Am 7. Juli 2016 beschloss der Bundestag eine von Feminist*innen seit langem geforderte Reform des Sexualstrafrechts. Bis 2016 wurde nur wegen Vergewaltigung bestraft, wer einen anderen Menschen mit Gewalt oder Drohung zu sexuellen Handlungen gezwungen hat. Heute ist auch strafbar, wer solche Handlungen an einer anderen Person vornimmt, obwohl sie das erkennbar ablehnt. „Nein“ heißt „Nein“.
Von Ianka Pigors, Hamburg
Das Gesetz hat viele Menschen- vor allem Frauen*- ermutigt, sexuelle Übergriffe anzuzeigen. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik stieg die Zahl der angezeigten Sexualstraftaten von 2016 auf 2017 rasant um 24% und von 2017 auf 2018 nochmals um 15%. Von 2018 auf 2019 betrug der Anstieg dann nur noch 4%. Es werden heute deutlich mehr Taten angezeigt als vor der Reform.
Auch in der Rechtsprechung gab es einige positive Entwicklungen. Zum Beispiel hat das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein im März entschieden, dass das sogenannte „Stealthing“, also das heimliche Entfernen des Kondoms während des Geschlechtsverkehrs, eine Vergewaltigung darstellt, wenn klar ist, dass die Partner*in oder der Partner mit ungeschütztem Verkehr nicht einverstanden war.
Während die Geschädigten die Gerichte früher überzeugen mussten, dass sie zum Sex gezwungen wurden, müssen sie heute „nur“ noch beweisen, dass sie erkennbar keinen oder nicht diese Art von Sex mit dem Täter (oder der Täter*in) wollten. Das klingt ermutigend. Leider ist es in der Praxis nicht einfacher geworden, als ein Gericht zu überzeugen, dass Gewalt oder Drohung im Spiel waren.
Mit Beschluss vom 4. Dezember2018 hat der Bundesgerichtshof eine Verurteilung des Landgerichts Traunstein wegen Vergewaltigung mit der Begründung aufgehoben, die Annahme des Landgerichts, „der Angeklagte habe in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni 2017 den Oral- und Analverkehr mit der Geschädigten gegen deren erkennbaren Willen vollzogen und dies erkannt und billigend in Kauf genommen“, werde von den Feststellungen nicht getragen und sei auch nicht hinreichend beweiswürdigend belegt.“ (BGH 1 StR 546/18, HRRS 2019 Nr. 256).
Absurde Rechtsprechung
Nach den Feststellung des Landgerichts hatte sich eine Frau mit dem späteren Täter in dessen Wohnung getroffen und die beiden kamen zu Sache. Der Mann versetzte der Frau dabei mehrere Schläge auf den Körper. Daraufhin erklärte sie, „das sei nichts für sie“ und er hörte zunächst auf. Beim anschließenden Analverkehr begann er plötzlich, sie zu beißen und ihr ins Gesicht zu schlagen. Obwohl sie vor Schmerzen schrie, ihn aufforderte aufzuhören und versuchte, ihn wegzuschieben, ließ er nicht von ihr ab. Im Verlauf der Nacht nahm der Täter weitere sexuelle Handlungen an der Frau vor und misshandelte sie dabei erneut. Die furchtbaren Einzelheiten müssen hier nicht ausgeführt werden. Am Morgen brachte er sein Opfer nach Hause.
Die Frau befand sich zum Zeitpunkt der BGH Entscheidung seit über einem Jahr in psychologischer Behandlung, um das durch die Tat verursachte Trauma zu verarbeiten. Der Bundesgerichtshof räumte ein, dass die Frau hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass sie nicht geschlagen, gebissen und gewürgt werden wollte. Aus seiner Sicht wurde aber nicht klar bewiesen, dass sie außerdem den Sex mit dem Mann, der sie in seiner Wohnung in der beschriebenen Weise überrumpelt und gequält hatte, nicht fortsetzen wollte.
Im Bewusstsein ändert sich was
Wer einen Beleg dafür braucht, dass auch ein gut gemeintes Gesetz wertlos ist, wenn sexistische Richter*innen entscheiden, wie es ausgelegt wird, sollte sich das Urteil durchlesen.
Obwohl die Sexualstrafrechtsreform die strukturellen Probleme innerhalb unseres patriarchalen Justizsystem nicht lösen konnte und obwohl das Gesetz im Bundestag erst eine Mehrheit fand, nachdem in Folge der „Kölner Silvesternacht“ mit rassistischer Pauschalisierung junge Migranten – und nicht deutsche Durchschnittsmänner – als die Verursacher sexueller Gewalt in Deutschland dargestellt wurden, zeigen das neue Gesetz und die mit ihm gestiegene Anzeigebereitschaft eine positive Veränderung im Bewusstsein: Frauen lassen sich nicht mehr alles gefallen und große Teile der Bevölkerung unterstützen das. Das immerhin ist ermutigend.
Foto: Martin Abegglen, CC-BY-SA