Die Gewerkschaften fordern in der Tarifrunde für die Beschäftigten der Länder 5% mehr Lohn. Vor der Verhandlungsrunde Anfang November haben erste Warnstreiks stattgefunden. In Hessen ist die Tarifauseinandersetzung schon vorbei – mit einem eher bescheidenen Ergebnis.
Von Thies Wilkening, Hamburg
Obwohl sich nach den Anstrengungen während der Pandemie viele Kolleg*innen nach „Normalität“ sehnen und angesichts von Personalmangel und Überlastung in vielen Bereichen die Löhne nicht als das größte Problem wahrgenommen werden, sind viele durchaus streikbereit. Beim ersten Warnstreik in Hamburg am 27. Oktober hatten die Gewerkschaften nur mit 500 Teilnehmer*innen geplant, aber mehr als 1500 Kolleg*innen haben gestreikt.
Ein Redner der GEW berichtete, dass ursprünglich nur ein kleiner Teil der Mitglieder in begrenzten Bereichen zum Streik aufgerufen werden sollte, aber immer wieder Kolleg*innen in der Geschäftsstelle anriefen und forderten, streiken zu dürfen. Ob eine noch stärkere Beteiligung möglich gewesen wäre, wenn die Kolleg*innen von Anfang an mit aufgerufen worden wären? Auf der Streikdemo war die Stimmung kämpferisch, auch dank einem großen und lauten Block von studentischen Beschäftigten an verschiedenen Hochschulen, die bisher unter prekären Bedingungen arbeiten und einen Tarifvertrag fordern.
In Redebeiträgen wurde die Solidarität zwischen den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes betont, von Schulhausmeister*innen bis zu Krankenpfleger*innen in Unikliniken, von Schleusenwärter*innen bis zu Lehrer*innen. Verschiedene Redner*innen machten deutlich, dass der Warnstreik nur der Anfang der Tarifrunde sein könnte und dass nach der zweiten Verhandlungsrunde Anfang November größere Streiks folgen würden. Größere Streiks und mehr Druck auf die Arbeitgeber wären tatsächlich nötig.
Tarifabschluss in Hessen: Kein gutes Vorbild
In Hessen gilt mit dem TV-H ein eigener Tarifvertrag für die Landesbeschäftigten, der einen Monat vor dem TV-L ablief. Mitte Oktober kam es zu einer Einigung. Der hessische Abschluss sieht bis August 2022 keine Lohnerhöhung vor. Stattdessen soll es in zwei Schritten insgesamt 1000 Euro steuer- und abgabenfreie Corona-Sonderzahlungen geben. Später werden die Löhne dann um 2,2% und im August 2023 noch einmal um 1,8% angehoben, bei einer Laufzeit von insgesamt 28 Monaten.
Die Einmalzahlungen, von denen alle Entgeltgruppen gleichermaßen profitieren und bei denen brutto gleich netto ist könnten auf den ersten Blick attraktiv wirken. Sie sind aber nicht tabellenwirksam und fließen nicht in die Verhandlungen 2024 ein. Tabellenwirksam sind nur die 4% auf 28 Monate. Auf ein Jahr gerechnet sind das 1,7%, ein Drittel der ursprünglichen Forderung und deutlich unter der Preissteigerungsrate. Der Reallohnverlust ist damit für die gesamte Laufzeit festgeschrieben.
Die Sonderzahlungen dämpfen das nur minimal ab. Selbst wenn man sie mit hinein rechnet, betragen die Erhöhungen für die gesamte Laufzeit zwischen 4,5% (1,9% auf ein Jahr) für die Beschäftigten in den obersten Entgeltgruppen und 5,8% (2,6% auf ein Jahr) für die niedrig entlohnten Kolleg*innen. Selbst inklusive der Sonderzahlungen wurde auch für die unteren Entgeltgruppen nicht einmal die Hälfte der Forderungen erreicht
Dass der Abschluss nicht zum Protest der Gewerkschaftsmitglieder führt, zeigt wie niedrig die Erwartungshaltung war. Aber wenn die Inflation in den nächsten zwei Jahren spürbar wird, kann die Unzufriedenheit wachsen.
Streiks ausweiten
Die Gewerkschaften sollten sich nicht auf ein Angebot nach dem Vorbild des TV-H einlassen, sondern angesichts der gestiegenen Inflationsrate an der Forderung nach 5% mehr Lohn bzw. mindestens 150 Euro festhalten. Alles andere bedeutet, Lohnverlust zu akzeptieren, erst recht wenn die Laufzeit zwei Jahre oder länger beträgt. Damit die Forderung durchgesetzt werden kann, braucht es die Beteiligung aller Kolleg*innen an den Warnstreiks. Kolleg*innen, die noch nicht Mitglied ihrer Gewerkschaften sind, sollten es werden – und die Gewerkschaften müssen sie dann auch zum Streik aufrufen