Suezkanal-Blockade: Die (humanitäre) Krise in der Schifffahrtsindustrie

In den sozialen Medien haben Memes und Witze mit dem Bild der blockierenden „Ever Given“ im Suezkanal und des winzigen Baggers daneben die Suezkanal-Blockade dominiert – eine Metapher für den Kapitalismus, dem es an echten Lösungen für die immer größer werdenden Krisen fehlt, die er geschaffen hat.

von Anne Engelhardt, Kassel

Bis zum vergangenen Montag (29.03) blockierte die Ever Given, eines der größten Containerschiffe der Welt, den Suezkanal. Nachdem es in einen Sandsturm hineingefahren war, drehte es sich zur Seite und blieb im flachen Wasser des Ostufers des Kanals stecken, was eine massive Störung des globalen Kapitalverkehrs verursachte.

Während die Massenmedien die Unterbrechung des Welthandels beklagten, wurde den schwerwiegenden Auswirkungen auf die Hunderte von Seeleuten, die auf der Ever Given und den 450 anderen von der Blockade betroffenen Containerschiffen und anderen Seefahrzeugen festsitzen, kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Der Vorfall, bei dem Tausende mehr als sechs Tage lang festsaßen, hat ein Schlaglicht auf die erschütternde Ausbeutung und Ineffizienz globaler Lieferketten geworfen – ein historischer Konfliktherd sowohl für imperialistische Konflikte als auch für den Kampf der Arbeiter*innen, der Jahrhunderte zurückreicht.

Der Kanal

Der Suezkanal ist einer der drei wichtigsten Seewege für den globalen Handel und macht 12 % des Gütertransports aus. Heute ist er einer der 14 empfindlichsten Engpässe für die Lebensmittelsicherheit, was bedeutet, dass seine Blockade die Lebensmittelversorgung in vielen Regionen gefährden kann, bis hin zu Hungersnöten in ohnehin armen Ländern. Blockaden dieser Art hat es zwar schon gegeben (allein in den letzten zehn Jahren saßen 25 Schiffe vorübergehend im Kanal fest), aber keine davon hat sechs ganze Tage gedauert.

Der Suezkanal verbindet das Mittelmeer mit dem Indischen Ozean und stellt damit einen der kürzesten Wege zwischen Europa und Asien dar. Bereits in der Antike wurde die Passage, die den asiatisch-europäischen Kontinent mit Afrika verbindet, regelmäßig überflutet und als Wasserstraße genutzt. Mehrere Versuche, den Kanal ab 700 v. Chr. durch ägyptische und später persische Kaiser zu bauen, führten zum Tod von hunderttausenden Arbeiter*innen. Die arabischen und osmanischen Reiche behielten die Kontrolle über die Passage, während spanische und portugiesische sowie später niederländische und britische Flotten das Kap der Guten Hoffnung umfahren mussten, um Zugang zu den asiatischen Märkten zu erhalten.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts stellten die französischen und britischen Kolonialreiche den Kanal fertig. Beim Bau des Kanals wurden etwa eine Million ägyptische Bauern und Bäuerinnen zu sklavenähnlicher Arbeit gezwungen, von denen etwa zehntausend an Arbeitsunfällen und Krankheiten wie der Cholera starben. Der Kanal wurde schließlich 1869 eingeweiht und diente vor allem dem leichteren (militärischen und wirtschaftlichen) Zugang zu den afrikanischen und asiatischen Kolonien. Karl Marx schreibt im ersten Band des Kapitals, dass der Suezkanal den europäischen Kapitalist*innen einen vollständigen Zugang zu den ostasiatischen und australischen Märkten per Dampfschiff ermöglichen würde. Die Zirkulation des Kapitals, die vor der Eröffnung des Kanals und der Erfindung des Dampfschiffs zwölf Monate dauerte, „ist jetzt auf etwa dieselbe Anzahl von Wochen reduziert worden.“

Im Kontext der antikolonialen Kämpfe, die in ganz Afrika und dem Rest der Welt stattfanden, wurde der Kanal 1956 von Ägypten verstaatlicht, was militärische Interventionen von Frankreich, Großbritannien und Israel provozierte. Acht Jahre später, im Krieg von 1967, wurde der Kanal noch einmal für mehrere Monate blockiert. Beide militärischen Zwischenfälle verunsicherten die globalen Schifffahrtsunternehmen, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gerade erholt und ihre Umsätze massiv gesteigert hatten.

