Die Grünen befinden sich im Umfragehoch. Sie schaffen es einerseits, sich als liberale Partei der Mitte – des digitalen und ökologischen Fortschritts auf kapitalistischer Basis – zu präsentieren, und gleichzeitig als „linkes“ Gegengewicht zur AfD und Klimapartei.
Von Linda Fischer, Hamburg
Die zur Spitzenkandidatin der Grünen gewählte Annalena Baerbock wird bereits als mögliche Kanzlerin gehandelt. Während die einen die „junge, energetische Frau“ bejubeln, fahren Konservative und Rechte sexistische Angriffe und verbreiten Fake-News. Die WELT fragt sich gar, ob mit ihrer Nominierung die Ära der Männer-Diskriminierung begonnen habe. Diese Angriffe gegen Annalena Baerbock sind zurückzuweisen und Ausdruck unserer patriarchalen Gesellschaft. Aber zu glauben, dass sie eine bessere Politik betreiben würde, weil sie vergleichsweise jung und eine Frau ist, ist naiv.
Pro NATO und US-Imperialismus
Annalena Baerbock betont, dass sie einen harten Kurs gegen Russland und China fahren werde und beschreibt das Verhältnis zu diesen Staaten als Wettstreit autoritärer Kräfte versus liberaler Demokratien. Das entspricht dem Tenor der Veröffentlichungen des parteinahen Thinktanks „Zentrum liberale Moderne“. Im Kern geht es den Grünen um eine Positionierung Deutschlands und der EU im imperialistischen Spiel der Mächte. Sie stehen an der Seite der NATO und der USA. Im Entwurf des Bundestags-Wahlprogramms heißt es, dass die NATO „aus europäischer Sicht neben der EU unverzichtbarer Akteur [ist], der die gemeinsame Sicherheit Europas garantieren kann und der als Staatenbündnis einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik entgegenwirkt“.
In einem Beitrag auf der außenpolitischen Jahrestagung der Heinrich-Böll-Stiftung Anfang dieses Jahres betonte Baerbock, dass die EU der weltpolitischen Einflussnahme Chinas durch das Projekt „One Belt one Road/ Neue Seidenstraße“ die sogenannte globale EU-Konnektivitätsstrategie entgegensetzen müsse. Im Klartext: Nicht China, sondern Deutschland, EU und USA sollen durch digitale und physische Infrastrukturprojekte Schwellenländer abhängig halten und den eigenen wirtschaftlichen und geopolitischen Einfluss ausbauen.
Der grüne EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer erklärt ergänzend, dass man beim vorherigen US-Infrastrukturprojekt „Blue Dot Network“ von Trump nicht mitmachen konnte, „weil Trumps Leute Klimafragen ausklammern wollten”; das berichtet die Süddeutsche Zeitung vom 15. Februar. Mit den Grünen geht Imperialismus halt nur verpackt mit ein bisschen Klima und etwas liberalerer Rhetorik.
Regieren um jeden Preis
In den Regierungen zeigen die Grünen, dass sie auch innenpolitisch eine Partei sind, die sich gegen Proteste und Forderungen von Umweltaktivist*innen und sozialen Bewegungen stellt und Politik im Interesse von Konzernen betreibt.
In Hamburg hat die Grüne Umweltsenatorin 2008 die Inbetriebnahme des Vattenfall-Kohlekraftwerks Moorburg – einer riesigen CO2-Schleuder – genehmigt, auch wenn die Grünen mit dem Versprechen in die Schwarz-Grüne Koalition gegangen waren, dadurch das Kraftwerk noch stoppen zu können. In Hessen stimmte der grüne Umweltminister für die Abholzung des Dannenröder Forst, um den Bau einer Autobahn zu realisieren.
In Baden-Württemberg, wo die Grünen als stärkste Kraft den Ministerpräsidenten (Winfried Kretschmann) stellen, hat dieser 2019 den Schulstreiks von Fridays for Future mit Sanktionen gedroht,sich 2020 für die Autoindustrie stark gemacht und eine Neufassung der EU-Beihilferechts gefordert, um staatliche Hilfen für die Autoindustrie zu erhalten.
Will das Kapital die Grünen?
Laut des repräsentativen ”Entscheiderpanels” der Wirtschaftswoche von Ende April will der größte Anteil an Führungskräften Baerbock als Kanzlerin. Mit den Grünen in der Regierung würde der auch bei größeren Teilen der Herrschenden als notwendig erachtete Umbau der deutschen Industrie in Richtung E-Mobilität, Infrastruktur und Digitalisierung vorangetrieben werden. Als Klimamaßnahmen getarnte Privatisierungen, Betriebsschließungen und Steuererhöhungen könnten leichter durchgesetzt werden.
Gegen einen leicht grün angemalten Kapitalismus und Verschlechterungen der neuen Bundesregierung helfen nur gemeinsam organisierter Widerstand und unsere Kämpfe gegen Arbeitsplatzabbau und Umweltzerstörung, um Soziales und Klima zu verbinden.