Hochwasserschutz praktisch: RWE fluten, RWE enteignen
Während eines Pressetermins im rheinischen Erftstadt feixt Kanzlerkandidat Armin Laschet im Hintergrund mit dem CDU-Landtagsabgeordneten Gregor Golland, der für seinen Teilzeitjob bei einer RWE-Tochter 90.000 Euro “Nebeneinkünfte” jährlich bekommt. Das ist das Symbolbild dieser Katastrophe.
Von Claus Ludwig, Köln
In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz starben über 160, in Belgien 30 Menschen (Stand: 19.07.21). Tausende haben ihre Häuser und Wohnungen, Autos und jeglichen Besitz verloren, über 100.000 waren auch Tage später noch ohne Strom, Gas- und Mobilfunknetze sind defekt. Ganze Orte sind zerstört, Tausende traumatisiert, um ihr bisheriges Leben gebracht.
Während Menschen trauern, leiden und viele im ganzen Land und darüber hinaus mit ihnen fühlen, gönnt sich Laschet ein Scherzchen mit einem hoch bezahlten Angestellten des Konzerns, der mitten im Chaos „business as usual“ macht und die Konten seiner Aktionäre befüllt.
Die Erkenntnis, dass die extremen Wetterereignisse im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen, wird inzwischen auch in den bürgerlichen Medien kaum noch bestritten. Die 50-Grad-Hitzerekorde an der nordamerikanischen Pazifikküste und der rheinische Starkregen – in zwei Tagen soviel Regen wie sonst im ganzen Monat, in einzelnen Orten auch wie in drei Monaten – wären als einzelne Phänomene auch ohne Klimawandel denkbar. Aber ihre Häufung und Gleichzeitigkeit ist das Produkt dieser Veränderung, die auf der ungebremsten Nutzung fossiler Brennstoffe basiert.
Immer wieder RWE
Der Konzern RWE ist durch die Fortsetzung des zerstörerischen Braunkohle-Abbaus einer der Treiber des Klimawandels, mit Laschets Segen, der die Landespolizei im Hambacher Forst wie eine Privatarmee von RWE agieren ließ. Doch RWE ist nicht nur allgemein, sondern ganz konkret an der Flutkatastrophe beteiligt. Die Kiesgrube, die den Einsturz mehrerer Häuser in Erftstadt-Blessem verursacht hat, gehört den Rheinischen Baustoffwerken, einer RWE-Tochter. Der Kölner Stadtanzeiger stellt die Frage, inwieweit deren Ausbau vor einigen Jahren den Absturz begünstigt hat. Dies muss untersucht werden, transparent und mit Beteiligung von Betroffenen und Umweltverbänden.
Der RWE-Braunkohle-Tagebau bei Inden wurde durch das Flüsschen Inde geflutet, das Kraftwerk Weisweiler, eine der schlimmsten Dreckschleudern Europas, musste die Kapazität reduzieren. Der taz-Autor Bernd Müllender verweist darauf, dass nicht nur der Tagebau dort, sondern auch die Gruben in Hambach und Garzweiler dazu geeignet wären, bei Hochwasser große Wassermengen aufzunehmen und somit bewohnte Gebiete zu entlasten. Doch RWE produzierte dort weiter und spendete eine lächerliche Million aus der Portokasse.
Bei Twitter formulierten User den Verdacht, RWE hätte aktiv Wasser aus dem Tagebau Hambach in die Erft gepumpt. Auch das ist zu untersuchen. Den Beschäftigten von RWE, die dazu Auskunft geben könnten, muss seitens des Landes volle soziale Absicherung garantiert werden, wenn sie gegen das Unternehmen aussagen wollen.
Es gab Warnungen
Klassische Hochwasserschutzkonzepte, wie sie an der Küste oder entlang großer Flüsse eingesetzt werden, helfen wenig in einer solchen Situation. Das Wasser kam von überall, von oben, von unten durch die Kanalsysteme und von der Seite. Flüsschen, die normalerweise kaum für ein Quietsche-Entchen-Rennen taugen, verwandelten sich in reißende Ströme, traten über die Ufer und wirkten gleichzeitig unterirdisch. Da helfen weder Dämme noch Sandsäcke, es gab keine Front an der man sie hätte sinnvoll aufbauen können. In Köln liefen Keller und Unterführungen voll, auch ohne einen direkten Zusammenhang mit dem Fluss, einzig durch den Regen.
Doch das heißt nicht, dass nichts hätte getan werden können. Es gab eindeutige Warnungen. „Deutschland wusste, dass die Überschwemmungen kommen, aber die Warnungen haben nicht funktioniert“, schreibt die britische Times und zitiert die Hochwasser-Expertin Hannah Cloke, die betont, dass zu sehen war, was passieren würde und dass die Warnungen der Wetterdienste, zum Beispiel durch das europäische Hochwasserwarnsystem Efas, erfolgt wären.
