Neuköllner LINKE bei Berliner Wahlen über Landesdurchschnitt
Das spannendste Ergebnis des Berliner Wahlabends war nicht, ob Giffey (SPD) oder Jarrasch (Grüne) Berliner Bürgermeisterin werden, sondern die Frage, ob der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ eine Mehrheit erlangt. Mit 56,4 Prozent Zustimmung fuhr die wichtigste Kampagne seit Jahren einen erdrutschartigen Erfolg ein! 10 der 12 Berliner Bezirke stimmten mehrheitlich dafür. Jede zukünftige Berliner Regierung wird unter erheblichen Druck der Mieter*innenbewegung und dieser Kampagne stehen.
Von Lucy Redler, Berlin
Während der Bundestagswahlkampf inhaltsleer dahin mäanderte, war der Berliner Wahlkampf durch die Vergesellschaftungskampagne (DW enteignen) und die Streiks der Berliner Krankenhausbewegung bei Charité und Vivantes geprägt. Selten haben zwei zentrale Kampagnen kandidierende Spitzenpolitiker*innen so unter Druck gesetzt, Farbe zu bekennen, wie DW enteignen und die Berliner Krankenhausbewegung.
Der Kampf um die Umsetzung beginnt
Der Erfolg der DW-Kampagne wurde von Tausenden Aktivist*innen erstritten und muss nun gegen die Immobilienlobby und ihre Freund*innen in CDU, AfD, FDP, SPD und Grüne durchgesetzt werden. Franziska Giffey, designierte neue Regierende Bürgermeisterin, hat schon vor der Wahl mitgeteilt, dass sie nicht daran denkt, den Volksentscheid umzusetzen. Auch die Grünen wollen lieber einen Runden Tisch mit den Immobilienkonzernen und sie freundlich bitten, jetzt doch netter zu Mieter*innen zu sein. Sie werden versuchen, die Enteignung juristisch und politisch zu verhindern. Eine breit angelegte strategische Diskussion über die nächsten Schritte der Kampagne (stadtpolitische Konferenz, nächste Demotermine, „Besuche“ bei Regierungsparteien) sind jetzt nötig.
Berliner Krankenhausbewegung weiter unterstützen
DIE LINKE, die Linke und die Gewerkschaftsbewegung Berlins haben außerdem die Pflicht, ihre Anstrengungen zu erhöhen und die Streikenden bei Charité und Vivantes mit voller Kraft weiter zu unterstützen. Bisher konnten keine Tarifabschlüsse für TVöD für Alle und Entlastung durchgesetzt werden und es wird nach den Wahlen nicht einfacher, sondern schwieriger. Der erste Termin der neu gewählten Abgeordneten der LINKEN sollte daher kein Sondierungstreffen mit SPD und Grünen sein, sondern ein Besuch der Streiklokale der Kolleg*innen.
Berliner Wahlergebnis
Das Beste am Ergebnis der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2021 ist, dass die AfD von über 14 Prozent in 2016 auf 8 Prozent gesunken ist. Das ist noch viel zu viel, aber ein Erfolg der antifaschistischen Bewegung. Ansonsten hat sich nicht viel verändert: Die Grünen haben 3,7 Prozentpunkte hinzugewonnen, etliche Kleinstparteien haben insgesamt nochmal zugelegt (auf über 12 Prozent), DIE LINKE hat erneut aus der Regierung heraus leicht verloren (minus 1,6 Prozent), bei CDU und SPD gibt es prozentual so gut wie keine Veränderungen. Ein Faktor für die von 67 auf 76% gestiegene Wahlbeteiligung war sicherlich auch die mobilisierende Wirkung des Volksentscheids.
Ernüchterndes Ergebnis der LINKEN
Der fantastische Erfolg des Volksentscheids spiegelt sich damit nicht in guten Ergebnissen für DIE LINKE wieder, die sich als einzige Partei klar für den Volksentscheid ausgesprochen hatte. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen schöpft DIE LINKE ihr Potential nicht aus, weil sie aufgrund ihres Wunsches, wieder an der Regierung beteiligt zu werden, darauf verzichtet, SPD und Grüne politisch anzugreifen. Welch Steilvorlage war es für die LINKE, als Giffey vor den Wahlen erklärte, sie werde den Volksentscheid nicht umsetzen! DIE LINKE hätte an dieser Frage den Fortbestand der Koalition in Frage stellen müssen, nach dem Motto: „Wenn die Spitzenpolitikerin der SPD ankündigt, den Willen von einer Million Menschen nicht umzusetzen, sagen wir: Nicht mit uns!“ Stattdessen verkündeten Spitzenpolitiker*innen der LINKEN, Giffeys Aussagen seien nur Wahlkampfgetöse.
