Tagelang bombardierte die israelische Luftwaffe den Gaza-Streifen, mehr als 200 Menschen wurden getötet. Die islamistische Organisation Hamas schoss so viele Raketen wie nie zuvor auf israelische Städte. Jüdische Rechtextreme zogen durch Orte in Israel selbst und griffen Araber*innen an. Dies war eine neue Stufe der Gewalt. Gleichzeitig entwickelte sich der Kampf der Palästinenser*innen weiter. Am 18. Mai kam es zum ersten palästinensischen Generalstreik, der alle Gebiete – Westjordanland, Gaza und die in Israel selbst lebenden Palästinenser*innen – umfasste. Inmitten der militärischen Konfrontation organisieren sich die Menschen selbst.
Von Ben Wallach, Hamburg
1967 hat Israel in Folge des Sechs-Tage-Krieges unter anderem den Ostteil Jerusalems besetzt. Der Großteil der Bevölkerung dort lebt unter direkter militärischer Kontrolle und hat keine Staatsangehörigkeit. Israelische*r Staatsbürger*in kann man werden, wenn man Hebräisch spricht und dem Staats Israel Loyalität schwört.
Die jüngste Eskalation begann mit Vertreibungen in Ostjerusalem. In vielen Nachbarschaften Ostjerusalems wie Sheikh Jarrah werden palästinensische Familien aus ihren Wohnungen geräumt. Die Häuser in Sheikh Jarrah werden an streng religiöse Siedler*innen übergeben. Diese behaupten, dass die Häuser ihnen vor der Gründung des Staates Israel gehört haben. Dies Siedler*innen sind keine normale Familien die ihre Wohnung zurück haben wollen, sondern Rechtsextreme, die die Nachbarschaft – wie sie sagen – „jüdifizieren“ wollen. Die Polizei und private Sicherheitsfirmen warfen die palästinensischen Bewohner*innen auf die Straße. Dagegen wurde von Jüd*innen und Palästinenser*innen gemeinsam demonstriert. Es folgte die harte Repression der Polizei.
Die Absperrung des Damaskus-Tors war eine weitere Provokation. Traditionell treffen sich dort abends während des Ramadan palästinensische Jugendliche. Nach starken Demonstrationen musste die Polizei zugeben, dass es keinen richtigen Grund für die Absperrung gab und gab diese auf.
Für den 10.5 war der „Marsch der Fahnen“ geplant. Das ist ein jährlicher Marsch von jüdischen Rechtsextremen, die durch palästinensische Nachbarschaften laufen, nationalistische Lieder singen und „Tod allen Arabern“ rufen. Geplant war, entlang der Al-Aksa Moschee zu laufen. Dies ist der drittheiligste Ort im Islam. Als Vorbereitung für den Marsch stürmte die Polizei während der Ramadan-Gebete die Moschee, setzte Tränengas und Blendgranaten ein. Doch wegen der darauf folgenden großen Demonstrationen musste der rassistische Marsch der jüdischen Rechten abgesagt werden.
Die “islamische Widerstandsbewegung” Hamas, die Gaza regiert, hatte gedroht, Raketen auf Israel zu schießen, wenn sich die Polizei nicht aus Al-Aksa und Sheikh Jarrah zurückziehen würde und so kam es. Das israelische Militär reagierte auf die Raketen der Islamisten und startete eine Bombenkampagne gegen Gaza. Die Menschen in Gaza und Israel werden für die politischen Interessen der rechtsextremen israelischen Regierung Netanjahu und der Islamisten von Hamas geopfert. Auch die Straßen in manchen Städte in Israel brennen. Es gab Lynchaktionen gegen Jüd*innen und Palästinenser*innen, Straßenschlachten zwischen Palästinenser*innen und jüdischen Milizen und auch rassistische Angriffe gegen jüdische und palästinensische Anwohner*innen.
Ende der Ära Netanyahu?
Israel hat im Moment keine Regierung. Vor der letzten Wahl haben Umfragen gezeigt, dass nur 36% der Israelis Netanjahu als Premierminister haben wollten. In den letzten Monaten gab es eine starke Bewegung gegen ihn, Zehntausende demonstrierten vor seinem Haus in Jerusalem und vielen Orten im ganzen Land. Gleichzeitig steht der Premier wegen Korruption vor Gericht.
- Netanjahu hatte versprochen, eine “voll rechte“ Regierung zu bilden. Er hatte zuvor Druck auf die extreme Rechte ausgeübt, als eine gemeinsame Liste zu kandidieren, um ins Parlament (Knesset) einzuziehen. Unter diesen Kräften, auf die sich Netanjahu stützt, befinden sich terroristische Gruppen, Kahanist*innen, die offen von der Vernichtung aller Palästinenser*innen sprechen und gegen der „Mischung der Rassen“ (Beziehungen zwischen Jüd*innen und Nicht-Jüd*innen) agitieren, die „Konvertierung“ von LGBTQ*-Menschen fordern und sexistische Positionen vertreten. Das sind die Kräfte auf die Netanjahu sich stützen muss, manche seiner Anhänger*innen sind darüber empört.
