Sozialausgaben, um den Anteil des Reichtums, der an die arbeitenden Menschen geht, zu senken und die Arbeiter*innen davon abzuhalten, das Selbstvertrauen zu entwickeln, für mehr Gewinne zu kämpfen. Wird MMT wirklich in der Lage sein, sowohl das kapitalistische System aufrechtzuerhalten als auch die Übel zu heilen, die es erzeugt?
Unglücklicherweise behindert die Abhängigkeit der MMT vom Kapitalismus sie bei jedem Schritt. Die MMT-Vertreter*innen haben keinen Blick für die Arbeiter*innenklasse, die die einzige Kraft ist, die den Kampf für ernsthafte Veränderungen anführen kann, um den Green New Deal und Medicare for All zu gewinnen. Stattdessen glauben sie, dass diese Programme durch technokratische Kompromisse mit dem Großkapital gewonnen werden können, was diese Programme verwässern und die Bewegung schwächen würde. Als bürgerliche Theorie sieht die MMT Sozialausgaben letztlich als Mittel, um die US-Wirtschaft aus der aktuellen Depression herauszuziehen und nicht als eigenständiges Ziel. Aber Geld zu drucken, wie das letzte Jahrzehnt der quantitativen Lockerung gezeigt hat, bedeutet nicht, dass Kapitalist*innen dieses Geld fruchtbar investieren werden, um die Depression zu „beheben“. Außerdem ist das Drucken von Geld wirklich nur für einige wenige reiche Imperialist*innen eine Option. In der aktuellen Krise, die die ganze Welt im Griff hat, ist die MMT eine unzureichende Antwort für die arbeitenden Menschen auf der ganzen Welt, die nach einem Ausweg suchen.
Was ist die Modern Monetary Theory?
MMT ist sowohl eine heterodoxe (nicht dem Mainstream entsprechende) Ansicht darüber, wie die kapitalistische Wirtschaft funktioniert, als auch ein Bündel von politischen Handlungsempfehlungen gemeint. Laut MMT ist Geld nicht durch Tauschhandel entstanden, sondern durch den Staat, der seine Autorität nutzt, um Geld herauszugeben und die Nachfrage nach ihm zu diktieren. Alles, ob Gold oder digitale Bits, würde zu Geld gemacht werden, wenn der Staat dieses Ding als Zahlung für Verpflichtungen (Steuern, Schulden, Bußgelder) gegenüber sich selbst akzeptiert. Alle Bürger*innen des Staates (z. B. Steuerzahlende) sind gezwungen, dieses Geld per Gesetz zu verwenden, und so wird es zum akzeptablen Geld für den Handel. Diejenigen außerhalb des Staates werden dieses Geld ebenfalls akzeptieren, weil sie wissen, dass die Bürger*innen des Staates es akzeptieren werden.
MMT-Ökonom*innen untermauern ihre These, dass Geld aus Verpflichtungen gegenüber dem Staat entstanden sei, mit ihrer Interpretation anthropologischer Forschungen zu einer breiten Palette von Geldarten, von der Entwicklung der sumerischen Währung bei der Steuererhebung über die Praxis der germanischen Stämme bei der Wiedergutmachung von Verletzungen oder Todesfällen bis hin zur Monetarisierung der kolonialen afrikanischen Ökonomien durch die britisch-imperiale Besteuerung.
Wenn Geld mit dem Staat beginnt, so die Begründung der MMT, dann kann die nationale Regierung nach Belieben Geld schaffen und vernichten. Diese Behauptung widerspricht der Vorstellung, dass Staatsausgaben durch Steuereinnahmen finanziert werden. Stattdessen argumentiert MMT, dass die Regierung effektiv Geld im Moment der Ausgaben erschafft – und die Steuererhebung erst Monate später folgt. Stephanie Kelton erklärt in einem bahnbrechenden MMT-Papier mit dem Titel „Can Taxes and Bonds Finance Government Spending?“, dass „die Regierung nicht Geld, sondern Brücken, Armeen, Satelliten usw. haben will und dass sie sie erwirbt, indem sie die Bevölkerung dazu ermutigt, sie im Austausch für Regierungsgeld bereitzustellen.“ Mit anderen Worten: Der Staat nutzt die Zwangssteuererhebung, um dem neu gedruckten Geld einen Wert zu verleihen, das wiederum gegen privatwirtschaftliche Produkte getauscht wird.
Diese Analyse hat eine intellektuelle Geschichte, die im Chartalismus verwurzelt ist, einer ökonomischen Theorie des frühen 20. Jahrhunderts, die besagt, dass „Steuern das Geld antreiben“. Der Chartalismus beeinflusste John Maynard Keynes in der Entwicklung seiner Theorie, die wiederum MMT sowohl in den wirtschaftlichen als auch in den politischen Schlussfolgerungen beeinflusste. MMT selbst entstand in den 1990er Jahren aus einer post-keynesianischen Online-Forumsdiskussion zwischen dem Hedgefonds-Millionär Warren Mosler und einer Gruppe von Ökonom*innen.
