von Dariya Kozhanova (Sotsialisticheskaya Alternativa, ISA in Russland)
Waldbrände wüten auf der Erde schon so lange, wie es Wälder gibt. In einigen Ökosystemen sind sie ein fester Bestandteil des Lebenszyklus. Dies gilt für die sibirische Taiga. Aufgrund des kalten Klimas, der geringen Niederschläge und des gefrorenen Bodens zersetzen sich die zu Boden fallenden Blätter und Nadeln nicht, sondern bleiben lange liegen. So sammelt sich eine große Schicht aus brennbarem Material an, und der Boden selbst bleibt nährstoffarm. Wenn ein Feuer ausbricht, verbrennen die Nadeln, düngen den Boden mit ihrer Asche und die alten Bäume werden vernichtet. Neue junge Bäume ersetzen sie, und der Wald verjüngt sich. Normalerweise wiederholt sich dieser Zyklus alle 70 bis 300 Jahre.
Aber menschliche Eingriffe, genauer gesagt die kapitalistische Ausbeutung und der Klimawandel, haben zu Bränden geführt, die hinsichtlich Fläche, Ausbreitungsgeschwindigkeit und Zerstörungskraft beispiellos sind. Die Welt steht in Flammen – von der sibirischen Taiga über die australischen Steppen bis zu den Wäldern des Amazonas.
Nach Angaben von Greenpeace hat die Brandfläche in Russland seit Anfang 2021 bereits 17 Millionen Hektar erreicht, und da die Feuersaison noch einige Wochen weitergeht, wird in diesem Jahr mit Sicherheit eine Rekordfläche zerstört. Allein die sibirischen Feuer sind größer als die Brände im Rest der Welt zusammen. Die Front, die die Feuerwehrleute zu bekämpfen haben, ist über 2000 Kilometer lang.
Brände und Klimawandel
Die Beziehung zwischen diesen katastrophalen Waldbränden und dem Klimawandel ist zweischneidig. Einerseits beeinflussen Veränderungen der durchschnittlichen Jahrestemperatur und der Niederschlagsmuster die Brandverläufe, andererseits tragen die Waldbrände selbst zu den globalen Klimaveränderungen bei.
Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts stieg die durchschnittliche Jahrestemperatur in Sibirien um 0,43 °C und in den Polarregionen um 0,61 °C. Die Region erwärmt sich doppelt so schnell wie andere Teile der Welt, was vor allem an der Erwärmung der Sommersaison und deren längerer Dauer liegt. Der durchschnittliche Jahresniederschlag hat im Laufe des Jahrzehnts ebenfalls um 7,2 mm zugenommen, ist aber ungleichmäßig über die Jahreszeiten verteilt. Mehr Schnee im Winter wird durch Dürreperioden im Sommer ausgeglichen, die bis zu 110 Tage dauern können. Diese zusätzliche Feuchtigkeit steigert die Aktivität des Waldökosystems, so dass mehr brennbares Material zur Verfügung steht.
Diese klimatischen Veränderungen destabilisieren die atmosphärische Zirkulation und verursachen damit starke Windböen, die jedes entstehende Feuer sofort anfachen, so dass es die Baumkronen erreicht und sich schnell ausbreitet. Ein ausgedehntes Feuer wiederum schafft sein eigenes Wettersystem. Aufsteigende Ströme erwärmter Luft erreichen die Troposphäre und blockieren den Durchzug feuchter Luftmassen aus dem Fernen Osten. Es regnet, ohne den Brandherd zu erreichen.
Waldbrände setzen Ruß in die Atmosphäre frei, den der Wind in Richtung Arktis bläst. Wenn sich der Ruß auf dem Eis ablagert, verringert sich das Reflexionsvermögen der Eisoberfläche, das Schmelzen wird beschleunigt, und Süßwasser fließt in den Ozean, was wiederum die Oberflächenströmungen beeinflusst. Ruß und Holzkohle bedecken den Boden und führen zum Auftauen des Permafrostbodens, dessen Abbau die Verdunstung und den Feuchtigkeitsgehalt beeinflusst. Darüber hinaus nimmt die Zahl der unterirdischen Brände zu, die schwer zu löschen sind und mehr giftigen Rauch erzeugen als Brände in den Bäumen oder am Boden.
