Wo immer etwas organisiert und angeboten wurde, gab es eine gute Beteiligung an den Aktionen zum 1. Mai. Da der DGB in vielen Orten nichts anbot oder sich nur auf Standkundgebungen beschränkte (in Hamburg sogar mit geladenen Gästen), wurden viele Demos von linken Gruppen oder kämpferischen, oppositionellen Gewerkschafter*innen organisiert.
Herausragend war die Beteiligung in Berlin, mit 2000 auf der Demo der VKG (Vernetzung kämpferischer Gewerkschafter*innen), über 10.000 auf einer Fahrraddemo in die Viertel der Reichen und 20.000 bei der revolutionären Abenddemo in Neukölln.
Wegen pandemisch bedingten Einschränkungen und zusätzlichen Schikanen der Ordnungsbehörden konnten nicht überall Demos stattfinden, andere wurden sehr kurzfristig organisiert. Daher war die Beteiligung unterschiedlich. Auffällig war allerdings die kämpferische, antikapitalistische Stimmung bei vielen Aktionen und die Beteiligung von Gruppen von Jugendlichen. Es gibt offensichtlich ein großes Bedürfnis nach einem Jahr der Lockdowns, die eigenen Forderungen auszudrücken und die Passivität zu durchbrechen.
Auffällig war auch die Reaktion der Polizei. In mehreren Städten wurde das Infektionsgeschehen als Vorwand benutzt, um Demos zu verbieten, aufzulösen, aufzuspalten und einzukesseln. In Berlin sprach die Polizei von „fehlenden Abständen“, um ihren Angriff auf Abenddemo zu rechtfertigen, in Köln hieß es, einige Teilnehmer*innen wären mit Sonnenbrillen „vermummt“ gewesen, angesichts der Maskenpflicht ein lächerlicher Vorwand.
Die herrschende Klasse wurde auch von der Pandemie überrascht und getroffen. Aber sie hat inzwischen Wege gefunden, sie zu ihren Gunsten zu nutzen. Das bisher geltende bundesweite Versammlungsgesetz soll in NRW durch eine extrem repressive Variante ersetzt werden. Abseits der gesetzlichen Ebene gibt es mehr Verbote und willkürliche Attacken auf linke Versammlungen – nachdem über ein Jahr lang die „Querdenker*innen“ samt vielen Neonazis unbehelligt marschieren konnten.
Das ist eine Warnung für die gesamte Arbeiter*innenbewegung. Die Herrschenden und ihr Staat bereiten sich mit dieser Repression auf die härter werdenden sozialen Konflikte vor, werden diese auch gegen Arbeiter*innen richten, die für Jobs oder bessere Arbeitsbedingungen kämpfen oder gegen die wachsende Mieter*innenbewegung. DGB und Einzelgewerkschaften wären gut beraten, ihre politische Tiefschlafphase zu beenden.
Der 1. Mai 2021 zeigt das Potenzial für mehr Aktivitäten von links, gerade in der jüngeren Generation. Neben den kommenden konkreten Auseinandersetzungen noch in diesem Jahr existiert die Möglichkeit nicht nur in Berlin, sondern vielen Städten die DGB-Kundgebungen von links zu ergänzen, durch klassenkämpferische Kundgebungen oder Demonstrationen.
SAV und ROSA aktiv am 1. Mai
1. Mai In Aachen – linkes Bündnis mit starkem Auftritt
Nachdem deutlich wurde das die Mobilisierung zum 01.Mai vom Aachener DGB auch im zweiten Corona Jahr eher klein ausfallen würde und wenn überhaupt nur symbolisch stattfinden solle, setzte der Aachener Betriebsrat und SAV Mitglied Marc Treude die Initiative zu einem Bündnis. Es sollte ein Signal sein, dass der 01. Mai auch mit Abstandsgebot nicht nur möglich sondern auch nötig ist. Schließlich gibt es genug betroffene Belegschaften auch in der Aachener Region. Ob Kolleg*innen in Kurzarbeit, Betriebe mit Schließungsplänen oder Schüler*innen und Lehrer*innen im Homeschooling Chaos. Unter dem Motto „Solidarität ist unsere Stärke – Zukunft erkämpfen“ rief ein Bündnis aus verschiedenen linken Gruppen zu einer Demo auf. Und das war gut so. Denn mit steigenden Inzidenzwerten sagte der DGB alle Aktivitäten für den Kampftag ab. Die Ordnungsbehörden wollten sogar die angemeldete Demonstration des Bündnisses mit dem Vorwand Coronaschutz untersagen. Das sah das Verwaltungsgericht nach einem Eilantrag anders, es gab in seiner Begründung zur Zulassung der Demo sogar an, dass nicht zu erwarten wäre das die Teilnehmer*innen sich Schutzmaßnahmen wie Abstand und Masketragen verweigern würden.