Das politische Programm von MMT, die Jobgarantie und die Inflation
MMT-Befürworter*innen, die im Allgemeinen links orientiert sind, haben sich eifrig für Programme wie den Green New Deal eingesetzt. Sie haben Recht, wenn sie den Kampf gegen den Klimawandel, die Beendigung der Masseninhaftierung (in den USA und anderen Staaten) und die allgemeine Gesundheitsversorgung mit den verzweifelten Herausforderungen der Großen Depression und des Zweiten Weltkriegs vergleichen.
Indem sie Parallelen zum New Deal ziehen, sehen MMT-Ökonom*innen den Green New Deal als sozial wertvoll und antizyklisch, d.h. in der Lage, dem wirtschaftlichen Abschwung entgegenzuwirken, indem Investitionen und Ausgaben angekurbelt werden. Obwohl die Kosten der Sozialprogramme enorm sein werden, argumentiert Kelton, dass die Finanzierung kein Problem darstellt, denn „wenn der Kongress ein paar hundert Milliarden Dollar bewilligt, dann ist es die Aufgabe der Fed, dafür zu sorgen, dass diese Schecks nicht platzen.“ MMT weicht der Frage aus, wer für den Green New Deal bezahlt, indem sie darauf hinweist, dass die Federal Reserve (Fed) einfach Geld für das Programm drucken kann.
Um die Bedenken über den inflationären Effekt einer Erhöhung der Geldmenge zu beantworten, baut MMT auf Keynes‘ Ideen zur Vollbeschäftigung auf. Befürworter*innen der MMT behaupten, dass es keine Inflation geben wird, solange die Geldschöpfung mit einer erhöhten Produktion einhergeht. Ein Land mit Vollbeschäftigung hätte eine maximale Produktion, über die hinaus zusätzliche Geldschöpfung Inflation verursachen würde. Bei weniger als Vollbeschäftigung argumentieren die Befürworter*innen der MMT jedoch, dass die Geldschöpfung nicht zu Inflation führen würde, und dass sich die Regierung selbst durch ein Programm namens „Jobgarantie“ zur Vollbeschäftigung verpflichten sollte. Auf diese Weise kann die Wirtschaft in Abschwungphasen die Konsumausgaben aufrechterhalten, weiterhin mit maximalem Output produzieren und das soziale Leid der Arbeitslosigkeit reduzieren.
Diese Theorie der Inflation ist stark von den Erfahrungen des letzten Jahrzehnts geprägt. Die Fed hat durch „quantitative Lockerung“ (quantitative Easing) effektiv viel Geld gedruckt, aber die Inflation blieb niedrig, weil die Finanzkrise 2008 eine langanhaltende Rentabilitätskrise offengelegt hat. Ohne gute Investitionsmöglichkeiten weigerten sich die Kapitalist*innen, das neu geschaffene Geld für Büros, Löhne, Fabriken und so weiter auszugeben – stattdessen steckten sie es in spekulative Anlagen. In den letzten zwei Jahrzehnten war die allgemeine Wirtschaft auch einem deflationären Druck ausgesetzt, der durch die Überproduktion und den sinkenden Anteil des Reichtums, der an die Arbeiter*innenklasse ging, verursacht wurde. Gleichzeitig wurden bestimmte Vermögenswerte, wie Wohnungen und Aktien, spekulativ und zu himmelhohen Preisen aufgeblasen. Der prominente bürgerliche Ökonom Larry Summers beschreibt dieses Phänomen zähneknirschend als „säkulare Stagnation“. Es sind nicht die von MMT entdeckten ökonomischen Gesetze, sondern der Mangel an profitablen Investitionen in Kombination mit dem deflationären Druck in der kapitalistischen Wirtschaft, der die allgemeine Inflation in der vorangegangenen Periode des Gelddruckens in Schach gehalten hat.
Getreu seinen keynesianischen Wurzeln schlagen MMT-Vertreter*innen vor, den anhaltenden Mangel an privaten Investitionen mit groß angelegten öffentlichen Ausgaben durch Programme wie die Arbeitsplatzgarantie (AG) auszugleichen. Die AG würde Arbeitsplätze mit einem existenzsichernden Lohn von 15 Dollar pro Stunde für jeden schaffen, der Arbeit haben möchte, was ein ausgezeichneter Ausgangspunkt ist. Allerdings, so die prominente AG-Befürworterin Pavlina Tcherneva in „The Job Guarantee: Design, Jobs, and Implementation“ („Die Arbeitsplatzgarantie: Design, Jobs und Umsetzung“), sind diese Jobs für den „Übergang zu Beschäftigungsmöglichkeiten im privaten Sektor“ gedacht, „ohne mit dem privaten Sektor zu konkurrieren“. Die Arbeitsplatzgarantie soll den privaten Sektor wieder profitabel machen, daher sind die angebotenen Jobs absichtlich schlechter als die Beschäftigung im privaten Sektor, um Konkurrenz zu vermeiden.