Pflanzen sind Kohlenstoffspeicher. Durch Photosynthese entziehen sie der Atmosphäre Kohlenstoff und recyceln ihn als organische Verbindungen, die an verschiedenen biologischen Prozessen beteiligt sind. Wenn jedoch ein Baum brennt, gelangt ein Großteil des gespeicherten Kohlenstoffs als Treibhausgas in die Atmosphäre zurück. Die Kohlenstoffemissionen durch Waldbrände betrugen zwischen 1998 und 2010 durchschnittlich 121+/-28 Millionen Tonnen pro Jahr, was mit den gesamten Kohlenstoffemissionen beispielsweise der Tschechischen Republik vergleichbar ist. Dieses Jahr war schlimmer. Seit Anfang Juni wurden durch die Brände in Sibirien 800 Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt – mehr als der größte Umweltverschmutzer der EU, Deutschland, in einem Jahr ausstößt. Die Putin-Diktatur, die vor kurzem ihre neue Umweltagenda verabschiedet hat, schweigt zu diesem Punkt beharrlich.
Die Wälder Sibiriens sind an ein stabiles, kaltes Klima angepasst. Doch jetzt können übermäßig schneereiche Winter mit erheblichen Temperaturschwankungen und heiße, trockene Sommer zu Wasserstress, Anfälligkeit für Schädlinge und Krankheiten, sowie zum Absterben der Bäume führen. Ein Übermaß an Totholz schafft ein weiteres Brennstoffreservoir, das Waldbrände begünstigt. Das Fehlen einer systematischen Waldbewirtschaftung und die durch korrupte Systeme verursachte forstwirtschaftliche Betriebsführung verschärfen das Problem noch. Derzeit gibt es 250 Vollzeit- und 150 Saison-Feuerwehrleute, die eine Fläche abdecken, die fünfmal so groß ist wie Frankreich. Dies ist ein dramatischer Rückgang gegenüber den 1600 Vollzeitbeschäftigten zu Sowjetzeiten.
Waldbrände und Gesundheit
Waldbrände haben nicht nur negative Auswirkungen auf die Umwelt, sondern auch auf die menschliche Gesundheit. Während nur die Menschen, die im Katastrophengebiet leben, durch das Feuer selbst gefährdet sind, werden der Rauch und die Asche über Hunderte und Tausende von Kilometern transportiert und verschmutzen Luft und Wasser in einem weiten Gebiet. Der Rauch enthält polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Formaldehyd, Phenol und andere giftige und krebserregende Stoffe. Kurzfristig führt der Kontakt mit diesen Stoffen zu Reizungen der Schleimhäute, der Augen und der oberen Atemwege. Bei regelmäßiger und längerer Einwirkung von Rauch steigt das Risiko von Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Neben giftigen Gasen enthält Rauch auch große Mengen an Feinstaub, der aus Kohlenstoff mit geringen Mineralverunreinigungen besteht. Bei der Messung der Messung der Luftqualität werden die üblichen Formen von Feinstaub als PM10 und PM2,5 definiert, was bedeutet, dass die Schwebeteilchen in der Luft eine Größe von 10 bzw. 2,5 Mikrometern haben. PM10 ist weniger flüchtig und die Partikel setzen sich auf den Schleimhäuten der oberen Atemwege ab und reizen diese. Dies stellt eine ernste Gefahr für Menschen dar, die unter Asthma und Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden. Gefährlicher sind die kleineren PM2,5-Partikel. Sie sind flüchtiger und können besser in die unteren Atemwege und die Lunge eindringen. Sie reichern sich in den Alveolen an und können chronische Lungenerkrankungen verursachen.
Die Chemikalien, aus denen die besonders feinen Partikel bestehen, werden in das Blut aufgenommen und haben eine giftige Wirkung auf den Körper. Bei Wald- und Steppenbränden übersteigt die Partikelkonzentration in der Luft die normalen Werte um das 10-14fache. Die Partikelemission hängt von der Art des Brennstoffs und der Verbrennungsart ab. Langsam schwelendes Holz ist am gefährlichsten. Taiga- und Waldbrände in den gemäßigten Breiten setzen das meiste ultrafeine Material in die Luft frei, gefolgt von tropischen und Steppenbränden. Bei starker Rauchentwicklung ist es äußerst wichtig, rechtzeitig zuverlässige Informationen über den Zustand der Umwelt zu erhalten und geeignete Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen. Offiziellen Angaben mangelt es seit langem an Glaubwürdigkeit. Daher ist es äußerst wichtig, öffentliche Luftqualitätsüberwachungssysteme, horizontale Warnsysteme und Datenaustauschnetze zu entwickeln.
