Interview mit David Wetzel, Gesundheits- und Krankenpfleger an der Charité, Mitglied der ver.di-Tarifkommission an der Charité und des Koordinierungskreises der Berliner Krankenhausbewegung
Die Krankenhausbeschäftigten von Charité und Vivantes wollen dieses Jahr noch vor den Berliner Abgeordnetenhauswahlen sowohl einen Entlastungstarifvertrag für mehr Personal im Krankenhaus und bessere Patient*innenversorgung durchsetzen als auch gleichen Lohn für gleiche Arbeit durch den TVöD für alle. Dafür läuft seit Anfang 2021 die bisher größte Entlastungskampagne von Krankenhausbeschäftigten von ver.di. Lucy Redler sprach für sozialismus.info mit David Wetzel.
sozialismus.info: Am 12. Mai habt ihr – Kolleg*innen an elf Krankenhäusern von Charité und Vivantes – eure Forderungen an die Politik überreicht und ein 100 Tage Ultimatum gestartet. Worum geht es in dem Ultimatum inhaltlich genau und wodurch unterscheidet es sich von dem bisherigen Abschluss an der Charité von 2015, dem Tarifvertrag Gesundheitsschutz und Entlastung.
David: Am 12.5. haben wir ein erstes starkes Zeichen gesetzt und der Politik, aber auch den Klinkleitungen von Charité und Vivantes, eine Mehrheitspetition mit 8.397 Unterschriften übergeben, d.h. die Beschäftigten der beiden großen landeseigenen Kliniken in Berlin sind bereit für Veränderungen und bereit etwas dafür zu tun. Konkret fordern wir verbindliche Personalbesetzungen auf allen Stationen, einen Belastungsausgleich bei Unterschreitung dieser Besetzungen, bessere Rahmenbedingungen für die praktische Ausbildung und eine Bezahlung nach TVÖD bei den Vivantes-Tochterunternehmen.
Der Unterschied zum Abschluss an der Charité 2015 besteht zum einen im gemeinsamen Führen der Auseinandersetzung mit Vivantes, den konkreten Besetzungsvorgaben in allen Bereichen und vor allem durch die Forderung nach einem Ausgleich für jeden einzelnen Beschäftigten, wenn er/sie unterbesetzt gearbeitet hat.
sozialismus.info: Warum habt ihr das Ultimatum dieses Jahr gestartet?
David: Wir konnten mit Vivantes schon letztes Jahr in der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes gemeinsam kämpfen und haben da gemerkt: Neben besserer Bezahlung brennt den Kolleg*innen das Thema Entlastung nach wie vor unter den Nägeln. Da war schnell klar: Hier besteht Handlungsbedarf. Hinzu kommt die besondere Pandemie-Situation, in der viele Kolleg*innen über sich hinausgegangen sind und jetzt der Zeitpunkt ist, dass sich wirklich etwas ändert – ansonsten wird es auch hier in Berlin noch mehr Menschen aus den Berufen im Gesundheitswesen treiben.
Strategisch gesehen sind in diesem Jahr natürlich die Abgeordnetenhauswahlen in Berlin, und wir wollen von den Politiker*innen ja keine leere Versprechungen sondern endlich Taten sehen. Deswegen auch unser 100 Tage Ultimatum mit der klaren Ansage: Wir brauchen den Tarifvertrag Entlastung und die Bezahlung nach TVÖD noch vor den Wahlen im September.
sozialismus.info: Im Koalitionsvertrag der SPD-Grüne-LINKE Koalition von 2016 ist sowohl das Ziel des Abschlusses von Tarifverträgen für Landesunternehmen und ihre Tochterunternehmen mit Angleichung an den TVÖD zu finden (S. 141) als auch das Ziel, bessere Arbeitsbedingungen, angemessene Bezahlung und familienfreundliche Arbeitszeiten in den kommunalen Krankenhäusern umzusetzen (S. 168) Warum wurde das aus deiner Sicht nicht umgesetzt und wie positionieren sich in eurer Wahrnehmung die Parteien im Abgeordnetenhaus zu eurem Ultimatum?