Der AG-Lohn würde auf 15 Dollar pro Stunde festgelegt und nicht an die Inflation angepasst werden. MMT-Ökonom*innen argumentieren, dies sei notwendig, um weitere Inflation zu verhindern. Einen AG-Job anzunehmen würde bedeuten, dass man auf andere Sozialhilfeleistungen verzichten müsste. Wenn der Privatsektor expandiert, wird das AG-Programm als Reaktion darauf schrumpfen, um Kapitalist*innen als primäre Arbeitgeber*innen zu behalten. Die Stellen sind so konzipiert, dass sie wenig qualifiziert und arbeitsintensiv sind, mit minimalem Einsatz von Kapital. All dies summiert sich zu einem Programm, bei dem der anfänglich vernünftige Lohn durch Inflation ausgehöhlt wird, genau wie der Mindestlohn, und bei dem Geschäftsinteressen Vorrang vor dem Wohlergehen der Arbeiter*innen haben. Die AG ist kein Regierungsprogramm für gute Jobs – sie ist eher eine Form der Wohlfahrt, die Arbeit voraussetzt.
Der Grund, warum MMT-Theoretiker*innen gezwungen sind, die AG zu schwächen, ist, dass sie als bürgerliche Theoretiker*innen die Macht der Bosse nicht bedrohen können, die ihrer Meinung nach die primären Arbeitgeber*innen in einer Wirtschaft sein sollten. Die Arbeitslosen bilden das, was Marx eine „Reservearmee der Arbeit“ nannte, auf die die Kapitalist*innen zurückgreifen können, um diejenigen zu ersetzen, die gerade arbeiten. Diese Bedrohung durch Arbeitslosigkeit und Ersetzbarkeit wirkt als Abwärtsdruck auf die Löhne und hilft den Kapitalist*innen, Gewinne zu machen. Wenn MMT die Bedrohung durch Arbeitslosigkeit beseitigt, dann muss es einen anderen Weg anbieten, die Kosten zu senken – wie z. B. AG-Jobs dazu zu verdammen, irgendwann unerwünscht zu sein, wobei die Löhne durch die Inflation erodiert sein werden – um die Interessen der Kapitalist*innen zu schützen. Ohne starken sozialen Druck, der das AG-Programm verteidigt und es besser macht, können Konzernlobbys die AG leicht in Workfare (gemeint ist “Sozialleistungen gegen Arbeit”, Anm. d. Übers.) verwandeln.
Anstatt die Arbeitsplatzgarantie zu schwächen, um dem Kapitalismus entgegenzukommen, kämpfen Sozialist*innen für gute Arbeitsplätze für alle, auch wenn das bedeutet, das Wirtschaftssystem zu ändern. Eine starke Bewegung der Arbeiter*innenklasse kann Sozialausgaben durchsetzen, ohne vorschnelle Zugeständnisse an Geschäftsinteressen zu machen. Soziale Forderungen werden im Kapitalismus immer mit den Forderungen des Großkapitals kollidieren, und die Ökonom*innen müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. Leider haben die Befürworter*innen der MMT einen Rückzieher gemacht und sich den Interessen des Profits gebeugt – und das nicht nur beim AG.
Ist MMT die richtige Strategie für Sozialausgaben?
MMT-Vertreter*innen geht es in erster Linie um die Rettung des Kapitalismus. Sie sehen den Weg zum sozialen Wohlstand ausschließlich in der Kooperation mit den Interessen der Wirtschaft. Ihre zentrale These ist, dass Sozialprogramme durch Geldschöpfung finanziert werden können, und nicht durch zusätzliche Steuern, die die Gewinne schmälern würden. Der Kampf um Sozialausgaben ist jedoch ein Klassenkampf. Die MMT versucht, die Kapitalist*innenklasse mit einer Abkürzung bei der Finanzierung von Sozialprogrammen zu beschwichtigen, bei der die Besteuerung der Reichen vermieden wird. Aber kann die Federal Reserve wirklich in eine linksradikale Institution verwandelt werden, die Milliarden von Dollar für Sozialprogramme druckt? Wie kann die MMT die Kräfte mobilisieren, die eine solche Umwandlung durchführen?
Marxist*innen sehen den Staat nicht als neutrale*n Schiedsrichter*in zwischen den Klassen, sondern als ein Instrument der herrschenden Klasse – der Kapitalist*innenklasse. Das bedeutet nicht, dass Arbeiter*innen niemals Siege gegen den Staat erringen können, aber es gibt ernsthafte Grenzen für die Fähigkeit, das System zu reformieren. Wenn die Fed morgen anfangen würde, Sozialprogramme zu finanzieren, könnte der von den Konzernen kontrollierte Kongress einfach die Satzung der Fed umschreiben. Nur weil die Finanzmärkte als Reaktion darauf, dass die Zentralbanken Geld für Unternehmen drucken, in die Höhe schossen, heißt das nicht, dass sie es befürworten, wenn die Zentralbanken Geld für Sozialprogramme drucken, was die Märkte im Allgemeinen ablehnen. Und wenn es für Konzerne unrentabel ist, in den Green New Deal oder Medicare For All zu investieren, werden sie nicht die notwendige Anzahl von Turbinen oder Medikamenten produzieren und stattdessen das neu gedruckte Geld einfach einstecken.
