Gerade die Grünen trommeln für einen harten Kurs gegen Russland. Die NATO rüstet auf und übt den Krieg gegen Russland in Großmanövern im Baltikum. Zugleich verfallen viele Linke und Friedensaktivist*innen in eine Parteinahme für Putin und versagen dabei der sich gegen das Regime wehrenden Arbeiter*innenklasse und Jugend Russlands die Solidarität.
Von Marcus Hesse, Aachen
Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat ihren Konkurrenten Laschet wiederholt dafür kritisiert, einen zu kuscheligen Kurs gegenüber Russland zu fahren. Ihr Parteifreund und Co-Vorsitzender Habeck trat gleich mit Stahlhelm an der ostukrainischen Front auf und forderte Waffenhilfe für Kiew. Schon seit Jahren pflegt die Bundesregierung gute Beziehungen zur rechten ukrainischen Regierung, die eng mit Nationalist*innen aller Couleur zusammenarbeitet.
Hierzulande wird es so dargestellt, als wäre Russland der „Aggressor“ in der Ukraine. Doch die Eskalation wurde von der NATO vorangetrieben. Diese nutzte den Sturz des mit Russland verbündeten Regimes 2013, um den eigenen Einflussbereich auszudehnen. Die Diskriminierung der Russ*innen in der Ukraine wurde von der NATO mitgetragen.
Diese NATO-Aggression bedeutet keineswegs, dass Putin und die mit Russland verbündeten Milizen eine fortschrittliche Rolle spielen. Putin nutzt die Milizen, um die ukrainische Regierung zu schwächen und konnte auf dieser Grundlage die Krim annektieren. Es ist verständlich, dass Russ*innen in der Ostukraine den ukrainischen Nationalismus fürchten und Putin als Schutzmacht sehen, doch unter dem Strich ist diese nationale Frontstellung eine Sackgasse und spaltet die arbeitenden Menschen.
Das heutige Russland ist nicht mehr die Sowjetunion, sondern eine kapitalistische Macht, was manche Linke manchmal zu vergessen scheinen. Das zeigt sich in einer seltsamen Nähe zu Putin und seiner Außenpolitik. Ein trauriger Höhepunkt war der vom LINKE-Abgeordneten Klaus Ernst initiierte Lobbyauftritt von Ex-Kanzler Schröder für das Pipelineprojekt Nord Stream 2.
Das Wesen des Putinismus
Wer in Russland unter dreißig Jahre alt ist, hat in seinem bewussten Leben nie einen anderen Machthaber als Putin erfahren. Viele junge Menschen sind oft gut ausgebildet, aber finden keine Arbeit, von der sie gut leben können. Ihre prekäre Existenz und Unsicherheit geht mit Erfahrungen eines erdrückenden gesellschaftlichen Klimas einher. Konservatismus, Homophobie und staatliche Repression sind spürbar.
Die politischen Proteste der Jugend thematisieren vordergründig demokratische Fragen, Feminismus und LGBTIQ-Rechte. Doch es gab auch immer wieder soziale Proteste. Denn Armut und prekäre Lebensverhältnisse von Millionen existieren neben obszönem Reichtum von Milliardären und Oligarchen. Lebenshaltungskosten und Mieten steigen, die Löhne aber kaum. Rentner*innen haben sich immer wieder gegen Rentenkürzungen unter Putin zur Wehr gesetzt. Die russische Gesellschaft unter Putin ist sozial polarisiert: Die 123 Milliardäre konnten über die Jahre immer reicher werden.
Gleichzeitig hat es Putin aber auch geschafft, populär zu werden. Gestützt auf eine konservative Agenda, die Familie, Vaterland und den starken Staat hochhält, gepaart mit Sowjetnostalgie, hat das Putin-Regime sogar einige beliebte Maßnahmen durchgeführt: So gibt es staatliche Beihilfen für Familien mit vielen Kindern und bisweilen geht Putin auch gegen einzelne Oligarchen vor und steckt sie hinter Gitter.
Putin kam zur Jahrtausendwende an die Macht und beendete damit die Ära Jelzin, die von der großen Mehrheit der Russ*innen zurecht als dunkle Zeit betrachtet wird. Es war die Zeit, in der der IWF in einer „Schocktherapie“ die ehemalige Planwirtschaft der 1991 aufgelösten UdSSR in ein neoliberales Eldorado für Kapitalist*innen, Oligarch*innen und die Mafia verwandelte, und zu einer Hölle auf Erden für die Masse. Russland sank streckenweise auf das Niveau der ex-kolonialen Länder herab. In den 1990ern sank die Lebenserwartung bei Männern um ganze zehn Jahre. Putin brachte politische Stabilität, führte die Teilrenationalisierung der Naturschätze durch, legte die Oligarchen ein wenig an die Leine und machte Russland nach der Demütigung der Jelzin-Ära wieder zu einer Weltmacht.