Die nach einem Waldbrand abgelagerte Asche ist ein wichtiger Faktor bei der Regeneration von Ökosystemen, kann sich aber auch negativ auf die Qualität der Gewässer auswirken. Asche enthält große Mengen an löslichen Stickstoff- und Phosphorverbindungen und wird mit dem Regenwasser in Flüsse und Seen gespült. Die dort lebenden Algen beginnen sich aufgrund der Nährstoffzufuhr rasch zu vermehren, sterben aber bald ab, da sie den Vorrat aufgebraucht haben. Die Oxidation (Fäulnis) der abgestorbenen organischen Stoffe entzieht dem Wasser weiteren gelösten Sauerstoff., was die Wasserqualität verschlechtert. Außerdem erschwert das Vorhandensein großer Mengen von Algen die Reinigung und Aufbereitung des Trinkwassers. Asche enthält neben Stickstoff und Phosphor auch Quecksilberverbindungen, die Pflanzen während des Wachstums aus dem Boden aufnehmen. Dieses Quecksilber gelangt dann ins Trinkwasser und reichert sich in Fischen an.
Ein weiterer Aspekt, der selten erwähnt wird, ist, dass Brände nicht nur die physische, sondern auch die psychische Verfassung der Menschen negativ beeinflussen. In Australien suchten nach dem so genannten Schwarzen Sommer 2019/20 15 % der Feuerwehrleute und Freiwilligen Hilfe wegen eines posttraumatischen Stresssyndroms. Es ist fraglich, wie viele andere dies nicht getan haben. Gemeinden, die mindestens drei Jahre lang mit der zerstörerischen Kraft des Feuers konfrontiert waren, weisen weiterhin erhöhte Raten von Angstzuständen, Alkoholismus, Selbstmord und häuslicher Gewalt auf. In Russland werden diese Probleme leider kaum publik gemacht, und die Opfer erhalten oft keine ausreichende psychologische Hilfe.
Brände und der Staat: Bürokratie und Ineffizienz.
Die Holzindustrie ist neben der Öl- und Gasindustrie eine wichtige Einnahmequelle für die Oligarch*innen-Elite. Deshalb hat das föderale Zentrum, d. h. die Moskauer Bürokratie, in den letzten zwanzig Jahren versucht, die Kontrolle darüber in die eigenen Hände zu bekommen. Als Ergebnis dieser „effizienten Verwaltung“ sind bürokratisches Chaos, übermäßige Regulierung, verworrene Zuständigkeiten und gleichzeitig eine Superzentralisierung von Macht und Ressourcen entstanden. Im Laufe der Geschichte der Sowjetunion wurden 774 Dokumente zur Steuerung der Waldnutzung erlassen, in den letzten Jahrzehnten waren es 1.729. Gleichzeitig sind viele wichtige Fragen ungelöst geblieben. Die große Zahl verwirrender und widersprüchlicher Gesetze und die endlosen Umstrukturierungen der für die Forstwirtschaft zuständigen Behörden schaffen einen fruchtbaren Boden für Korruption, Bürokratie und Verantwortungslosigkeit.
Der räuberische Charakter der föderalen Regierung zeigt sich am deutlichsten in finanziellen Angelegenheiten. Vor 2002 flossen die Gebühren für die Waldpacht und die Holzungsrechte in die regionalen Haushalte, das Geld wurde für den Schutz und die Wiederherstellung der Waldressourcen verwendet. Jetzt fließt der größte Teil dieses Geldes in den Bundeshaushalt. Infolgedessen sank die wiederhergestellte Waldfläche, die in den 1980er Jahren in der UdSSR 1.800.000 Hektar pro Jahr betrug, auf 950.000 Hektar im Jahr 2000 und 800.000 Hektar im Jahr 2004. Erst in den letzten Jahren hat sich die wiederhergestellte Fläche einer Million Hektar genähert.
Es handelt sich um geplante Maßnahmen. In Notsituationen müssen die Regionen auf die Hilfe der Zentralverwaltung warten. Doch für die russische Elite ist das Löschen von Bränden „wirtschaftlich unrentabel“. Anstatt den Raubbau und die Ausbeutung der Regionen zu beenden, fusioniert und vergrößert die Moskauer Elite die Regionen. Auf diese Weise zerstören sie die lokale Selbstverwaltung. Auch Initiativen von der Basis werden unterdrückt. Jede Selbstorganisation von Arbeiter*innen macht den Behörden Angst, und die Freiwilligen, die die Brände in Sibirien und Karelien bekämpfen, sind da keine Ausnahme. Anstatt die Aktivist*innen wirksam in die Rettungsarbeiten einzubinden, werden sie durch Polizeikontrollen und Betrügereien behindert.
