DIE LINKE ist die einzige Partei, die sich mit den Reichen anlegen will. Das hat sie auf dem Programmparteitag bestätigt, wo ein Programm mit sozialistischem Anspruch beschlossen wurde: „System Change“ gegen den Klimawandel, Besteuerung von Reichtum, höhere Löhne und bessere Sozialleistungen. Aber es ist nicht alles Gold was glänzt. Der Streit mit Wagenknecht und Lafontaine stellt DIE LINKE weiterhin vor Probleme. Diese hatten die Partei teils heftig kritisiert – aber leider nicht von links. DieserKonflikt ist nicht vorbei, und könnte nach der Bundestagswahl noch böse enden, wenn die „Linkskonservativen“ beschließen sollten, ihren eigenen Laden aufzumachen. Eine noch bedeutendere Auseinandersetzung darf angesichts dessen aber nicht nicht in den Hintergrund treten: Die um den Charakter der Partei als Oppositionspartei zum System.
Von Sebastian Rave, Parteitagsdelegierter aus Bremen
Die neue Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow wirkte ein wenig hilflos, als sie den Genoss*innen, die sich angesichts schlechter Umfragewerte und Streitereien in der Partei „Sorgen machen“ zurief, sie sollten „mit dem Herzen sehen“. Ein eingebildetes „progressives Lager“ aus SPD, Grünen und der LINKEN sah sie „unter Beschuss“ und warnte vor Sozialabbau unter der CDU (beinahe so, als hätte es unter Rot-Grün noch nie Angriffe auf den Sozialstaat gegeben). Simon Aulepp, Delegierter aus Kassel und Mitglied der SAV, gab in der Generaldebatte die richtige Antwort: „DIE LINKE braucht keine warme Politik der Herzen, sondern eine Politik der geballten Faust!“. Lukas Eitel aus Erlangen ergänzte, dass das Programm der LINKEN nicht mit SPD und Grünen, und auch nicht mit dem Kapitalismus zu vereinbaren wäre.
Linkes Wahlprogramm teilweise entschärft
Der Programmentwurf wurde mit über 1000 Änderungsanträgen teilweise nach links verschoben, viele gute Anträge, die der Parteivorstand nicht übernommen hatte, kamen aber bei den Delegierten nicht durch. Nicht durchsetzen konnten sich Kritiker*innen des neuen Steuerprogramms von Axel Troost und Fabio De Masi, das eine Rechtsverschiebung bedeutet: Statt einer Vermögenssteuer von 5% auf Vermögen ab einer Million möchte DIE LINKE in Zukunft nur noch 1% Vermögenssteuer bis 50 Millionen Vermögen, erst ab da sollen die Superreichen 5% zahlen. Weniger Aufmerksamkeit verdient, aber mehr bekommen, hatte der Antrag nach der Abschaffung der Schaumweinsteuer, die 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt wurde. Gemeinsam mit dem angenommenen Antrag für einen Urlaubsanspruch von 36 Tagen ein gefundenes Fressen für die Bildzeitung und die Kritiker*innen der „Lifestyle-Linken“, tatsächlich wird aber in der Arbeiter*innenklasse niemand etwas gegen billigeren Sekt und mehr Urlaub einwenden.
Sehr viele der guten Änderungsanträge wurden blockweise behandelt – bzw. meistens nicht behandelt und damit abgelehnt. Leider waren darunter auch Anträge, die deutlich gemacht hätten, dass die Klimakatastrophe nur mit einem „System Change“ in Richtung einer sozialistischen Ökonomie bekämpft werden kann. Ein Grund für die Nichtbehandlung vieler Anträge war (neben einem teilweise unerträglich parteiischen Präsidium) sicherlich Zeitmangel, ein anderer aber auch der Wille von Delegierten, vor der Wahl Geschlossenheit auszustrahlen. Dabei nützt die parteiinterne Ruhe vor allem denen, deren anpasslerischer Kurs zum „Abbau Ost“ geführt hat. Die für DIE LINKE bitter verlaufene Landtagswahl in Sachsen-Anhalt (-5 Prozentpunkte) ist ein schlechtes Omen für das, was da noch kommt. Im Osten gibt sich die Partei mehrheitlich als besonders staatstragend und hat jeden Nimbus der Protestpartei vollständig abgelegt.