Die Behörden hätten früher warnen und evakuieren, Straßen und Brücken sperren, Hilfsteams zusammenziehen und Möglichkeiten zur Entlastung der bewohnten Gebiete checken können. Das war eine “Naturkatastrophe”, die durch Fehler verschlimmert wurde. Auch dies muss vollständig untersucht werden.
Die dichte Besiedelung und industrielle Nutzung entlang der Flüsse ist lange gut gegangen. Unter den Bedingungen des Klimawandels und der zunehmenden Wetterextreme ist das ein Rezept für weitere Katastrophen. Die großen Städte waren in den letzten Sommern Backöfen oder Saunen. Die über Jahre ausgetrockneten Böden wurden 2021 mit einem Mal überschwemmt. Regionen wie Ostbelgien, Eifel und Rheinland müssen wetterfest werden – Städte und Orte brauchen funktionierende Konzepte, die extreme Regenfälle auffangen können. Dafür bedarf es Regenrückhaltebecken, innerörtlicher Überflutungsflächen wie tieferliegende Sportplätze, Parkplätze oder Wiesen sowie Ablaufrinnen, die das Wasser gezielt aus den Wohngebieten leiten, und einer Öffnung von versiegelten Flächen, um dem Wasser wieder zu ermöglichen, zu versickern – idealerweise in den Riesenlöchern, die RWE im rheinischen Revier gegraben hat.
Wer soll das bezahlen?
Viele Menschen sind nicht privat gegen die Schäden versichert. Die etablierten Politiker*innen treten jetzt vor die Kameras und reden davon, zu helfen, „schnell” und „unbürokratisch“. Doch NRW unter Laschet hat 2019 die Soforthilfen im Katastrophenfall auf „Härtefälle“ beschränkt. Wie auch in anderen Bundesländern waren die Kosten durch häufigere Wetterereignisse gestiegen. Die NRW-Regelung sieht statt direkter Hilfen Steuerabschreibungen vor und begünstigt damit die Besserverdienenden. Wer ohnehin wenig Steuern zahlt, geht leer aus. Selbst wenn diese Regelung jetzt gelockert würde – immerhin bewirbt sich Laschet ums Kanzleramt und hat positive Schlagzeilen dringend nötig – werden viele Betroffene auf den Kosten sitzen bleiben.
Wir erleben aktuell erst den Anfang der durch den Klimawandel verursachten Wetterextreme. Seit 2000 sind die Schadenssummen in Deutschland jedoch bereits massiv gestiegen. Versicherungen werden knauseriger, kündigen oft schon nach dem ersten Schadensfall, auch wenn dieser nur geringe Kosten verursacht. Sie interpretieren kleinere Wetterschäden als Hinweis, dass weitere folgen werden.
Der Verteilungskampf um die Frage, wer die Schäden des Klimawandels bezahlt, hat längst begonnen. Das Verursacher-Prinzip spielt keine Rolle, sonst müssten Kohle, Auto- und Rüstungskonzerne zahlen, die von den etablierten Politiker*innen geschützt werden, die wiederum die staatlichen Kassen für die Betroffenen verschließen. Diese sollten sich organisieren und Verbündete suchen, zum Beispiel in der Klimabewegung, und für die Bezahlung der Schäden und den demokratisch kontrollierten Wiederaufbau ihrer Orte kämpfen.
Für Privatpersonen sind sämtliche Verluste – Haus, Fahrzeuge, Gegenstände – komplett seitens des Staates zu ersetzen, insofern sie nicht durch Versicherungen abgedeckt werden. Wenn Versicherungen nicht sofort auszahlen, muss die öffentliche Hand in Vorleistung treten. Für Menschen, die nicht mehr direkt in Flussnähe leben möchten, müssen gleichwertige Wohnmöglichkeiten angeboten bzw. geschaffen werden. Kurzfristig muss allen Betroffenen die kostenlose Unterbringung in Hotels oder gleichwertigen Wohngelegenheiten angeboten werden, solange dies nötig ist. Das Land NRW sollte sich dieses Geld von RWE und anderen Konzernen holen, die für die Situation mitverantwortlich sind.
Alles wie vorher?
Laschet hat versprochen, man würde alles wie vorher aufbauen. Das wäre das Rezept dafür, von der nächsten „Naturkatastrophe“ überrascht zu werden. Der grausame Tod von über 190 Menschen in Deutschland und Belgien muss ein Signal dafür sein, die Verhältnisse grundlegend zu ändern. Die Region muss umgebaut werden. Neben Ausgleichsflächen und Entwässerungssystemen muss auch neu überlegt werden, wo welche Häuser gebaut werden, damit wir uns auf den Klimawandel einstellen können. Die Städte müssen grüner werden, Luftschneisen müssen geschaffen werden. Häuser entlang der Flüsse müssen in sicheren Lagen gebaut werden. Der Hausbau kann nicht den privaten Investoren überlassen werden, sondern muss durch die öffentliche Hand erfolgen – planvoll, zu günstigen Preisen und unter Mitbestimmung der künftigen Bewohner*innen.