Wir haben das bereits gesehen, als die Coronavirus-Konjunkturmaßnahmen im Jahr 2020 größtenteils in die Geldspeicher der Unternehmen flossen, während nur ein Fünftel an die Arbeiter*innen ging. Das trug dazu bei, den Reichtum der amerikanischen Milliardär*innen um eine Billion Dollar zu erhöhen. Gleichzeitig verloren die Amerikaner*innen allein in den ersten beiden Monaten der Pandemie 1,3 Billionen Dollar an Einkommen. Einer von vier Haushalten in den USA hat einen Arbeitsplatz verloren und Millionen von Menschen sind von Zwangsräumungen bedroht – und das alles, während die Fed für die Aktionär*innen der Unternehmen noch nie dagewesene 3,5 Billionen Dollar gedruckt hat. Um den Erfolg von ernsthaften Reformen wie dem Green New Deal oder Medicare For All zu garantieren, können wir den großen Hersteller*innen und Pharmakonzernen nicht einfach Geld geben. Selbst nachdem sie 2,5 Milliarden Dollar an Regierungsgeldern für die COVID-19-Impfstoffforschung und weitere Milliarden für die ersten Hunderte Millionen Dosen erhalten hatten, lieferte die US-Pharmaindustrie bis Ende Januar nur 68 Millionen der versprochenen 300 Millionen Impfstoffe aus. Während die Produktion des Impfstoffs hochgefahren wird, war die Verteilung ein Desaster. Wir müssen alle großen Konzerne in demokratische öffentliche Hand nehmen, damit Wettbewerb und Geschäftsgeheimnisse die Zusammenarbeit nicht behindern, die Produktion auf notwendige Güter gelenkt werden kann und die Preise erschwinglich sind.
Im Kampf für Sozialausgaben und reale Gewinne für die arbeitenden Menschen ist unser Gegner nicht die Inflationstheorie oder der Geldumlauf, sondern die Kapitalist*innenklasse. Der Kampf für Sozialprogramme ist Teil des Kampfes um das Sozialprodukt: welcher Anteil des von den Arbeiter*innen produzierten Reichtums geht an die Arbeiter*innenklasse und welcher Anteil an die Kapitalist*innen. Während des Nachkriegsbooms, angesichts einer mächtigen Arbeiter*innenbewegung und der Bedrohung durch die UdSSR, gaben die Kapitalist*innen im Westen vorübergehend umfangreiche Sozialausgaben frei. Die massive Ausweitung der Produktion nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ermöglichte es, die Rentabilität aufrechtzuerhalten, während die Sozialhilfe den Anteil des Reichtums, der an die Arbeiter*innenklasse geht, erhöhte. Aber als die Rentabilität sank und die Kapitalist*innen sich dem Neoliberalismus zuwandten, wurden die Sozialprogramme zum Ziel von Kostensenkungen und Privatisierung. Die Kapitalist*innen stellten die Rentabilität wieder her, indem sie sich den Anteil der Arbeiter*innen am Reichtum unter den Nagel rissen und die Ausbeutungsrate erhöhten.
Die Arbeiter*innenklasse mit ihrer zahlenmäßigen Stärke und ihrer potenziellen Macht am Arbeitsplatz ist die Kraft, die Sozialausgaben ohne Zugeständnisse durchsetzen kann, nicht MMT-Technokrat*innen, die im kapitalistischen Staatsapparat arbeiten. Um eine möglichst starke Bewegung aufzubauen, müssen die Forderungen nach Sozialausgaben die Arbeiter*innen mobilisieren und direkt auf den Feind lenken. Das bedeutet, die Reichen zu besteuern, um Sozialprogramme zu finanzieren, und wichtige Unternehmen in öffentliches Eigentum unter Arbeiter*innenkontrolle zu bringen.
Leider ist die Besteuerung der Reichen für viele MMT-Theoretiker*innen ein Tabu-Thema. In dem Arbeitspapier des Levy Economics Institute „How to Pay for the Green New Deal“ (“Wie man den Green New Deal finanzieren kann“) erklären die Befürworter*innen der MMT, dass sie „nicht mit [Sanders‘] Ziel übereinstimmen, Einnahmen zu erzielen“, indem sie Arbeitgeber*innen und Reiche besteuern, um für Medicare For All zu zahlen. Stattdessen „schlagen sie vor, einen Aufschlag von 4,6 Prozent auf den Arbeitnehmer*innenanteil der Lohnsteuer zu erheben“, um „Inflationsängste zu beschwichtigen“, indem „die Konsumnachfrage der weniger glücklichen unteren 90 Prozent der Amerikaner*innen reduziert wird“. Trotz der von MMT Befürworter*innen geäußerten rhetorischer Sorge um die einfachen Leute würde dies die Steuerlast weiter auf die Arbeiter*innenklasse verlagern! Eine solche Steuer wäre nicht nur regressiv, sondern würde auch dem rechten Flügel Munition liefern, um Sozialprogramme anzugreifen. Der Mitbegründer der MMT, Randall Wray, hat kürzlich ein Papier mit dem Titel „Is It Time to Eliminate Federal Corporate Income Taxes?“ („Ist es an der Zeit, die Körperschaftssteuer auf Bundesebene abzuschaffen?“) mitverfasst, in dem er behauptet, dass „die Unternehmensbesteuerung … ineffizient ist und größtenteils von Verbraucher*innen und Arbeitnehmer*innen getragen wird, nicht von Aktionär*innen“, und dass er „die Abschaffung der Steuer auf Unternehmensgewinne bevorzugt“. Dies ist ein schockierender Aufguss des rechten Mythos, dass „Unternehmenssteuern auf Verbraucher*innen und Arbeiter*innen abgewälzt werden, also sollten wir sie nicht besteuern“.