Doch nicht nur militärische Konflikte führten zu Blockaden des Kanals, sondern auch Arbeitskämpfe, bei denen Aktivist*innen das Nadelöhr als Mittel zum Kampf gegen das korrupte ägyptische Regime nutzten. Vor zehn Jahren, während des Arabischen Frühlings im Februar 2011, organisierten etwa sechstausend Arbeiter*innen einen Streik in Port Said und Ismailia, den Städten entlang des Suezkanals. Außerdem, so schreibt die Autorin Deb Cowen in ihrem Buch The Deadly Life of Logistics: „Hafenarbeiter*innen legten die Arbeit im Zentralhafen Ain Al Sokhna nieder und unterbrachen damit Ägyptens lebenswichtige Seeverbindungen in den Fernen Osten […]. Unnötig zu sagen, dass dies eine entscheidende Aktion in der Massenbewegung für den Regimewechsel wurde.“

Das Schiff

Das Containerschiff Ever Given ist 400 Meter lang und kann rund 224.000 Tonnen Waren transportieren. Ironischerweise, so schreibt Laleh Khalili in der Washington Post, wurden Containerschiffe dieser Größe von der globalen Schifffahrtsindustrie gebaut und eingesetzt, um den Suezkanal umgehen zu können. Wegen der Schließung des Kanals in den 1950er Jahren und während des Krieges 1967 waren die Reedereien gezwungen, das Kap der Guten Hoffnung zu umfahren. Als die Ölkrise 1973 einen Preisschock auslöste, musste die Geschwindigkeit der Schiffe reduziert werden, da eine bestimmte Geschwindigkeit zu viel Treibstoff verbrauchte. Daher investierten die Reedereien in die Vergrößerung der Schiffe, um größere Mengen an Ladung transportieren zu können. Infolgedessen dominieren sogenannte „very large crude carriers (VLCCs)“ und „ultra-large crude carriers (ULCCs)“ die Weltmeere und zwangen die Häfen weltweit, ihre Liegeplätze zu erweitern oder sich aus den Hafenstädten wegzubewegen, um ihre Kapazitäten zu vergrößern. Dies führte zu einer Ökonomie neuer Größenmaßstäbe und einem massiven Anstieg der containerisierten Fracht.

Obwohl diese Schiffe gebaut wurden, um Fracht und Stückgut langsamer, aber in größerem Umfang zu transportieren, ist Geschwindigkeit ein wichtiger Kostenfaktor in der globalen Wirtschaft. Aus diesem Grund nutzen große Schiffe wie die Ever Given den Suezkanal als Abkürzung, um die Transportkosten zu senken (in diesem Fall von China in die Niederlande). Ungeachtet der Größe des Schiffes und des ständigen Risikos, stecken zu bleiben, nutzen sie ihn weiterhin. In den letzten zehn Jahren haben sich China und Ostasien zum Motor der Weltwirtschaft entwickelt. Mit einem Containerumschlag (ein Maß für die Aktivität des Containerhandels) von mehr als 60 % rangieren sie an erster Stelle, weit vor Europa mit 15 %. Damit ist die Verbindung zwischen den beiden Wirtschaftsräumen neu belebt worden. Die aktuelle Wirtschaftskrise und die teilweise Unterbrechung der weltweiten Warenzirkulation durch die Pandemie führten zu einem globalen Ungleichgewicht in der Verteilung der Container, die größtenteils in China festsitzen. Dies hatte bereits zu einer Verknappung der Transportkapazitäten geführt, von der auch andere Teile der Weltwirtschaft betroffen waren. Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass die Ever Given, wie andere Containerschiffe auch, „überladen“ wurde und damit zu schwer war, um ordnungsgemäß durch den Kanal zu fahren.