Es müssen Tausende neue Arbeitsplätze geschaffen werden, einerseits, weil Menschen ihre Jobs verlieren, aber auch, weil wir diese Arbeitsplätze benötigen – bei der Feuerwehr, im Gesundheitswesen, im Katastrophenschutz, für Renaturierung, Wiederaufforstung, für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Diese benötigten qualifizierten Arbeitsplätze müssen durch Investitionen von Bund, Land und Kommunen finanziert werden.
Und noch einmal RWE
Der „Kohlekompromiss“ erlaubt den Abbau der Braunkohle bis 2038, Konzerne wie RWE bekommen hohe Ausgleichszahlungen. Die aktuelle Katastrophe beweist erneut, dass dieser Termin viel zu spät liegt. Der Ausstieg ist so schnell wie technisch möglich zu vollziehen. Um das zu ermöglichen und zu finanzieren, sollte RWE sofort enteignet und in öffentliches Eigentum überführt werden. Ein demokratisch kontrollierter öffentlicher Energiekonzern kann ökologisch umgebaut werden. Kein*e Beschäftigte*r von RWE müsste den Job verlieren. Die Kolleg*innen werden beim Umbau und Rückbau gebraucht, zu bisherigen Einkommen und Arbeitsbedingungen. Alle noch nicht zerstörten Dörfer würden erhalten und können genutzt werden, die Tagebau-Flächen können Teil des Hochwasserschutz-Systems der Region werden.
Die Flutkatastrophe enthüllt die Unfähigkeit und Verlogenheit von etablierten Politiker*innen und deutet auf die Verantwortung der kapitalistischen Konzerne. Gleichzeitig zeigt sich die große Solidarität der Menschen untereinander. Die Rettungskräfte haben unter harten Bedingungen tagelang geschuftet, vier Feuerwehrleute haben den Einsatz mit ihrem Leben bezahlt. Flutopfer wurden von Nachbar*innen untergebracht, Tausende beteiligen sich, obwohl selbst kaum oder weniger betroffen, an den Aufräumarbeiten und die Spendenbereitschaft ist so hoch, dass wegen fehlender Lagerkapazitäten teilweise vorläufige Annahmestopps verhängt wurden. Wenn diese praktische Solidarität auf die politische Ebene transportiert wird, können bessere Regelungen für die betroffenen Menschen erkämpft werden.
Die Sozialistische Alternative schlägt vor:
- Kostenlose Unterbringung in Hotels und leer stehenden Wohnungen, kostenloses Essen sowie eine Soforthilfe von 10.000 Euro für alle, deren Häuser oder Wohnungen zerstört oder schwer beschädigt wurden
- Volle und schnelle Entschädigung der Verluste von Privatpersonen durch Versicherung oder den Staat
- Ausbau von Katastrophenschutz und Rettungswesen; höhere Bezahlung dieser Tätigkeit und Einstellungsoffensive
- Volle Lohnfortzahlung für alle Beschäftigten, die durch die Überschwemmungen nicht zur Arbeit gehen können
- Demokratische Untersuchungskommissionen von Anwohner*innen, Wissenschafter*innen und Umweltschützer*innen, um zu klären, ob Wasser aus dem Tagebau Hambach in die Erft geleitet wurde und welche Wirkung die Kiesgrube in Erftstadt auf das Abrutschen der Häuser im Ortsteil Blessem hatte
- Kein Aufbau „wie vorher“. Keine weitere Verzögerung bei der Umsetzung der europäischen Hochwassserschutzrichtlinien. Entwicklung von Schutzkonzepten gegen Überschwemmungen und andere Folgen der Klimakrise wie überhitzte Städte unter demokratischer Beteiligung der Anwohner*innen und Klimaschützer*innen
- Schluss mit der „Schuldenbremse“, massive Ausweitung öffentlicher Investitionen, um die Folgen des Klimawandels abmildern zu können
- Finanzierung von Wiederaufbau und Hochwasserschutz durch höhere Besteuerung der Reichen und der Konzerne
- RWE enteignen, sofortiger Ausstieg aus der Braunkohle, garantierte Arbeitsplätze und Einkommen für die RWE-Beschäftigten
- System change – Ausstieg aus Kohleverstromung und Verbrennungsmotor, komplette Umstellung auf erneuerbare Energien. Vergesellschaftung der Energie- und Mobilitätskonzerne unter demokratischer Kontrolle von Beschäftigten, Staat und Umweltverbänden
- Massiver Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Nulltarif im ÖPNV und Preissenkung im Fernverkehr. Ausbau von Fahrradwegen, Schaffung autofreier Innenstädte
Titelbild: Laschet und Golland, Hintergrundbild von Christophe Licoppe, European Commission