Die Durchsetzung von Sozialprogrammen ist ein harter Kampf, und die politischen Bedürfnisse der Bewegung können nicht durch die ökonomischen Theorien, die sie unterstützen, behindert werden. Der technokratische Ansatz der MMT, der sich auf bürokratische Manöver stützt und Steuern von den Reichen auf die Arbeiter*innenklasse verlagert, wird Arbeiter*innen und Progressive, die an ihren Arbeitsplätzen und auf den Straßen für Sozialausgaben kämpfen, demobilisieren. Der einzige Weg, den Widerstand der Konzerne zu besiegen, sind Arbeitskämpfe und Massenbewegungen, die sich um ein Programm der Besteuerung der Reichen und der Überführung der großen Konzerne in demokratisches öffentliches Eigentum scharen.
MMT vs. Marxistische Ökonomie
Die Schwächen der MMT lassen sich auf ein grundlegendes Missverständnis von Geld, Wert und den Quellen der Krisen des Kapitalismus zurückführen. Historisch gesehen ergibt sich der Ursprung des Geldes aus einer Reihe von sozialen Bedingungen und seine universelle Übernahme ergibt sich aus einer anderen. Der Staat mag Geld erfinden und ausgeben, um Steuern zu quantifizieren, aber er versucht letztlich, realen Wert und nicht Geld zu erheben. Feudalherr*innen zum Beispiel waren mehr als glücklich, von ihren Untertan*innen Nicht-Geld-Steuern in Form von corvée (Fronarbeit) oder Arbeit anstelle von Geld oder Ernteabgaben zu erheben. Doch dasselbe Gebiet hätte ein paar Jahrhunderte zuvor ein römisches Gebiet sein können, in dem Geld aufgrund des weit verbreiteten Handels und der Produktion von Waren für den Verkauf allgegenwärtig war. Wie sehr eine Wirtschaft Geld verwendet, hängt von der Produktion von Waren, ihrem Austausch und der Notwendigkeit ab, Vermögen zu quantifizieren und aufzubauen. Im Kapitalismus, den Marx als „verallgemeinerte Warenproduktion“ beschrieb, sind es nicht die Steuern des Staates, die die Nachfrage nach Geld antreiben, sondern die Warenzirkulation und die Bewegung des Kapitals.
Marxist*innen verstehen, dass eine Ware einen Wert hat, der darauf basiert, wie viel Arbeit im Durchschnitt für ihre Herstellung aufgewendet wird (die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit). Damit Märkte funktionieren, muss die Menge des Geldes und seine Zirkulation die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit der Waren widerspiegeln und kann nicht willkürlich von Feudalkönig*innen oder kapitalistischen Staaten bestimmt werden, ohne dass es zu einer wirtschaftlichen Störung kommt. Ein übermäßiges Geldangebot ist, unter allen Umständen, inflationär. Da der MMT eine Werttheorie fehlt, kämpft sie damit, die allgemeine Bewegung der Preise zu erklären. Sie geht davon aus, dass der Staat die Preise festlegen (die Inflation kontrollieren) kann, indem er die Geldmenge in der Wirtschaft manipuliert. Aber die Kontrolle über die Geldmenge ist nicht dasselbe wie die Kontrolle über den Wert des Geldes. Im Kapitalismus ist es der kapitalistische Markt, nicht der Staat, der letztendlich bestimmt, was und wie viel produziert wird und damit welchen Wert das Geld haben wird.
In diesem Sinne berücksichtigt MMT nicht die zugrundeliegenden objektiven Krisentendenzen im Kapitalismus: die Tendenz zur Überakkumulation von Kapital und die Tendenz in der allgemeinen Wirtschaft, dass die Profitrate sinkt, da mehr in Technologie und Maschinen investiert wird als in die Arbeitskraft der Arbeiter*innen, die die einzige Quelle des Mehrwerts ist. Dies ist eine Tendenz und kein Gesetz, aber man kann es an dem Kampf der USA mit dem sinkenden Produktivitätswachstum sehen. Von 1991-2007 wuchs die Produktivität der Arbeiter*innen in den USA um durchschnittlich 2,2% pro Jahr. Von 2010-2017 fiel das Produktivitätswachstum auf 0,9 %, trotz des massiven Einsatzes der quantitativen Lockerung. Da Kapitalinvestitionen die Produktion pro Arbeiter*in kaum verbessern und die Realzinsen in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern niedrig oder negativ sind, weigern sich die Kapitalist*innen, neu gedrucktes Geld zu investieren, weil sie keinen Gewinn machen können. Das Wachstum der Kapitalintensität – ein Verhältnis, das grob das verbrauchte Kapital zu der in der Produktion verbrauchten Arbeitskraft widerspiegelt – war in den letzten zehn Jahren für die USA nahe Null oder sogar negativ. Die Saat der aktuellen Wirtschaftskrise wurde lange vor dem Aufkommen von COVID-19 gesät.
