In der aktuellen Tarifauseinandersetzung bei der Deutschen Bahn geht es um Einiges : Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) kämpft um ihr Überleben als im Konzern tariffähige Gewerkschaft und um 4,8% mehr Lohn.
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von Thies Wilkening, Hamburg
Durch das von der Bundesregierung 2015 eingeführte Tarifeinheitsgesetz gelten in Betrieben, in denen mehr als eine Gewerkschaft existiert, nur noch Tarifverträge, die mit der Gewerkschaft abgeschlossen wurden, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat. Mit dem Gesetz haben die Arbeitgeber*innen eine Möglichkeit, kleine, als kämpferisch geltende Gewerkschaften wie die GDL aus dem Spiel zu nehmen. Deshalb haben es linke Gewerkschafter*innen es schon vor seiner Einführung abgelehnt. Die Bahn hatte bislang mit der GDL vereinbart, auf die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes zu verzichten. Der entsprechende Vertrag ist aber Ende 2020 ausgelaufen, so dass jetzt erstmals die Entscheidung ansteht, wo welche Tarifverträge gelten.
Der DB-Konzern besteht aus über 300 einzelnen Betrieben im Sinne des Gesetzes. In den meisten ist die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) stärkste Gewerkschaft, in Betrieben ohne eigenes Zug- und Fahrpersonal auch die einzige. Nach Angaben des Konzerns würden fortan nur in 16 Betrieben GDL-Tarifverträge gelten, in 55 weiteren würden bestehende Tarifverträge der GDL wegfallen und nur noch die der EVG gelten. Beide Gewerkschaften werben in den letzten Monaten intensiv um Mitglieder. Die GDL erkennt die Zahlen der Konzernspitze nicht an und klagt gegen die Anwendung des von der DB genutzten Zählverfahrens. Vor dem Hintergrund dieses Konflikts läuft die aktuelle Tarifrunde.
4,8 % statt Nullrunde?
Weil die EVG bereits im Herbst 2020 neue Tarifverträge abgeschlossen hat, führt die GDL die Auseinandersetzung allein. Das Angebot der Bahn von Mitte Mai entspricht dem Abschluss mit der EVG – keine Lohnerhöhung in diesem Jahr, 2022 ein Inflationsausgleich – über die gesamte Laufzeit also Reallohnverlust. Zusätzlich bot der Konzern einen Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen an, den die GDL aber ablehnt – sie betrachtet die Jobs im „direkten Bereich“; bei den Lokführer*innen, dem Zugpersonal, den Fahrdienstleiter*innen und den Werkstätten als ohnehin sicher und fühlt sich für die anderen Beschäftigten nicht verantwortlich. Ihre Forderungen sind zwar geringer als in früheren Tarifrunden, aber immer noch vergleichsweise kämpferisch: 4,8% mehr Lohn, 1300 Euro Corona-Prämie. Im Gegensatz zur EVG sieht sie in Corona keinen Grund für Lohnverzicht und fordert, dass die Verluste durch die Pandemie nicht bei den Löhnen der Beschäftigten, sondern bei den Boni des Managements eingespart werden sollen. Das Angebot der Konzernspitze betrachtet sie als nicht verhandelbar, daher sind Streiks im weiteren Verlauf der Tarifrunde wahrscheinlich.
Streikrecht verteidigen
Wie immer, wenn die Lokführer*innen und andere Kolleg*innen im Fahrbetrieb der DB streiken, ist mit massiven Angriffen durch bürgerliche Medien zu rechnen, die sich den Ärger über ausfallende oder verspätete Züge zu Nutze machen werden, um gegen die “überbezahlten” und “unsolidarischen” Streikenden zu hetzen. In der aktuellen Situation wird auch die Pandemie als zusätzliches Argument gegen Streiks instrumentalisiert werden. Diese Angriffe richten sich nicht nur gegen die GDL und die Kolleg*innen bei der DB, sondern auch gegen die Idee kämpferischer Gewerkschaften insgesamt.
Für die Unternehmer*innen und ihre Medien ist nicht hinnehmbar, dass sich eine Gewerkschaft der “Sozialpartnerschaft” mit dem Unternehmen verweigert, den Interessengegensatz zwischen Konzernführung und Beschäftigten beim Namen nennt und eine entsprechende Tarifpolitik macht. Wenn DGB-Gewerkschaften in anderen Branchen und Betrieben eine solche Herangehensweise praktizieren, werden auch sie entsprechend angegriffen. Deshalb ist es die Aufgabe von Gewerkschafter*innen und Linken, mediale Hetze zurückzuweisen und die Kolleg*innen zu verteidigen. Während der letzten großen Streiks bei der DB 2014/15 haben SAV-Mitglieder geholfen, vor Bahnhöfen die “Streikzeitung” mit Argumenten für den Streik und Kritik an der Führung der Bahn als profitorientiertem Konzern zu verteilen.