Die Ever Given blockierte nicht nur andere Containerschiffe (was zu Turbulenzen in der europäischen Just-in-Time-Produktion führte), sondern auch etwa 20 Rohöltanker, was zu einem vorübergehenden Anstieg der Ölpreise führte. Die Suez Canal Authority (SCA) und der ägyptische Staat, die von jedem Schiff zwischen 250.000 und 500.000 Dollar für die Durchfahrt durch den Kanal verlangen, verloren diese Einnahmen sowie die Gebühren, die von den Schiffen eingenommen worden wären, die sich für eine andere Route entschieden, um den Stau zu umgehen.

Neben dem ägyptischen Staat wurden auch die Versicherungsgesellschaften durch den Vorfall alarmiert. Die Versicherungen werden für die entgangenen Einnahmen zur Kasse gebeten, zum Beispiel von der SCA, aber auch von anderen Unternehmen, die mit zeitsensiblen Gütern wie verderblichen Waren und Komponenten für die Just-in-Time-Produktion handeln, die immer noch überwiegend in Asien produziert werden.

Die Besatzung

Die Blockade hat nicht nur den weltweiten Handel unterbrochen. Sie hat auch das Leben von hunderten von Seeleuten aus der Bahn geworfen, die (wieder einmal) an Bord festsaßen. Der ganze Vorfall zeigt einmal mehr, wie wenig die Schifffahrtsmonopole reguliert sind, vor allem in Bezug auf die Arbeitsbedingungen.

Die Ever Given läuft, wie die große Mehrheit der Seeschiffe, unter einer Billigflagge (Flag of Convenience, FOC) und operiert unter einem komplexen globalen Eigentumssystem. Sie gehört einem japanischen Unternehmen, ist aber von der in Taiwan ansässigen Reederei Evergreen Maritime gechartert. Eine in Dubai ansässige Firma betreibt das Be- und Entladen in den verschiedenen Häfen, an denen das Schiff anlegt. Und das Schiff selbst fährt unter der Flagge Panamas, was den Eigentümer*innen erlaubt, Steuern zu vermeiden und niedrige Löhne bei niedrigen Arbeitsstandards zu zahlen.

Global gesehen teilen sich die Schiffsbesatzungen auf Container- und Breakbulk-Schiffen in zwei Gruppen auf. Die Offizier*innen werden überwiegend aus den ost- und mitteleuropäischen Staaten wie der Ukraine und Russland rekrutiert und ihr maximales Einkommen liegt bei 3.000 Dollar im Monat. Die zweite Gruppe sind die Seeleute, die mehrheitlich aus dem globalen Süden stammen: Fast 15 % kommen aus China, 13 % von den Philippinen und ein weiterer großer Anteil kommt aus Indonesien, Indien und Malaysia. Die Seeleute arbeiten zwischen zehn und zwölf Stunden auf dem Schiff, sieben Tage die Woche mit einem Monatseinkommen zwischen 700 und max. 1.400 Dollar. Zum Zeitpunkt der Blockade hatte die Ever Given eine Crew von 25 indischen Arbeiter*innen an Bord. Diesen droht nun die Festsetzung durch ägyptische Beamte als Sündenböcke für die Blockade, obwohl auch zwei Lotsen der Hafenbehörde des Suezkanals an Bord waren. Generell wird die Ausbeutung der Arbeiter*innen aus dem Globalen Süden auf ein Extrem ausgeweitet: Während die Arbeiter*innen Verträge mit einer Länge von bereits 11 Monaten unterschreiben, werden ihre Schichten häufig auf vierzehn oder mehr Monate ausgedehnt. Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) muss die Reedereien oft zwingen, die Überstunden zu bezahlen. Jedes Jahr müssen zwischen 30 und 50 Millionen Dollar an unterschlagenen Löhnen an die Arbeiter*innen herausgegeben werden.