Die Ineffizienz des Staatsapparats, die Korruption und die Degradierung der Forstbetriebe, die durch diese Politik ausgelöst werden, haben zu einem dramatischen Anstieg des illegalen Holzeinschlags geführt. Verschiedenen Schätzungen zufolge entfallen 10-35 % des Holzeinschlags in Sibirien und bis zu 60 % im Fernen Osten Russlands auf illegalen Holzeinschlag. Kahlschlag, von dem schockierende Fotos in den Medien veröffentlicht werden, ist ein relativ seltenes Phänomen. Viel häufiger werden die Bäume unter dem Vorwand von Pflegemaßnahmen selektiv abgeholzt. Es ist schwierig, solche Verluste zu bewerten, da ein einzelner Baum auf Satellitenbildern kleiner als ein einziger Pixel ist.
Waldbrände spielen beim illegalen Holzeinschlag eine wichtige Rolle. Erstens ist es eine Möglichkeit, den Kahlschlag zu verbergen. Zweitens zerstört ein sich schnell ausbreitendes Spitzenfeuer Kronen und Rinde, hat aber keine Zeit, den dicken Stamm selbst zu beschädigen. Verbrannte Wälder werden abgeschrieben, und die verbleibenden Stämme werden gefällt und als notwendige „Haushaltsmaßnahmen“ dokumentiert. Lärchenbäume werden durch Feuer von kleinen Ästen und Nadeln befreit und verkauft. Im Fernen Osten stellt sich die Situation etwas anders dar. Während in Sibirien massenhaft illegaler Holzeinschlag für Bauholz betrieben wird, werden in der Region Primorje unter dem Deckmantel der Verbesserung der Waldgesundheit seltene Baumarten entnommen.
Für die herrschende Clique der Oligarch*innen ist das Löschen von Bränden in Sibirien „wirtschaftlich unrentabel“, nicht weil sie weit weg und schwer zu erreichen sind, sondern weil es ohne katastrophale Brände unmöglich wäre, das Ausmaß ihrer Korruption, Inkompetenz und ihres Raubbaus zu verbergen. Ohne Brände würden sie ihre Auszeichnungen nicht bekommen, kein Geld verdienen und keine weiteren Sterne auf ihren Schultern als Anerkennung für ihre „Notfallmaßnahmen“ erhalten. Wie die Praxis zeigt, kümmert sich die Putin-Diktatur weder um den Klimawandel noch um den Schutz der Wälder oder gar um die Menschen, deren Häuser von den Bränden heimgesucht werden. Brände sind für die russische Führung nicht nur ein Mittel, um ihre Verbrechen zu vertuschen, sondern auch ein weiterer Baustein für ihre außenpolitischen Spiele. Kürzlich schickte man keine amphibischen Löschflugzeuge nach Jakutien, sondern in die Türkei.
Ein kapitalistisches System, das darauf ausgerichtet ist, aus Mensch und Natur Profit zu schlagen, ist nicht in der Lage, die Probleme zu lösen, die es verursacht. Die fortgesetzte rücksichtslose Ausbeutung und barbarische Plünderung der Waldressourcen führt zu ernsthaften Risiken für die menschliche Gesundheit, zerstört einzigartige Ökosysteme und verschärft den Klimawandel.
Was kann getan werden?
Um die Brände unter Kontrolle zu halten, müssen wir eine schlagkräftige Massenbewegung aufbauen, die Arbeiter*innen, Feuerwehrleute, Umweltschützer*innen und Anwohner*innen im Kampf vereint:
- gegen die bürokratischen Top-Down-Strukturen, die aufgebaut wurden, um die Regionen auszurauben und illegalen Holzeinschlag zu vertuschen;
- für ihre Ersetzung durch einen von der Bevölkerung kontrollierten und ausreichend finanzierten Forstdienst, der für die rechtzeitige Erkennung von Bränden und die Wiederherstellung verbrannter Gebiete sorgt;
- für die Wiederherstellung des durch die jahrelange neoliberale „Optimierung“ zerrütteten Sozialbereichs, damit die Bewohner*innen der brandgefährdeten Gebiete Zugang zu einer kostenlosen und guten medizinischen Versorgung erhalten;
- für die Einrichtung einer Arbeiter*innenkontrolle unter Beteiligung von Feuerwehrleuten und Anwohner*innen mit unabhängiger ökologischer Überwachung, um alle Aspekte der Waldbewirtschaftung zu verwalten und zu kontrollieren, wobei alle Waldflächen und -ressourcen wieder in öffentliches Eigentum überführt werden;
- für eine nachhaltige, demokratisch geplante Wirtschaft. Nur so können wir die barbarische Ausbeutung der Menschen und der natürlichen Ressourcen stoppen.
Die Wälder Sibiriens müssen wieder zur Lunge des Planeten werden, nicht zu seinem Auspuffrohr!
Foto: Ivan Nikiforov