Ausdruck dafür war aber auch stets imperialistische Politik: Sei es gegen „abtrünnige“ Regionen wie Tschetschenien oder durch verstärktes militärisches Engagement im Ausland wie in Georgien, Syrien, oder der Ukraine. Gegenüber der Ära Jelzin wird die Putin-Ära von vielen Russ*innen als Verbesserung gesehen, aber es lässt sich nicht kaschieren, dass es eine soziale Krise gibt. Weltwirtschaftskrise und Covid-19 haben diese verschärft.
Repressalien gegen Linke
Putin regiert mit nur leicht gezuckertem Brot und hart geschwungener Peitsche. Seit vielen Jahren gibt es den politischen Strafbestand des „Extremismus“, der dehnbar gegen jede aktive Opposition angewandt wird. LGBTIQ-Menschen können wegen des Vorwurfs der „homosexuellen Propaganda“ Probleme kriegen, wenn sie beispielsweise als Lehrer*innen sagen, dass ihre Lebensweise nicht verkehrt ist. Staatlicher Rassismus gegen Angehörige nationaler Minderheiten und Migrant*innen wie Kaukasier*innen, Tatar*innen, Azeri, Usbek*innen ist ein großes Problem. Linke Antifaschist*innen sind staatlicher Repression ausgesetzt.
Die jüngsten landesweiten Proteste im Winter 2020/21 beantwortete das Regime mit Massenfestnahmen und verhängte horrende Geldstrafen für Demonstrant*innen. Rund 11.000 Menschen befinden sich aus politischen Gründen russlandweit in Arrest, fünfzig von ihnen drohen längere Haftstrafen. Die Repression hat nicht das Ausmaß der Unterdrückung in China, der Türkei oder Kolumbien, aber sie ist massiv und richtet sich sehr gezielt gegen die aktive, größer werdende Minderheit, die gegen Putin und die Verhältnisse auf die Straße geht.
Durch den politischen Rückzug der Anhänger*innen des bürgerlichen Oppositionellen Nawalny ist die Protestbewegung vom letzten Winter abgeflaut und muss sich neu organisieren. Doch der russische Staat hat viele linke Aktivist*innen mit Strafverfahren überzogen.
Die Gründer*innen der linken Studierendenzeitung Doxa, Artem Aramjan, Vladimir Metelkin und Natalja Tyschkewitsch, wurden während der Proteste wochenlang unter Hausarrest gestellt. Am 18. Januar 2021 wurde Azad Miftakhov aus Moskau zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. In einem von der Polizei konstruierten Fall wurde ihm vorgeworfen, dass er explosive Materialien gesammelt habe. Ursprünglich ging es in der Ermittlung allerdings um ein kaputtes Fenster im Büro der Regierungspartei. Der 14-jährige Nikita Uwarow wurde für das Verteilen von Flugblättern ein halbes Jahr inhaftiert und erst Anfang Mai 2021 freigelassen. Die Polizei begründete das damit, dass er bei „Minecraft“ die Erstürmung der Geheimdienstzentrale nachgestellt habe.
Seit 2019 wurde die Feministin und Künstlerin Yulia Tsvetkova wiederholt angeklagt, weil sie angeblich „Pornografie“ verbreitet habe. In mehreren Verfahren wurde sie zu hohen Geldstrafen verurteilt. Die traditionelle Linke ist in Russland schwach. Aber gegen die erdrückenden Zustände im Land formiert sich eine neue, sehr junge, linke Opposition. Der Staat geht mit Härte gegen sie vor.
Für echten Internationalismus!
Es ist nötig, die Kriegshetze und Hochrüstung der NATO gegen Russland zu skandalisieren und den Kriegstreiber*innen und „Ostlandrittern“ hierzulande politisch entschieden entgegenzutreten. Doch die Losung „Frieden mit Russland!“ darf nicht Parteinahme mit dem russischen Staat bedeuten. Verbündete und Partner*innen für Linke in Deutschland sind linke und progressive Bewegungen in Russland, die Bewegung der Arbeiter*innen, die LGBTIQ-Bewegung, die antifaschistische und die feministische Bewegung in Russland.
Eine deutsche Linke, die als Verbündete der offiziellen russischen Außenpolitik erscheint, kann für die von Repression betroffenen Linken in Russland keine Hilfe sein. Es gehört zur Methodik des russischen Staates, jede Opposition als von CIA und NATO gesteuert zu diskreditieren. Nötig ist ein konsequenter Internationalismus von unten, der für die Einheit der Arbeiter*innen klasse und Unterdrückten weltweit gegen Ausbetung und Unterdrückung steht.