Wenn die vorherige Periode der Quantitativen Lockerung den Mangel an profitablen Investitionen nicht behoben hat, dann wird auch das Drucken von noch mehr Geld, wie es die MMT vorschlägt, nicht helfen. Die Kombination aus sinkenden Profitraten und lockerer Geldpolitik führte in den 1970er Jahren zur „Stagflation“, als das Wirtschaftswachstum in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern stagnierte, während die Inflation in die Höhe schoss. Das führte dazu, dass die herrschende Klasse den Keynesianismus zugunsten des Neoliberalismus ablehnte, da Neoliberalismus versprach, die Rentabilität durch eine Senkung des Anteils des Wohlstands, der an die Arbeiter*innenklasse geht, wiederherzustellen, einschließlich brutaler Kürzungen von Sozialprogrammen. MMT ist eine Rückkehr zum Keynesianismus, nur bewaffnet mit der Job-Garantie, damit die staatliche Beschäftigung das neu gedruckte Geld aufsaugen kann.
Die AG macht jedoch vor einer massiven staatlichen Beschäftigung halt. In der MMT-Vision für einen Green New Deal, die in „How to Pay for the Green New Deal“ dargelegt wird, würden Arbeiter*innen der AG nur in Teilen in Green New Deal-Projekten eingesetzt werden, für „arbeitsintensive Arbeiten“, die „keine teuren Kapitalinvestitionen oder Materialien erfordern“, und „nicht als qualifizierte Arbeitskräfte eingesetzt werden“. Facharbeit und kapitalintensive Güter und Dienstleistungen würden „einen Kernbestandteil des GND“ ausmachen, aber immer noch „von privaten Auftragnehmer*innen durchgeführt werden, während sie von [dem Staat] bezahlt werden“, finanziert durch Gelddrucken.
Die Arbeiter*innen brauchen dringend höhere Löhne und eine enorme Ausweitung der Sozialausgaben, aber das verwässerte Programm der MMT bietet unerwünschte Arbeitsplätze, während ihr Ansatz des Gelddruckens das Risiko birgt, die Krise des Kapitalismus weiter zu vertiefen. In einer kapitalistischen Wirtschaft, die bereits mit Waren überschwemmt ist, wird das Drucken von Geld für zusätzliche Produktion die Krise der Überproduktion noch verschärfen. Nur eine rationale, geplante Wirtschaft unter demokratischer Kontrolle kann die Produktion umleiten, um die Infrastruktur auf der Basis von 100 % erneuerbarer Energie, universeller Gesundheitsversorgung und guten Arbeitsplätzen für alle wieder aufzubauen.
Ohne eine Theorie des Wertes unterschätzen MMT-Vertreter*innen auch die Rolle der Schulden im Kapitalismus. Staatsschulden sind mehr als eine Zahl; sie sind ein Werkzeug für Kapitalist*innen, um Reichtum von anderen Klassen zu transferieren. Kapitalist*innen sind nicht nur die Hauptbegünstigten der Staatsausgaben, sie sind auch die Gläubiger*innen des Staates und werden ihre Kredite an die Regierung mit Zinsen durch die Besteuerung der Arbeiter*innenklasse und der Mittelklasse zurückbezahlt bekommen. In Band eins des Kapitals nannte Marx „die Staatsverschuldung … einen der mächtigsten Hebel der primitiven Akkumulation“ des Kapitals.
Aber übermäßige Staatsverschuldung wird zu einer Belastung für den Kapitalismus. Bankguthaben, die in kapitalistische Unternehmen hätten investiert werden können, sind stattdessen in unproduktiven Staatsanleihen gebunden, die in der aktuellen Atmosphäre wirtschaftlicher Unsicherheit und geringer Rentabilität besonders attraktiv werden. Die staatliche Neuverschuldung hört auf ein Instrument der Kapitalakkumulation zu sein, da die realen Zinssätze auf null oder negativ fallen. Die Bewältigung der Staatsverschuldung durch Geldschöpfung, was in begrenztem Umfang bereits durch die Quantitative Lockerung geschehen ist, führte zu explodierenden Preisen an den Immobilien- und Finanzmärkten. Für Kapitalist*innen bedeutete dies steigende Kapitalkosten: teurere Gewerbeimmobilien und höhere Kosten für den Kauf von Anteilen an Start-ups und Konzernen. Dies verringert die Rentabilität weiter und schreckt sie von Investitionen ab. Das Drucken von Geld wandelt die Probleme der Verschuldung lediglich um, hebt sie aber nicht auf.
Außerdem sind die Staatsschulden nicht die einzigen Schulden, über die man sich Sorgen machen muss. Im letzten Jahr haben Zombie-Firmen, die nicht genug Gewinn erwirtschaften können, um die Zinsen für ihre Schulden zu bezahlen, und sich mehr Geld leihen müssen, um einen Bankrott zu vermeiden, ihre Schulden auf 2 Billionen Dollar verdoppelt. Diese Schuldenexplosion wurde von der Federal Reserve angeheizt, die in einem neuen Präzedenzfall Geld druckte, um Unternehmensanleihen aufzukaufen. Heute gibt es so viel spekulatives Geld, das um den Kauf von Schrottanleihen konkurriert, dass deren Renditen gefallen sind und die Unternehmen aufgefordert werden, noch mehr Schrottanleihen auszugeben. Die Blase der Unternehmensanleihen ist ein Pulverfass, das darauf wartet, eine Finanzkrise auszulösen, wenn die Zinsen steigen. Es gibt keinen historischen Grund zu glauben, dass die Zinssätze auf unbestimmte Zeit auf dem derzeitigen niedrigen Niveau bleiben werden. Wenn die Zinsen steigen und die Masse an Zombie-Unternehmen bedrohen, könnte das politische Establishment sogar Elemente der MMT-Logik herausgreifen, um immer größere Rettungsaktionen für Unternehmen zu rechtfertigen und so zu versuchen, das Platzen der Unternehmensschuldenblase zu verhindern.