Eine ähnliche Zuspitzung war (und ist) bei den Krankenhausstreiks möglich. Es ist super, dass viele Kandidat*innen der LINKEN bei den Streiks waren. Die Wahrheit ist, dass das Land Berlin ausreichend Geld für die landeseigenen Krankenhäuser bereitstellen könnte: Die SPD hat zwei Mitglieder im Aufsichtsrat von Vivantes und per Gesellschafteranweisung könnten die Forderungen erfüllt werden. Wer, wenn nicht DIE LINKE, müsste darauf hinweisen, dass die SPD soziale Forderungen plakatiert und gleichzeitig höhere Löhne für die Beschäftigten bei der Vivantes Tochter verhindert?
Wenn sich DIE LINKE nicht ausreichend von SPD und Grünen abhebt, verwundert es auch nicht, wenn viele Wähler*innen, die Sympathien mit der LINKEN haben, diesmal in Berlin aus taktischen Gründen die Grünen gewählt haben, um Franziska Giffey als Bürgermeisterin zu verhindern.
Zum anderen setzt sich der Abwärtstrend der LINKEN im Osten Berlins (mit einigen Ausnahmen) fort: In Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick verlor DIE LINKE erheblich an Stimmen. Am meisten Zweitstimmen gewann DIE LINKE dort hinzu, wo es den kämpferischsten Bezirksverband gibt: In Neukölln.
Antikapitalistischer Wahlkampf in Neukölln
Mit Hunderten Aktiven im Wahlkampf und einer klaren antikapitalistischen, auf Bewegungen orientierten Ausrichtung hat DIE LINKE in Gesamtneukölln gegen den Trend im Bund und in Berlin bei den Erststimmen um 2,7 Prozent und bei den Zweitstimmen um 0,8 Prozent zugelegt. Sie liegt damit zum ersten Mal bei einer Wahl über dem Durchschnitt des Ergebnisses der Partei in Gesamtberlin. Die Kandidatin der LINKEN im Wahlkreis 2 – Jorinde Schulz – gewann mit über 30 Prozent Zustimmung zwar nicht das Direktmandat, erzielte aber das beste Erststimmenergebnis der LINKEN in Berlin. Die Autorin dieses Artikels kandidierte im Neuköllner Wahlkreis 1 auf der Grundlage eines antikapitalistischen, oppositionellen Wahlkampfs und konnte mit 26,6 Prozent der Erststimmen (plus 7,4 Prozent) ebenfalls ein hervorragendes Ergebnis erzielen, das viertbeste der LINKEN Berlins (aber das Direktmandat nicht gewinnen). Ein ähnlich gutes Ergebnis gab es im dritten Nordneuköllner Wahlkreis.
Immer wieder wird gesagt, die Wähler*innen wählen uns nur, wenn wir uns deutlich für Rot-Rot-Grün aussprechen. Wenn wir nach Neukölln blicken, trifft diese Aussage nicht zu. Hier gelang es mit einem kämpferischen, zuspitzenden Wahlkampf, die eigene Mitgliedschaft zu begeistern und zu mobilisieren – etwas, was der LINKEN auch bei den Bundestagswahlen in der Breite nicht gelang.
Auf die Erfolge in Neukölln gilt es jetzt aufzubauen, mehr Mitglieder zu gewinnen und die Bewegungen für Enteignung der Immobilienkonzerne und der Berliner Krankenhausgesellschaft mit neuem Elan zu unterstützen. Und in fünf Jahren dann direkt aus Neukölln für sozialistische Politik ins Abgeordnetenhaus einzuziehen.
Lucy Redler kandidierte für DIE LINKE im Neuköllner Wahlkreis als Direktkandidatin. Sie ist Mitglied der LINKEN, der AKL und der SAV.