Es gibt auch Berichte über Frachtschiffe, die von bankrotten Reedern in den Häfen zurückgelassen wurden, einschließlich ihrer unbezahlten Besatzung. Im Jahr 2016 ließ die südkoreanische Reederei Hanjin ihre 50 Containerschiffe rund um die Welt mit einem geschätzten Warenwert von 14 Milliarden Dollar im Stich und ließ die Besatzungen ohne Wasser und Nahrung zurück, während die örtlichen Hafenbehörden ihnen den Zugang zu Land verwehrten, um nach Hause zu fliegen. Überall auf der Welt gibt es mehrere verwahrloste Schiffe mit Besatzungen, die nicht in der Lage sind, dieses schwimmende Gefängnis zu verlassen. Die schlimmste Folge einer solchen Verwahrlosung war die Aufgabe eines Schiffes im Hafen von Beirut im Jahr 2013 mit 2.750 Kilogramm Aluminiumnitrat an Bord. Erst nach monatelangen Verhandlungsprozessen durfte die Besatzung das Schiff verlassen und erhielt ein Visum, um nach Hause zu fliegen. Die Ladung des explosiven Aluminiumnitrats wurde jedoch in einem verlassenen Warenhaus in der Nähe des Hafens gelagert und vom ursprünglichen Kunden in Mosambik einfach nicht abgeholt. Als im Jahr 2020 ein Feuer in der Nähe ausbrach, detonierte das Material und riss mehr als 150 Menschen in den Tod. Der Hafen und Teile der Innenstadt von Beirut wurden zerstört.

Im selben Jahr führte COVID-19 zur sogenannten „Crew Change Crisis“, die etwa 400.000 Seeleute dazu zwang, an Bord zu bleiben, während die gleiche Anzahl zu Hause festsaß und ihre Schicht nicht antreten konnte. Da die Grenzen geschlossen wurden, wurde den Seeleuten das Visum verweigert oder sie saßen in den Städten fest und konnten nicht nach Hause fliegen. Etwa 58.000 Frachtschiffe waren von der Krise betroffen. Auch heute ist die Situation noch nicht gelöst. In normalen Zeiten wechseln weltweit 100.000 Seeleute jeden Monat vom Schiff auf das Land und umgekehrt. Diese Zahl hat sich dramatisch reduziert. Zwischen 150.000 und 250.000 Seeleute waren bis zu 18 Monate lang auf See gefangen. Es mangelt an Nahrung und sauberem Wasser, die Bedingungen wirken sich auf die psychische Gesundheit aus und es gab zahlreiche Berichte über Selbstmord.

Als Folge davon wurde in vielen Berichten und Artikeln vor möglichen Unfällen gewarnt – Schiffe, die in Häfen kollidieren – oder an sensiblen Stellen festsitzen. Es ist nicht klar (aber wahrscheinlich), ob Teile der Crew der Ever Given selbst von der Crew Change Crisis und ihren physischen und psychischen Auswirkungen betroffen waren. Es grenzt jedoch an ein Wunder, dass sich vor dem Hintergrund der maritimen humanitären Krise bisher noch keine schlimmeren Unfälle ereignet haben.

Und die Krise ist noch nicht vorbei. Da die Mehrheit der rund 1,7 Millionen Seeleute aus dem Globalen Süden stammt, wo Impfstoffe möglicherweise erst ab 2024 für alle verfügbar sind, könnten die Besatzungen das Virus weiterhin entlang der globalen Lieferkette tragen und Hafenarbeiter*innen und andere Transportarbeiter*innen gefährden. Solange die Patente für Impfstoff nicht vergesellschaftet und geöffnet werden, wird sich die humanitäre Krise auf See verlängern. Zusätzlich könnte die Blockade des Suezkanals auch den Transport von Impfstoffen aus Indien, einem der größten pharmazeutischen Produzent*innen der Welt, verzögert haben.

Der Kapitalismus basiert auf der physischen und psychischen Ausbeutung der Arbeiter*innen und der Natur. Die Krise am Suezkanal hat seine sich vertiefenden Widersprüche und seine Schwachstellen wieder einmal voll zur Schau gestellt.

Titelbild: via Wikimedia Commons, Contains modified Copernicus Sentinel data 2021, Container Ship ‚Ever Given‘ stuck in the Suez Canal, Egypt – March 24th, 2021 cropped, CC BY 2.0