In der Zwischenzeit gibt es keine Erleichterung für die Schulden der privaten Haushalte. Die amerikanische Regierung hat zwar einen Zahlungsaufschub für Studierendenkredite und Hypotheken sowie ein schwaches Moratorium für Zwangsräumungen beschlossen, aber die Arbeiter*innen müssen nach Ablauf der tilgungsfreien Zeit immer noch enorme Summen zurückzahlen. Der leere Aufschwung nach 2008 und die aktuelle Krise haben gewöhnliche Menschen bis an ihre Verschuldungsgrenze gebracht. Da fast 90 % der Menschen mit Studierendenkrediten diese während der Schonfrist nicht zurückzahlen, droht den arbeitenden Menschen das Gespenst eines massenhaften Zahlungsausfalls, sobald die Rückzahlung wieder obligatorisch wird. Aber die Fed wird uns nicht retten, wie sie es bei den Zombie-Unternehmen getan hat, es sei denn, sie wird durch eine Massenbewegung dazu gezwungen. Ohne eine solche Bewegung werden Kapitalist*innen und der Staat Schuldeneintreiber*innen, Anwält*innen und die Polizei schicken, um sich das Stück zu holen, das ihnen ihrer Meinung nach zusteht. Schulden sind ein so integraler Bestandteil des Kapitalismus, dass die herrschende Klasse niemals zulassen wird, dass eine technokratische Gelddrucklösung sie eines solch nützlichen Werkzeugs beraubt. Eine sozialistische Transformation der Gesellschaft ist notwendig, um die Last der übermäßigen persönlichen Verschuldung zu beenden und das Leben der arbeitenden Menschen wieder schuldenfrei zu machen.
MMT hängt von der Macht des US-Imperialismus ab
Ein Großteil der ökonomischen Vorschläge von MMT-Vertreter*innen beruht auf der Sonderstellung des US-Imperialismus. Die Politik der MMT erfordert „monetäre Souveränität“ – eine Liste souveräner Privilegien, die die volle Kontrolle über die Ausgabe von Währungen, die Erhebung von Steuern, die Ausgabe von Schulden und die Fähigkeit, Wechselkurse zu floaten (floaten = frei schwanken lassen, Anm. d. Übers.), beinhaltet. Während die USA diese Kriterien erfüllen, tun dies nur wenige Länder auf der Welt. Einzelne Länder der Eurozone haben zum Beispiel nicht die volle Kontrolle über die Ausgabe des Euro. Viele Entwicklungsländer haben keine frei schwankenden Wechselkurse, weil der Imperialismus ihre Volkswirtschaften für den Tourismus oder den Export von Rohstoffen in eine Zwangsjacke gesteckt hat und sie so an den US-Dollar bindet. Versuche neokolonialer Länder, ihre monetäre Souveränität ungeachtet dieser Zwänge auszuüben, haben Währungskrisen ausgelöst, wie die Hyperinflation, die derzeit den Libanon erfasst, da die Zentralbank Lira druckt, um die Schulden einer von Korruption und imperialistischer Ausbeutung gebeutelten Regierung zu decken. Es ist klar, dass MMT-Vorschläge nur in wirklich wohlhabenden Ländern eine Chance haben, zu funktionieren.
Als vorherrschende imperialistische Weltmacht haben die USA auch das Privileg, dass der Dollar die Reservewährung der Welt ist. Das bedeutet, dass die Länder untereinander größtenteils in Dollar handeln, auch wenn keines der Länder den Dollar im Inland verwendet. Der Dollar macht über 60 % der weltweiten Devisenreserven aus. Die weltweite Akzeptanz des Dollars verleiht der Behauptung der MMT Glaubwürdigkeit, dass die USA so viel davon drucken können, wie sie wollen. Das liegt aber zum Teil daran, dass die Folgen des Gelddruckens auf andere Länder abgewälzt werden können, wobei die an den Dollar gekoppelten Länder am härtesten getroffen werden, weil sie neue Dollars mit eigenem Gelddrucken ausgleichen müssen, um die Währungsanbindung aufrechtzuerhalten.
Ein massives Gelddruckprogramm, das zu einer Abwertung führt, wird den Reservestatus des Dollars und die Stärke des US-Imperialismus, der ihn stützt, auf die Probe stellen. In diesem Stadium der weltweiten Krise werden die Kapitalist*innen anderer Länder den USA nicht ohne weiteres erlauben, entweder Inflation oder billigere Waren zum Dollarpreis in ihre Heimatmärkte zu exportieren. Die fortgeschrittenen Kapitalist*innen würden sicherlich Vergeltung gegen die Dollarabwertung üben. Für die neokoloniale Welt könnte eine vom Dollar angetriebene Inflation zusätzlich zur Coronavirus-Krise eine wirtschaftliche Katastrophe auslösen und Volksaufstände provozieren, die den Imperialismus herausfordern.