Etwas mehr als 150 Menschen demonstrierten dann rund um den Aachener Markt und setzten eine deutliches Zeichen das nicht wir für die Krise zahlen und stellten Forderungen nach Freigabe von Impfpatenten, Umverteilung von oben nach unten usw. auf. In unserer Reden erklärten wir warum wir den Kapitalismus abschaffen müssen und eine solidarische Gesellschaft brauchen. Es war ein wichtiges Zeichen, auch nach dem Rückzug des DGB eine kämpferische Demonstration durchzuführen. Dies wird dieser auch bemerkt haben. Für das nächste Jahr will das Bündnis bald schon in die Planungen gehen.
Berlin:
In Berlin waren wir vormittags bei der klassenkämpferischen Gewerkschafter*innendemo in der Innenstadt, an der sich gut zweitausend Menschen beteiligten. Es gab gute Reden und generell herrschte eine sehr kämpferische Stimmung, deutlich radikaler als bei den vor Corona-Zeiten vom DGB organisierten Demos vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor. Tatsächlich hatten die DGB-Gewerkschaften diesmal vor allem auf Fahrraddemos gesetzt, an denen sich insgesamt auch mehrere Tausend beteiligten. Am frühen Nachmittag beteiligten wir uns an der Kundgebung der Neuköllner LINKEN auf dem Tempelhofer Feld „Wir zahlen nicht für eure Pandemie!“
Die weitaus größte Veranstaltung tagsüber war aber eine von linken Aktivist*innen organisierte Fahrraddemo mit gut 10.000 Teilnehmer*innen, die durchs westliche Villenviertel Grunewald zog und angesichts des Volksentscheids Deutsche Wohnen & Co enteignen und der kürzlichen Annulierung des Mietendeckels die Forderung nach enteignen ins Zentrum stellte. Sie endete am späten Nachmittag in Neukölln, so dass die Möglichkeit bestanden hätte, an der revolutionären 1. Mai-Demo von Neukölln nach Kreuzberg teilzunehmen. Allerdings fing die Polizeirepression schon während der Fahrraddemo an, wo es vereinzelte Übergriffe durch BFE-Einheiten gab. Bei Ankunft der Fahrraddemo hatte die Polizei dann die Durchgänge zur Route der revolutionären Demo dicht gemacht, um eine Vereinigung zu verhindern.
Auf der Neukölln-Kreuzberger Demo hatten wir mit zum Enteignungsblock aufgerufen und konnten auch eine Rede halten. Allerdings wurde diese Demo von Anfang an von der Polizei provoziert, zunächst dadurch, dass das Loslaufen lange verzögert wurde. Als sie sich dann endlich in Bewegung gesetzt hatte, wurde der hinterste Teil abgetrennt und dadurch massiv Unruhe geschürt. Nach lediglich einer guten Stunde wurde dann am Rathaus Neukölln die Demo von der Polizei geteilt, indem vor dem Enteignungsblock Polizeiketten aufgebaut wurden. Trotz vorbildlicher Ordner*innenstruktur, Masken tragen und angesichts des Stopps bestmöglicher Abstände wurden mehrere Dutzend BFE-Einheiten in Richtung der Demo geschickt, liefen ca. hundert Meter entgegen der Marschrichtung an ihr entlang, dann wieder vor und begonnen, einzelne Teilnehmer*innen zu schubsen. Gleichzeitig wurde die Demo mit der Begründung der Nichteinhaltung von Abständen aufgelöst und unmittelbar danach gingen BFE-Einheiten dazu über, einzelne Teilnehmer*innen gezielt herauszuholen (sowohl aus dem Enteignungsblock als auch aus der Menge direkt dahinter). Zu diesem Zeitpunkt hatte es am Rathaus Neukölln noch keinerlei Flaschen- oder Steinwürfe gegeben. Unsere Genoss*innen konnten als Gruppe aus dem sich verkomplizierenden Geschehen herausgehen, aber einzelne Teilnehmer*innen hatten weniger Glück.
Insgesamt beteiligten sich in Berlin also viele Tausende mehr Menschen an den klassenkämpferischen Veranstaltungen als erwartet, was möglicherweise einer der Gründe für die repressivere Linie der Polizei im Vergleich zu den Jahren bis 2019 war.
Bremen:
Bei gleich drei Kundgebungen und Demonstrationen war die SAV in Bremen aktiv: Den Auftakt bildete die DGB-Kundgebung mit einigen hundert Menschen auf der Bürgerweide. Nachdem die DGB-Vorsitzende Annette Düring sich beim regierenden Rot-Grün-Roten Senat „für die gute Zusammenarbeit“ bedankt hatte, fegte ein Wolkenbruch den größten Teil der Kundgebung auseinander.
Nur wenig später begann der revolutionäre und internationalistische Erste Mai bei besserem Wetter. Ca. 1000 vornehmlich jüngere Menschen machten deutlich, dass der erste Mai ein grenzüberschreitender Tag des Widerstandes ist. ROSA-Aktivist*innen nutzten die Demonstration, um Stencils von Revolutionär*innen und Zitaten von ihnen zu sprühen.
