Derzeit formiert sich im rheinischen Braunkohlerevier der Widerstand, um ein kleines Dorf mit nur einem letzten Bauernhof und zwei Mietshäusern zu erhalten. Lützerath soll laut RWE noch diesen Herbst abgerissen werden, um den Tagebau Garzweiler 2 planmäßig fortführen zu können.
Von Chris Little, Köln
Durch den Braunkohleabbau wurden seit dem zweiten Weltkrieg 300 Ortschaften in Ost- und Westdeutschland zerstört – 130 davon im Rheinland mit 45.000 Einwohner*innen. Bis 2038 sollen noch sechs weitere Dörfer weggebaggert werden.
Für Lützerath greift am 1. November die sogenannte vorzeitige Besitzeinweisung, also eine Enteignung nach Bergrecht, durch die RWE über das Grundstück verfügen kann. Dabei steht noch ein Gerichtsverfahren am 17. Dezember an, bei dem erst über die Rechtmäßigkeit der Enteignung entschieden wird. Es ist der erklärte Plan von RWE, hier Fakten zu schaffen, bevor der Konzern gerichtlich daran gehindert werden kann.
Um gegen dieses Unrecht vorzugehen, wohnen seit über einem Jahr Aktivist*innen in Lützerath. Nachdem im Herbst 2020 im Schatten der Pandemie die Landstraße nach Keyenberg sowie die eine Hälfte des Dorfes abgerissen worden waren, wurde eine Mahnwache errichtet, die seitdem durchgehend besetzt ist und Besucher*innen über die Situation vor Ort informiert. Im Rahmen der “Kultur ohne Kohle” (KuloKo) im August 2021, einem Festival in allen von Garzweiler 2 bedrohten Dörfern, sowie des Klimacamps in Lützerath, wurde die “ZAD Rheinland” ausgerufen. Damit beziehen sich die Aktivist*innen in Lützerath auf die “Zone À Défendre” in Notre-Dames-des-Landes, durch die der Bau eines Flughafens verhindert werden konnte. Seither wächst die Zahl an Baumhäusern und dauerhaften Bewohner*innen in Lützerath und der Ort bereitet sich auf den 1. November vor, wo / an dem die Räumung durch die Polizei erwartet wird.
Die 1,5 Grad-Grenze verläuft in Lützerath!
Es geht allerdings um mehr als darum, einen Ort mit knapp zehn gemeldeten Einwohner*innen zu retten: Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung können bundesweit noch 200 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen werden, um im Rahmen des Pariser Klimaschutzziels von 1,5 Grad Erderwärmung zu bleiben. Sollte der Tagebaubetrieb aber gemäß der Leitentscheidung des Landes NRW weiter laufen, dann würden 780 Millionen Tonnen ausgestoßen. In Lützerath wird also auch dieses internationale Klimaziel verteidigt.
Die Tagebaugebiete im Rheinland gehören als größte CO2-Quelle Europas zu den Wurzeln der Klimakrise. Als Teil des internationalen Kampfes um Klimagerechtigkeit finden hier seit 2010 regelmäßig Klimacamps statt. Über die Jahre wurden Formen des Widerstands erprobt, von der Blockade der Zugschienen, auf denen Kohle zu den Kraftwerken transportiert wird, bis zur Besetzung von Tagebauen und Kohlebaggern. Aus diesen Erfahrungen erwuchs im Jahr 2015 die erste Aktion von “Ende Gelände” mit über 1000 Teilnehmer*innen aus Deutschland sowie einigen Nachbarländern. 2019, als die Kampagne längst zu einem Bündnis mit vielen organisierten Ortsgruppen in verschiedenen Städten Deutschlands angewachsen war, konnten gut 6000 Aktivist*innen den Tagebaubetrieb für mehrere Tage stoppen. Orte wie Borschemich und Immerath, aber auch die alte A61 existieren heute trotz dieser Aktionen nicht mehr. Die auch “Heimatzerstörer” genannten Bagger fressen weiterhin Löcher durch die Landschaft und stehen nun kurz vor Lützerath.
Lützerath unräumbar machen!
Anders als die Jahre zuvor soll deshalb nicht bloß der Tagebaubetrieb kurzzeitig gestoppt, sondern seine Ausweitung komplett verhindert werden. Mit vielen Menschen vor Ort kann hier nach dem Erhalt vom Hambacher Wald der nächste Sieg für die Bewegung errungen werden. An diesem Kampf teilzunehmen ist auch die Aufgabe von Sozialist*innen. Denn gerade im Rheinland werden die katastrophalen Auswirkungen kapitalistischer Profitlogik immer wieder deutlich. Gleichzeitig geben die Klima-Aktivist*innen in ihrem solidarischen Kampf eine Idee davon, wie ein besseres Leben jenseits dieser Logik aussehen kann.
Das bundesweite Bündnis “Ende Gelände” mobilisiert für den Zeitraum vom 29. Oktober bis 1. November zum “Unräumbar Festival”. Am Sonntag, 31. Oktober um 12 Uhr findet in Lützerath eine Großdemonstration statt. Shuttles von umliegenden Bahnhöfen werden angeboten. Fridays for Future organisiert eine gemeinsame Anfahrt von Köln Hbf nach Hochneukirch um 9:15 Uhr.
Bild: Dietmar Rabich, Jüchen, Braunkohletagebau Garzweiler, Blick vom Aussichtspunkt Jackerath — 2021 — 5655, CC BY-SA 4.0