Für den aufstrebenden chinesischen Imperialismus könnte dies eine Gelegenheit sein, Länder aus der US-Einflusssphäre herauszuholen und in die eigene zu bringen. Möglicherweise ließe sich sogar beobachten, dass Elemente der MMT sowohl von rechten als auch von linken Nationalist*innen übernommen werden, die die US-Hegemonie mit inländischer Währungsautonomie bekämpfen wollen. Da der Welthandel an den Dollar gebunden ist, ist die Schaffung einer riesigen Menge an Dollars in Wirklichkeit eine protektionistische Maßnahme, die dem Export des Weges der USA aus der Krise gleichkommt und die zweifellos die zwischenimperialistische Rivalität beschleunigen, die nationalen Volkswirtschaften weiter entkoppeln und die Wirtschaftskrise vertiefen wird. Der Bruch mit dem Kapitalismus ist ein entscheidender Schritt für die neokolonialen Länder, um die imperialistische Vorherrschaft zu beenden, und für die fortgeschrittenen Volkswirtschaften, um aus der gegenseitig zerstörerischen wirtschaftlichen Konkurrenz auszusteigen.
Wie können Arbeiter*innen Sozialausgaben durchsetzen?
Die heutigen Sozialprogramme orientieren sich am New Deal von Präsident Roosevelt. Die wichtigsten Sozialprogramme des New Deal wurden nicht mit Worten und klugen Argumenten gewonnen, sondern durch einen gewaltigen Aufstand der Arbeiter*innenklasse. In den 1930er Jahren schwappten mehrere Streikwellen über das Land, durch die sich Millionen von Arbeiter*innen unter dem „Congress of Industrial Organizations“ gewerkschaftlich organisierten. Sozialist*innen spielten in diesem Prozess eine Schlüsselrolle, unter anderem führten sie 1934 den Streik der „Minneapolis Teamsters“ an, die sich gegen die Polizei, private Milizen, die Nationalgarde und eine feindliche Gewerkschaftsbürokratie zur Wehr setzten, um den Grundstein für eine starke Gewerkschaft zu legen.
Das ist die Art von Klassenkampfansatz, die wir heute brauchen.
Die Coronavirus-Krise und die wirtschaftliche Depression haben die ohnehin schon extreme Ungleichheit noch verschlimmert. Die Antwort auf die Frage „Wer soll für die Sozialausgaben zahlen?“ muss lauten: „die Reichen“. Seattle hat es vorgemacht, als das Socialist Alternative-Stadtratsmitglied Sawant eine kämpferische Kampagne zur Besteuerung von Amazon anführte und gewann. Jetzt müssen Arbeiter*innen und Sozialist*innen im ganzen Land diese Errungenschaften gegen einen Versuch der Rechten verteidigen, sie abzusetzen. Wenn schon ein einzelnes Stadtratsmitglied das tun kann, was könnten dann erst Bernie Sanders oder AOC erreichen, wenn sie zu einer Massenbewegung aufrufen, um die Reichen zu besteuern und den Green New Deal und Medicare For All zu finanzieren. Diese Art von Kampfbewegung, verbunden mit dem Aufbau einer unabhängigen Arbeiter*innenpartei, die von der Einmischung der Demokratischen Partei befreit ist, kann die beliebten Sozialprogramme in die Tat umsetzen.
Massive Ausgaben sind nicht länger das alleinige Eigentum von MMT-Ökonom*innen. Präsident Biden plant ein großes Konjunkturprogramm, das 400 Dollar/Woche an Arbeitslosenunterstützung und einen einmaligen Scheck von 1.400 Dollar vorsieht – alles ohne neue Steuern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Biden für die Linke gewonnen wurde oder dass er permanente Sozialausgaben beschließen wird. Während Bidens Konjunkturprogramm das genaue Gegenteil seiner sehr fiskalkonservativen Haltung während der Vorwahlen und der Parlamentswahlen ist, ist es nur die Tiefe der gegenwärtigen Krise, die ihn und die herrschende Klasse dazu zwingt, Geld für die einfachen Leute auszugeben, um die Wirtschaft zu stützen.
Wenn diese Ausgaben von oben nach unten durchgesetzt werden, wird dies bei Aktivist*innen und Technokrat*innen, wie den Befürworter*innen der MMT, Illusionen in die Lobbyarbeit des politischen Establishments für umfangreiche Sozialausgaben erzeugen. Dauerhafter sozialer Wandel kann jedoch nur durch eine organisierte Bewegung der Arbeiter*innenklasse gewonnen werden. MMT präsentiert sich als eine Abkürzung für die harte Arbeit des Aufbaus einer Bewegung, als eine Art Allheilmittel für diejenigen, die sich nach sozialem Wandel sehnen. Sozialist*innen sollten dem Appell von MMT freundlich und verständnisvoll gegenüberstehen, aber entschlossen auf seine Schwäche als bürgerliche Theorie hinweisen, die die Grenzen des kapitalistischen Systems selbst nicht anerkennt. Nur eine sozialistische Transformation der Gesellschaft kann einen hohen Lebensstandard für alle garantieren.