Deutsche Bahn und GDL

Wir dokumentieren anlässlich der am 8. August endenden Urabstimmung der GDL bei der Deutschen Bahn und der wahrscheinlich bevorstehenden Streiks einen Artikel von Winfried Wolf aus der Lunapark21. Winfried Wolf gibt auch die „Streikzeitung“ zur Unterstützung des Arbeitskampfs heraus, an deren Verteilung sich SAV-Mitglieder beteiligen werden.

Die Auseinandersetzung zwischen Deutsche Bahn AG und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) spitzte sich im gesamten ersten Halbjahr 2021 zu. Dabei fährt der Bahnkonzern einen konfrontativen Kurs, in dem er vom Eigentümer Bund, also seitens der Bundesregierung und CDU/CSU und SPD, unterstützt wird. Die materiellen Forderungen der GDL lauten Mitte Juni: Entgelterhöhung von 3,2 Prozent und eine Corona-Beihilfe von 600 Euro wie im Abschluss 2020 im öffentlichen Dienst vereinbart. Die DB will stattdessen den 1,2-Prozent-Abschluss, den sie im Herbst 2020 mit der DGB-Gewerkschaft EVG tätigte, auf die GDL übertragen. Das jedoch würde einen Reallohnverlust zur Folge haben. Als Antwort erklärte die GDL das Scheitern der Verhandlungen und kündigte Streiks an.

DB-Schulden und DB-Misswirtschaft

Die DB-AG-Spitze erklärt, die GDL-Forderungen seien vor dem Hintergrund der hohen DB-AG-Verluste nicht vertretbar. Die seit Jahrzehnten angehäufte Verschuldung des DB-Konzerns übersteigt inzwischen deutlich die Summe von 30 Milliarden Euro. Sie ist allerdings Ergebnis einer jahrzehntelangen Mißwirtschaft, bei der teure, zerstörerische Großprojekte und eine Orientierung auf eine Global Player-Politik eine zentrale Rolle spielen. Darüber hinaus gibt es seit gut 15 Jahren im Bahnkonzern steigende Ausgaben für einen immer größeren Wasserkopf (Overhead). Schließlich gewährt der Bund der DB AG Gelder für eine fortgesetzte Eigenkapitalerhöhung im Zeitraum 2020 bis 2030 in Höhe von mehr als 10 Milliarden Euro. Hinzu kommen Sonderzahlungen für die Ausfälle im Corona-Jahr 2020. Diese Zahlungen sind weitgehend intransparent.

Zerstörerische Großprojekte und Global-Player-Politik

Die DB AG – hier: deren Tochter DB Netz – entwickelt immer neue zerstörerische Großprojekte, die Milliarden Euro verschlingen. Sie laufen oft auf Kapazitätsabbau hinaus – beispielsweise im Fall Stuttgart21 oder bei der Verlegung des Hamburger Bahnhofs Altona nach Diebsteich. Der Konzern hat sich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten zu einem Global Player entwickelt. Er tätigt rund die Hälfte des Umsatzes im Ausland – und auch die Hälfte des Umsatzes außerhalb des angestammten Bahngeschäfts. Das kostet viel Geld und birgt gewaltige Risiken. 2020 fuhr die DB-Tochter Arriva Verluste im dreistelligen Millionenbereich ein. Die GDL fordert ein Abstoßen des Auslandsgeschäftes und eine Konzentration aller Bahnaktivitäten auf den Bahnbereich und das Inland.

Tarifeinheitsgesetz

Bei der GDL soll 2021 zum ersten Mal das Tarifeinheitsgesetz angewandt werden. Dieses Gesetz wurde 2015 im Bundestag von CDU/CSU und SPD beschlossen. Die DB AG schloss jedoch 2015 eine Vereinbarung mit der GDL ab, wonach das Gesetz während der Gültigkeit des damals – nach einem harten Arbeitskampf – zustande gekommenen Tarifvertrags nicht angewendet wird. Diese Vereinbarung lief am 31. Dezember 2020 aus. Eine Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes heißt unter anderem: In den Betrieben der DB soll es jeweils nur eine Gewerkschaft geben, mit der die DB verhandelt – und das ist jeweils die relativ stärkere. Wer konkret wie entscheidet, wer „der relativ Stärkere“ ist, ist unklar. Auch kann der Arbeitgeber selbst festlegen, was konkret seine „Betriebe“ sind und wie diese zugeschnitten sind. Laut DB AG gibt es 56 Betriebe im Konzern, wobei in gut drei Viertel derselben die EVG die relativ größere Gewerkschaft ist.

Stimmungsmache und Hetze

Grundsätzlich sieht sich jede Gewerkschaft, die zum Mittel des Streiks greift, mit einer antigewerkschaftlichen Stimmungsmache konfrontiert. Im GDL-Streik 2014/2015 artete dies in eine Schmutzkampagne aus, die sich auch gegen die Person des GDL-Bundesvorsitzenden Claus Weselsky richtete. Das wird sich bei einem Arbeitskampf 2021 nicht anders verhalten. Das wurde bereits deutlich, als am 10. Juni in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Professor Wolfgang Schröder, der in der IG Metall hohe Funktionen eingenommen hatte, erklärte: „Das [die GDL-Politik; die Red.] grenzt an die Methoden der AfD“. Und unter anderem argumentierte: „Die GDL hat in den meisten Betrieben [der DB AG; WW] das Nachsehen. Jetzt will sie ordentlich auf den Putz hauen … um wieder mehr Mitglieder zu gewinnen.“

Exemplarischer Charakter

In dem absehbaren Arbeitskampf der GDL geht es nicht zuletzt darum, dass eine kämpferische Gewerkschaft existenziell bedroht wird – insbesondere durch die erstmalige Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes. Dabei wird die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung bewusst ausgenutzt: Hier die DGB-Gewerkschaften, die die überwältigende Mehrheit aller gewerkschaftlich Organisierten stellen und deren Führungen weiterhin eng mit der SPD verbunden sind. Dort sogenannte „Spartengewerkschaften“ mit höchst unterschiedlichem Charakter, von denen sich einige als ausgesprochen kämpferisch erwiesen. Solidarität mit der GDL ist unter den gegebenen Bedingungen zugleich – wie bereits 2014/15 der Fall – ein Ausdruck der Ablehnung des Tarifeinheitsgesetzes, das sich gegen den Grundsatz der freien gewerkschaftlichen Organisierung richtet. Es ist schließlich dieses Tarifeinheitsgesetz, das die GDL dazu zwingt, ihren Organisierungsbereich so auszuweiten, dass sie im Bahnkonzern überleben kann. In diesem Sinn traf die GDL Anfang 2021 die Entscheidung, auch „jenseits“ der Bereiche Lokführer und Zugpersonal – und damit im gesamten produktiven Bereich der Deutschen Bahn – Mitglieder zu organisieren. Sie hat nach eigenem Bekunden seither mehrere Tausend neue Mitglieder gewonnen – Unorganisierte und auch Beschäftigte, die bislang bei der EVG organisiert waren.