Noch im Mai 2020 hatten Merkel und Macron erklärt, der Impfstoff gegen Corona werde “ein einzigartiges globales öffentliches Gut”, denn: “Wir sind nicht wirklich sicher, solange nicht alle sicher sind.” Doch während in den westlichen Industrieländern die Ärmel hochgekrempelt werden, sind auf dem afrikanischen Kontinent nicht einmal 2%der Menschen einmal geimpft. 80% der verfügbaren Impfdosen verbrauchen die USA und Europa, die ärmsten Staaten hingegen haben bis heute 0,3% bekommen.
Von Conny Dahmen, Köln
Nicht nur linke Organisationen und Parteien, auch Ärzte, Wissenschaftler*innen, NGOs und Regierungen von über hundert WTO-Mitgliedstaaten fordern seit langem die Freigabe der Impfpatente. Blockiert wurde dies bisher von den USA und den meisten EU-Regierungen, die die Profite ihrer Pharmafirmen schützen. Spahn und der designierte Bundesverdienstkreuzträger Ugur Sahin von Biontech schieben angeblich drohende Qualitätsverluste bei der Generikaproduktion vor, Merkel will China die mrna-Technik nicht gönnen. Währenddessen stapeln sich in Indien die Toten und eine Mutation jagt die nächste. Durch den Patentschutz kann auch Europa die Möglichkeiten der Industrie nicht voll ausnutzen, da ja bisher nur wenige Konzerne die Vakzine herstellen. Das führt selbst hier zu Impfstoffknappheit.
Biden bekommt Druck
Doch auf einmal schert US-Präsident Joe Biden aus und will sich bei der WTO für ein Abkommen für das Aussetzen der Patente einsetzen. Was ist passiert? Biden hat sich natürlich nicht über Nacht vom Förderer der Konzerne zum Freund der Schwachen und Kranken gewandelt, sondern sich dem Druck der Bewegung und der Öffentlichkeit gebeugt.
Socialist Alternative ist Teil dieses Drucks gewesen. Auf gemeinsame Initiative der sozialistischen Stadträtin Kshama Sawant mit anderen Aktivist*innen hatte der Stadtrat von Seattle als erstes eine Resolution verabschiedet, in der Biden aufgefordert wurde, die Blockade der TRIPS-Waivers (*Welthandelsorganisation Trade-Related Intellectual Properties) der WTO aufzugeben. Mit dieser Ausnahmeregelung können die Patentbeschränkungen von Big Pharma vorübergehend aufgehoben werden, um die Produktion von generischen Impfstoffen zu ermöglichen. Diesem Beispiel folgten Ende April/Anfang Mai andere Stadträte mit ähnlichen Resolutionen, zum Beispiel Cambridge, Chicago und Burbank.
Außerdem agiert Biden, der im Wesentlichen gewählt wurde, weil er nicht Trump war, populistisch. Jetzt kann er sich das leisten, schließlich sind laut US-Gesundheitsbehörde CDC 42% der US-Amerikaner*innen bereits vollständig geimpft, im Juli sollen es 70% sein. Die Profite für Pfizer, Johnson und Moderna sind garantiert und zu großen Teilen schon realisiert.
EU-Blockade hält an
Allerdings werden die Patente so lange weiter bestehen, bis die EU und andere Regierungen ihre Blockade beenden. Rein rechtlich wären Zwangslizenzen zur Corona-Impfstoffproduktion in Deutschland bereits jetzt möglich: Mit dem “Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite” von 2020 kann die Regierung Firmen zwingen, Patente und Lizenzen an andere Firmen weiterzugeben, oder auch die Produktion bestimmter Impfstoffe, Medikamente usw. anordnen. Außerdem könnte nach Paragraf 13 des Patentgesetzes angeordnet werden, dass eine Erfindung wie zum Beispiel ein Corona-Impfstoff im “Interesse der öffentlichen Wohlfahrt benutzt werden soll”.
Rein faktisch gehören die Impfstoffe bereits der öffentlichen Hand – also uns: Biontech hat allein 2020 Fördermittel vom Bundesforschungsministerium in Höhe von 375 Millionen Euro erhalten. Hinzu kommt die staatliche Förderung für Grundlagenforschung. Der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet zufolge haben Astra Zeneca/Universität Oxford 1,7 Milliarden Dollar, Johnson&Johnson 1,5 Milliarden und Moderna 957 Millionen US-Dollar an Fördermitteln erhalten.
Regierungspolitiker*innen und Firmenchefs behaupten, das „Aufweichen des geistigen Eigentums“ schwäche zukünftige Innovationen. Wir glauben, das kapitalistische System ist die wahre Innovationsblockade. Die Aussicht, Menschen zu heilen und zu retten, motiviert Forscher*innen und Beschäftigte im Pharmasektor durchaus. Deshalb gehören Pharmafirmen wie Biontech, Pfizer oder Bayer in gesellschaftliches Eigentum überführt. Nur so können Produktion und Forschung im Interesse von Mensch und Umwelt demokratisch geplant und organisiert werden. Für internationale Solidarität statt Impf-Nationalismus!