Einen Monat nach der Hochwasserkatastrophe stehen Tausende Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz. 183 Menschen verloren in Deutschland ihr Leben, 41 in Belgien. Viele Leben hätten gerettet werden können, wenn es Warnsysteme und einen ausfinanzierten Katastrophen- und Hochwasserschutz gegeben hätte.
Von Doreen Ullrich, Aachen
Jahrzehntelang wurden Flüsse begradigt, natürliche Rückhaltezonen versiegelt, in Hochwasserschutz zu wenig investiert. Obwohl für das stark betroffene Ahrtal bereits in den 1910er Jahren – nach einer damaligen Flut – Hochwasserrückhaltebecken im Gespräch waren, sind diese nie gebaut worden. Erst in den letzten Jahren begannen einige Kommunen, sich mit Fragen des Hochwasserschutz zu beschäftigen. Deutlich zeigte sich auch, wie unterfinanziert der Katastrophenschutz ist. In vielen Orten gibt es keine oder zu wenige Sirenen, alternative Warnmethoden wie Cell Broadcast waren nicht vorhanden. Dazu kommt die lückenhafte Ausrüstung der Rettungskräfte.
Noch Wetter oder schon Klima?
Für viele Menschen kam die Warnung zu spät, obwohl den Behörden die Warnungen Tage vorher vorlagen. So hatte der Deutsche Wetterdienst bereits zwei Tage vor der Katastrophe Behörden gewarnt. Die britische Hydrologin Hannah Cloke warf den deutschen Behörden „monumentales“ Versagen vor. Im Kreis Ahrweiler wurde trotz mehrerer Warnungen erst nach 23 Uhr der Katastrophenfall ausgelöst, deutlich zu spät. Hier braucht es eine unabhängige Untersuchungskommissionen mit Beteiligung von Betroffenen und Einsatzkräften.
Der Deutsche Wetterdienst findet bisher nicht ausreichend Belege für ein Zutun durch den Klimawandel, das sehen andere Klimatologen anders. Sie verweisen auf zwei Trends. Durch die Erwärmung der Luft könne diese mehr Wassermengen aufnehmen und dann wieder abregnen lassen. Außerdem würde die Erderwärmung dazu führen, dass der Jetstream, das globale Starkwindband, vorübergehend geschwächt wird und damit Wetterlagen länger an einem Ort verharren, damit würden schwere Unwetter wahrscheinlicher.
Immer wieder RWE
Der Konzern RWE ist durch die Fortsetzung des zerstörerischen Braunkohle-Abbaus einer der Treiber des Klimawandels, mit Segen der NRW-Landesregierung. Doch RWE ist nicht nur allgemein, sondern ganz konkret an der Flutkatastrophe beteiligt. Die Kiesgrube, die den Einsturz mehrerer Häuser in Erftstadt-Blessem verursacht hat, gehört den Rheinischen Baustoffwerken, einer RWE-Tochter. Der Kölner Stadtanzeiger stellte die Frage, inwieweit deren Ausbau vor einigen Jahren den Absturz begünstigt hat. Dies muss untersucht werden, transparent und mit Beteiligung von Betroffenen und Umweltverbänden. Der RWE-Braunkohle-Tagebau bei Inden wurde durch das Flüsschen Inde geflutet, das Kraftwerk Weisweiler, eine der schlimmsten Dreckschleudern Europas, musste die Kapazität reduzieren. Der taz-Autor Bernd Müllender verweist darauf, dass nicht nur der Tagebau dort, sondern auch die Gruben in Hambach und Garzweiler dazu geeignet wären, bei Hochwasser große Wassermengen aufzunehmen und somit bewohnte Gebiete zu entlasten. Doch RWE produzierte dort weiter und spendete eine lächerliche Million aus der Portokasse.
Wer soll das bezahlen ?
Für Privatpersonen sind sämtliche Verluste – Haus, Fahrzeuge, Gegenstände – komplett seitens des Staates zu ersetzen, insofern sie nicht durch Versicherungen abgedeckt werden. Wenn Versicherungen nicht sofort auszahlen, muss die öffentliche Hand in Vorleistung treten. Für Menschen, die nicht mehr direkt in Flussnähe leben möchten, müssen gleichwertige Wohnmöglichkeiten angeboten bzw. geschaffen werden. Kurzfristig muss allen Betroffenen die kostenlose Unterbringung in Hotels oder gleichwertigen Wohngelegenheiten angeboten werden, solange dies nötig ist. Das Land NRW sollte sich dieses Geld von RWE und anderen Konzernen holen, die für die Situation mitverantwortlich sind. RWE hat für den Kohleabbau viele Dörfer räumen lassen, in einigen Häusern sind jetzt Flutopfer eingezogen. Keines der Dörfer darf abgerissen werden!
Der Wiederaufbau muss sich auch an Umweltschutz und Hochwasserschutz orientieren. Einfach alles wieder aufzubauen, bedeutet die nächste Katastrophe vorzubereiten. Die Region muss umgebaut werden. Neben Ausgleichsflächen und Entwässerungssystemen muss auch neu überlegt werden, wo welche Häuser gebaut werden, damit wir uns auf den Klimawandel einstellen können. Die Städte müssen grüner werden, Luftschneisen geschaffen werden. Häuser entlang der Flüsse müssen in sicheren Lagen gebaut werden. Der Hausbau kann nicht privaten Investor*innen überlassen werden, sondern muss durch die öffentliche Hand erfolgen – planvoll, zu günstigen Preisen und unter Mitbestimmung der künftigen Bewohner*innen.
Bild: Martin Seifert. The original uploader was CnndrBrbr at German Wikipedia., Hochwasser in Altenahr Altenburg, CC0 1.0