David: Diese Punkte hätten definitiv umgesetzt werden müssen – keine Frage! Eigentlich bestätigt das Nicht-Umsetzen aber meinen Eindruck davon, dass es für wirkliche Verbesserungen immer den zeitgleichen Druck der Straße, den Druck der Beschäftigten braucht. Wir sehen das in Berlin ja gerade deutlich an der Deutsche Wohnen & Co. Enteignen Kampagne, bei der Auseinandersetzung der Gorillas-Beschäftigten und auch bei uns, den Beschäftigten in den Krankenhäusern. Diese Themen entfalten jetzt ja gerade diese Brisanz, weil wir in einem Wahljahr sind und wir der Politik Druck machen.
Die Reaktion auf das Ultimatum und unsere Forderungen sind unterschiedlich, bei der SPD und den Grünen sind sie sich in den Parteien selbst nicht immer 100% einig, wobei ich die Grünen noch am zurückhaltendsten wahrnehme. Die LINKE steht hinter den Forderungen und an unserer Seite und unterstützt uns aktiv, zum Beispiel beim Warnstreik der Tochter-Beschäftigten. Trotzdem sehe ich die LINKE auch in der Pflicht hier nicht nachzulassen.
sozialismus.info: Am 9. Juli wart ihr mit 600 Teamdelegierte von Charité und Vivantes bei einem beeindruckendem Krankenhausratschlag im Union-Stadion Alte Försterei, habt eure Forderungen diskutiert und Politiker*innen präsentiert und die zweite Phase des Ultimatums eingeleitet. Welche Rolle spielen die Teamdelegierten für den Kampf und wie hast du den Ratschlag erlebt?
David: Der 9. Juli war wirklich krass! Wir hatten vorher einen intensiven zweitägigen Austausch, also Teamdelegierte und Mitglieder der Tarifkommission. Wir haben uns da nach Fachrichtungen aufgeteilt und nochmals Besonderheiten der einzelnen Bereiche herausgearbeitet. Die Teamdelegierten sind deshalb so wichtig, weil sie die direkte Verbindung in die Teams herstellen, aber natürlich auch die Expert*innen ihrer eigenen Arbeitsbedingungen sind. Die Berliner Krankenhaus-Bewegung ist eine Bewegung der Basis, wir sind stark und wir sind viele.
Zurück zur Alten Försterei: Neben den Klinikbeschäftigten waren auch viele Unterstützer*innen da, z.B. Kolleg*innen aus anderen Krankenhäusern, die in den letzten Jahren in Sachen Entlastung gekämpft haben. Es war wirklich der ein oder andere Gänsehautmoment dabei und auch ein Signal wie Gewerkschaft 2021 funktioniert. Übrigens hat sich im Stadion auch die tausendste Kolleg*in gewerkschaftlich organisiert seitdem wir Anfang des Jahres losgelegt haben.
sozialismus.info: Am 20. August läuft das Ultimatum ab, am 19. August ist eine Großdemo vor dem Abgeordnetenhaus geplant. Wie können wir euch unterstützen? Was passiert, wenn der Senat das Ultimatum verstreichen lässt?
David: Auf jeden Fall am 19.8. zur Demo kommen (16Uhr Start Anhalter Bahnhof)! Klatschen war wirklich gestern, jetzt kann es für alle in Berlin nur heißen aktiv solidarisch handeln, es geht ja schlißlich auch um eine bessere Gesundheitsversorgung aller Berliner*innen. Vorher einfach nochmals bei social media gucken, man wird sich sicherlich anmelden müssen für die Demo. Weiterhin wird es am gleichen Wochenende ein Soli-Unterstützer*innen-Camp vor dem Urban Krankenhaus geben mit Workshops und Plakatieraktionen. Hierfür am besten das Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite auf Twitter besuchen.
Zum Ultimatum folgendes: Wir haben von Anfang an klar kommuniziert, passiert nichts bis zum Ende des Ultimatums werden wir streiken! Dazu sind wir nach wie vor fest entschlossen!