Den Abschluss bildete eine Kundgebung am Klinikum Links der Weser, an dem die Schließung der Geburtsstation droht. SAV-Mitglied Sebastian Rave konnte eine Rede halten, in dem er den Zusammenhang herstellte zwischen dem 1. Mai als Tag der Arbeiter*innenbewegung, der Situation von Frauen und der nötigen Solidarität, um gegen die Reichen zu gewinnen.
Köln:
1. Mai in Köln. Ca. 700 auf der Kundgebung des DGB am Heumarkt, 600 auf der linken Demo vom Gewerkschafthaus Richtung DGB-Kundgebung. Die linke Demo musste gegen die Ordnungsbehörden juristisch und praktisch durchgesetzt werden. Der Polizei gefiel das nicht. Großes Aufgebot, Schikanen und Übergriffe. Die Demo wurde attackiert, einige Menschen festgenommen. Zeitweise waren Demoblöcke eingekesselt. Als wir verspätet beim DGB ankamen, war dessen Kundgebung schon vorbei. Diese Repression hat nichts mit dem Infektionsschutz zu tun. Wie schon bei Demos in den letzten Wochen führt die Kölner Polizei im Schatten der Pandemie eine harte Linie ein, in Vorbereitung auf die kommenden Kämpfe. Die SAV Köln war gut vertreten, wir hatten mehrere Transpis dabei. Auch Rosa war mit einem Banner am Start. Die Flyer für die Online-Veranstaltung zum NRW-Versammlungsgesetz gingen gut, auch einige Zeitungen wurden verkauft.
Hamburg:
In Hamburg haben wir an der Kundgebung auf dem Rathausmarkt vom ver.di-Fachbereich Verkehr teilgenommen. Im Gegensatz zur offiziellen DGB-Kundgebung auf dem Fischmarkt wo 200 handverlesene Leute sich Reden anhören durften wie gut doch mittlerweile der Gesundheitsschutz in Betrieben sei (und das Unternehmen und Arbeitgeber an einem Strang ziehen müssten) war hier die kämpferischere Tradition der Gewerkschaften vertreten.
So gab es nicht nur Reden zu den Auseinandersetzungen im Hafen und bei den Luftfahrtbeschäftigten – es waren auch viele andere gesellschaftlich wichtige Kämpfe aktiv dabei.
Unter anderem gab es eine Rede von der Aktivistin Mona von der Hamburger Krankenhausbewegung, die nochmal verdeutlicht hat gegen welchen Widerstand und Arbeitgeberrepression die systemrelevanten Beschäftigten gerade ankämpfen müssen. Balkonapplaus ändert eben noch nichts an miserablen Arbeitsbedingungen.
Fridays for Future hat deutlich gemacht das der Kampf um Klimagerechtigkeit und der Kampf um gute Arbeitsbedingungen gemeinsam und solidarisch geführt werden müssen – und das die Spaltungsversuche „Klimaschutz gegen Arbeitsplatzsicherheit“ von FFF und Verdi gemeinsam klar zurückgewiesen werden.
Ebenfalls ein richtig wichtiges Signal war das Ansgar vom „Wer hat der gibt“-Bündnis eine Rede halten konnte. Denn: Hamburgs Regierung glaubt sich an diesem ersten Mai in eine vollständig verrückte Verbotsspirale leisten zu können. Alle für 14:00 vom „wer hat, der gibt“-Bündnis angemeldeten Kundgebungen zur Besteuerung der Reichen in der Coronakrise (an denen wir uns auch als SAV in Hamburg beteiligen wollten) sind vollständig verboten worden. Selbst der Versuch der Seebrücke Hamburg eine Mahnwache gegen die Einschränkung des Demonstrationsrechts anzumelden wurde heute morgen noch direkt verboten – so wie auch die Aufzüge vom Roten Aufbau und aus dem anarchistischen Spektrum.
Das Auftreten der Polizei war gestern und heute martialisch und provokativ – auch heute ist die Polizei sofort nach Abschluss der Kundgebung direkt in Richtung der politisch „auffälligeren“ Teilnehmer*innen der Verdi-Kundgebung gezogen und hat auch Genoss*innen der SAV unverzüglich mit Anzeigen wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz gedroht weil wir eine Minute nach Abschluss der Kundgebung noch nicht direkt wegteleportiert waren. Gegen Kundgebungsversuche gestern und heute kam es auch zu Einsatz von Reiterstaffeln, Wasserwerfern, Hubschraubern – Hamburgs Regierung nutzt das Infektionsschutzgesetz offensichtlich um auszuloten wie weit man mit Polizeirepression gegen Linke gehen kann.
Wir dürfen im vollen HVV zur Arbeit fahren. Wir dürfen drinnen in Fabrikhallen schuften oder Schüler*innen in der Schule betreuen – aber nicht mit Abstand, Masken und Hygienekonzept draußen demonstrieren?
Wenn unsere demokratischen erkämpften Rechte angegriffen werden aber wir weiter für Profite schuften gehen sollen ist unsere Antwort: Demonstrieren. Organisieren. Streiken. Auch nach dem ersten Mai.