Netanjahu hatte erwartet, dass seine Partei gemeinsam mit den Rechtsextremen und den ultraorthodoxen Parteien eine Regierung bilden kann. Die notwendige Mehrheit hat sein Block jedoch knapp verfehlt. Die „Alternative“ zu einer Netanjahu-Regierung wäre ein opportunistischer Block von Zentrist*innen, Rechten und sogenannten linkszionistischen, liberalen Parteien. Ihre Wahlkampagnen waren inhaltslos. „Nicht Netanjahu“ war die zentrale Botschaft, andere Ideen waren nicht in Sicht. Kaum überraschend werden diese Kräfte nicht als Alternative wahrgenommen. Während des Krieges versuchten manche von ihnen, Netanjahu von rechts anzugreifen und setzten sich für noch stärkere Bombardierungen Gazas ein.
Aufgrund des Krieges sprach Naftali Bennett davon, doch eine Regierung mit Netanjahu bilden wollen. Mit ihm und einzelnen Abgeordnete weiterer rechter Parteien könnte eine instabile Regierungsbildung gelingen. Eine Nicht-Netanjahu-Regierung wäre ebenso instabil, sie bräuchte einerseits die Unterstützung der „Gemeinsamen Liste“ von palästinensischen Parteien mit Hadash und andererseits die Unterstützung von Nationalisten wie Lieberman und Bennett.
Wahlen in den palästinensischen Gebieten
Die Wahl für die palästinensische Behörden in Westjordanland wurden verschoben. Nach Jahren der Enttäuschungen mit der regierenden Fatah ist es wahrscheinlich, dass bei der nächsten Wahl Hamas die Mehrheit gewinnt. Das wäre ein Schlag für die israelische Regierung. Ein Sieg von Hamas im Westjordanland würde die Situation weiter komplizieren und würde weder Sicherheit, noch Frieden oder ein gutes Leben für Palästinenser*innen bringen. Die jüngste Eskalation nützt Hamas, weil sie sich als die einzige echte Widerstandskraft positionieren kann. Ihre Bombardierungen schaden, sie machen jüdisch-israelischen Arbeiter*innen Angst und erleichtern es der jüdischen Rechten, ihre rassistischen Ideen zu verbreiten.
Die Solidarität kommt von unten
In Israel haben jüdische und palästinensische Arbeiter*innen sich solidarisiert. In Krankenhäusern haben Beschäftigte gemeinsame Bilder mit „Frieden“ auf Hebräisch und Arabisch gemacht. Jüdische Busfahrer*innen haben ihre palästinensischen Kolleg*innen nach Hause begleitet, weil das Risiko bestand, dass jüdische Rechtsextremisten Lynchjustiz begehen. Die unabhängige Gewerkschaft Koach Laovdim, in der unter anderem die Busfahrer*innen organisiert sind, positioniert sich gegen Rassismus und Krieg. Andere Gewerkschaften wie die der Sozialarbeiter*innen haben gemeinsame Kampagnen mit dem Slogan „Jüd*innen und Araber*innen verweigern, Feinde zu sein“ gestartet. Jüdische und palästinensische Anwohner*innen in Städten wie Akkon und Lod haben sich organisiert, um nach der Gewalt der Nacht gemeinsam die Straßen zu reinigen. In Lod gab es gemeinsame Selbstverteidigungspatrouillen gegen Gewalt auf der Straße.
Wir weigern uns, Feinde zu sein
Socialist Struggle Movement in Israel/Palästina ist wie die SAV in der International Socialist Alternative (ISA) organisiert und setzt sich ein für:
- Es gibt keinen Frieden ohne den Kampf gegen Besatzung, Armut und Ungleichheit, gegen korrupte Eliten und ein gutes Leben für alle. Stoppt die Repression von Polizei und Militär.
- Wir weigern uns, Feinde zu sein. Solidarität in den Betrieben und Universitäten gegen das nationalistische “teil und herrsche”, gegen die extreme Rechte und die Eskalation. Für Proteste der Gewerkschaften von Arbeiter*innen und Studierenden.
- Die Demonstrationen gegen Krieg, die Regierung und die Besatzung müssen ausgeweitet werden. Nein zu den Angriffen auf Zivilist*innen. Für den Aufbau von Aktionskomitees, um den Kampf für Selbstverteidigung demokratisch zu organisieren und auszuweiten. Stoppt der religiösen Siedlungen inmitten der palästinensischen Communities.
- Solidarität mit den Anwohner*innen von Sheikh Jarrah in ihrem Kampf gegen die barbarischen Pläne der religiösen Siedler*innen und des rechten Regimes, ihnen ihre Häuser und Wohnungen zu stehlen.
- Für ein Ende der Präsenz bewaffneter Truppen auf dem Gelände der Al-Aksa-Moschee. Stoppt die nationalistischen Provokationen, die Angriffe auf Gottesdienste und die Förderung religiöser Kriege. Schluss mit der Kriminalisierung des palästinensischen Wohnungsbaus in Ostjerusalem.
- Nur Frieden und gleiche Rechte werden das Leben der gesamten Bevölkerung sicher machen. Nieder mit der Abriegelung und kollektiven Bestrafung der 2 Millionen Menschen, die in Gaza wohnen. Solidarität mit den Menschen beider Seiten, die von Bomben- und Raketenbeschuss rechtsgerichteter Elemente bedroht sind.
- Schluss mit der Besatzung, für eine Ende der nationalen Unterdrückung, für das Recht der Palästinenser*innen auf Selbstbestimmung. Für ein unabhängiges, sozialistisches Palästina, mit der Hauptstadt Ostjerusalem, für die sozialistische Veränderung in Israel und der ganzen Region
Foto: Mitglieder von Socialist Struggle Movement/ISA auf einer Friedensdemo in Tel Aviv. Quelle: Maavak Sotzialisti