Anpassungskurs stoppen
Dietmar Bartsch, der wie kaum jemand anders für diesen Kurs steht, hatte in seiner Abschlussrede dann auch dazu aufgerufen, interne Auseinandersetzungen sein zu lassen: „Wir brauchen jetzt Disziplin und Geschlossenheit!“ Die Mahnung schien an Wagenknecht adressiert zu sein, die mit ihren Angriffen auf die Partei den Unmut vieler Mitglieder auf sich gezogen hatte. Aber sie galt genauso jenen, die seit Jahren davor warnen, dass die Orientierung auf die Regierungsbank in die Bedeutungslosigkeit führt. Die Wagenknechtanhänger*innen auf dem Parteitag größtenteils unsichtbar waren und den Kampf um die Partei scheinbar schon aufgegeben haben, kämpften vor allem Mitglieder der Antikapitalistischen Linken (AKL) um einen anderen Kurs – größtenteils vergeblich. Wagenknecht, Lafontaine und ihrer linkskonservativen Anhängerschaft ist es zuzutrauen, nach der Bundestagswahl aus der Partei auszutreten und mit den mitgenommenen Mandaten ein eigenes politisches Projekt zu gründen, was mangels einer Basis zwar eine Totgeburt wäre, dem Projekt DIE LINKE aber massiv schaden würde. Die Parteilinke darf angesichts dessen aber nicht in Schreckstarre verfallen.
Die Diskussion um den Charakter der Partei wird weitergehen. Vielen Mitgliedern wird es einleuchten, dass die großen klärenden Auseinandersetzungen zu einem anderen Zeitpunkt als im Wahlkampf geführt werden müssen. Die Frage ist aber auch, mit welchen Inhalten der Wahlkampf geführt wird. Es bleibt zu befürchten, dass das Spitzenpersonal mit der ständigen (und nirgends demokratisch beschlossenen) Anbiederei an SPD und Grüne das beschlossene Programm in den Hintergrund und im Endeffekt jedes Alleinstellungsmerkmal der LINKEN infrage stellt. Der Hauptgegner der LINKEN ist eben nicht nur die CDU, wie Bartsch es ständig wiederholt, sobald ein Mikrofon in der Nähe seines Gesichts auftaucht. Der Hauptgegner sind alle Parteien, die in der Regierung Sozialabbau betreiben, Militarismus vorantreiben, und den Kapitalismus verteidigen.
Parteilinke gefragt
Der linke Flügel in der LINKEN muss einen Klärungsprozess beginnen. Natürlich braucht es klare Kante gegen die linkskonservativen Irrungen von Wagenknecht und ihren Anhänger*innen, aber ebenso braucht es klare Kante gegen die Rechtsreformist*innen, denen die Regierungsbeteiligung alles ist, das Programm aber nichts. Teile der Bewegungslinken (BL), der mittlerweile stärksten Strömung der Partei, wollen einen Kampf darum führen, die Partei mehr in den Bewegungen statt nur auf den Regierungsbänken zu verankern. Andere in der BL leisten der Bewegungsorientierung der Partei aber einen Bärendienst. Ausgerechnet einer der prominentesten Vertreter der BL, Ateş Gürpınar, stellvertretender Parteivorsitzender, hielt die Gegenrede zu zwei wichtigen Anträgen der AKL: In der Präambel für die Herstellung eines Bezugs zum Volksbegehren zur Enteignung von Mietkonzernen und dessen Verbindung mit der Forderung, die Schlüsselindustrien und Betriebe zur Daseinsvorsorge zu verstaatlichen, und im Schlusskapitel für einen Absatz, der festgestellt hätte, dass Opposition eine wichtige Aufgabe der LINKEN ist und kein „Mist“. Den Delegierten der Bewegungslinken wurde mit den Gegenreden klar signalisiert, dass sie auf Kurs der Parteivorstandsmehrheit bleiben sollen. Ein Kurs, der auf die Regierungsbeteiligung zusteuert – und damit das Ende der wichtigsten Oppositionspartei als solche einläuten würde. Es ist noch nicht zu spät, das Ruder herumzureißen. Die Parteilinke gemeinsam mit vielen neuen, jungen und bewegungsorientierten Mitgliedern hätte dazu die Macht.
Foto: DIE LINKE./Martin Heinlein