Ampel-Koalition will wenig verändern
SPD, Grüne und FDP wollen als „Ampelkoalition“ eine gemeinsame Regierung bilden und beginnen die konkreten Verhandlungen darüber. Die 12-seitige Vereinbarung zeigt: Die Wahlversprechen von SPD und Grünen, soziale Verbesserungen zugunsten von Arbeiter*innen und Erwerbslosen durchzusetzen und radikalen Klimaschutz durchzusetzen, sind bereits vom Tisch.
von Marcus Hesse, Aachen
Das Programm, auf das man sich geeinigt hat, sieht keine Steuererhöhungen für Reiche und Konzerne vor, dafür aber ein Bekenntnis zur Schuldenbremse. Einen Mietendeckel wird es nicht geben – man setzt ganz im Sinne von Lindners FDP auf den Markt. Der Mindestlohn soll auf 12 Euro angehoben werden. Nun ist das immer noch viel zu wenig, und was es mehr gibt, frisst die Inflation auf. Zudem kommt das Bündnis damit nur der Umsetzung der EU-Richtlinie zuvor, welche diese Erhöhung verlangt. Manches hört sich nur auf den ersten Blick gut an: So soll die Verdienstgrenze bei geringfügigen Beschäftigungen erhöht werden. Doch de facto ist das ein Geschenk an die Unternehmer und eine Ausweitung des Niedriglohnsektors.
Das Rentenalter wird zwar nicht angehoben, doch die gesetzliche Rentenversicherung soll in die Kapitaldeckung einsteigen, die private Altersvorsorge über private Anlageprodukte reformiert werden. Damit werden die Beiträge der Beschäftigten noch stärker zur profitablen Spekulation von Finanzkonzernen genutzt.
Die Ausweitung der Tageshöchstarbeitszeit wird zwar vorsichtig formuliert, doch klar ist, dass hier ein Einstieg in die Erhöhung der Arbeitszeit gesucht wird, während eine Verkürzung der Arbeitszeit für alle – bei vollem Lohnausgleich – dringend geboten wäre.
„Gute Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne“ in der Pflege werden nicht definiert, aber am System der Fallpauschalen (DRG), welches den Wettbewerb der Kliniken und deren Unterfinanzierung verstärkt, soll festgehalten werden.
Viel Aufhebens wurde um die „Überwindung von Hartz 4“ gemacht. Doch man einigte sich letztlich auf eine Umbenennung des Ganzen in „Bürgergeld“. Dieser Begriff stammt aus dem Parteiprogramm der FDP. Das Verfahren soll „vereinfacht“ und „entbürokratisiert“ werden. Aber mehr Geld für die Betroffenen wird es wohl nicht geben. Auch Sanktionen sollen nicht wegfallen. Es ist der alte neoliberale Wein in neuen Schläuchen. Wer arm ist wird arm bleiben und wer reich ist bleibt reich. Der Alt-Grüne Hans-Christian Ströbele twitterte: „Lindners Porsche ist nicht zu bremsen … Mit einer gerechten Welt wird es wohl nix“. Doch mit dieser Kritik ist er in seiner Partei ziemlich allein. Der Länderrat der Grünen hat fast einstimmig für die Koalitionsverhandlungen und das Sondierungspapier gestimmt. Grünen-Boss Habeck drückt aus, was fast alle in seiner Partei denken: „Wir sind in einer Hoffnungszeit angekommen. Wir haben die Chance, die Wirklichkeit zu gestalten.“
Klimaschutz kann warten, Abschiebungen gehen klar…
Die Grünen wurden vor allem für mehr konsequenten Klimaschutz gewählt. Doch das Sondierungspapier erweist sich gerade bei diesem Punkt nicht als großer Wurf. Zwar wird der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien zum Ziel erklärt und „geeignete Dachflächen sollen für die Solarenergie“ genutzt werden, aber eine Wende in der Industrie und beim Verkehr soll es nicht geben, stattdessen werden im FDP-Stil die Marktmechanismen beschworen: „Wir müssen die Klimakrise gemeinsam bewältigen. Darin liegen auch große Chancen für unser Land und den Industriestandort Deutschland: Neue Geschäftsmodelle und Technologien können klimaneutralen Wohlstand und gute Arbeit schaffen.“ Das Geld für das „Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen“ soll nicht der Staat bereitstellen, dafür soll privates Kapital mobilisiert werden.
Der Kohleausstieg soll „idealerweise“ bis 2030 erfolgen. Die Grünen sind gut darin, diese „Idealbedingungen“ für nicht existent zu erklären. In NRW stimmten sie der Erweiterung des Tagebaus Hambach zu. In Baden-Württemberg koalieren sie mit der CDU und machen Politik für die Autolobby. Auch sonst wird die Ampel dafür sorgen, dass Maßnahmen zum Klimaschutz nicht zu Lasten der Profite gehen. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrswesens wird nicht einmal erwähnt, gefördert werden soll vor allem der elektrische Individualverkehr.
Gerade die Grünen werden auch wegen ihres antirassistischen Images gewählt. Doch an der restriktiven Asylpolitik soll nicht gerüttelt werden. Man will nur gemeinsam für schnellere Asylverfahren sorgen, inklusive schnellerer „Rückführungen“. Überall, wo sie mitregieren, lassen Grüne abschieben. Unter der Ampel-Koalition soll das schneller gehen.
Grüne und FDP
Während die SPD die große Farblose ist, die alle vier Jahre mal vor Wahlen Interessenvertretung für Arbeitnehmer*innen spielt, haben die Grünen in den letzten Jahren große Umfrageerfolge gefeiert. Bei der Wahl blieb die Partei unter dem zeitweisen Höhenflug, konnte aber ein dennoch gutes Ergebnis verzeichnen. Obwohl die Grünen in vielen Bundesländern Regierungspartei sind und stets prokapitalistisch agiert haben, konnten sich erfolgreich als Partei für Umwelt- und Klimaschutz verkaufen und gerade bei jungen Wähler*innen punkten. Medial wurde ein Lagerwahlkampf konstruiert, mit den Grünen als großem Gegengewicht zur „Weiter So“-Fraktion aus CDU/CSU und FDP.
Tatsächlich aber sind sich Grüne und FDP bezogen auf ihre soziale Basis sehr ähnlich. Sowohl in ihrer Mitgliedschaft als auch in ihrer Wähler*innenschaft ist der Anteil von materiell besser situierten Menschen groß. Studien belegen, dass die Grünen im Durchschnitt noch reichere Mitglieder und Stammwähler*innen haben als die FDP.
Auf den ersten Blick ist das Wahlprogramm der Grünen, mit dem sie nun in Koalitionsverhandlungen gehen, mittig links: So fordern die Grünen höhere Mindestlöhne, eine weniger restriktive Asylpolitik und mehr Steuern für Reiche. Sie präsentieren sich gern auch als antirassistisch, obwohl sie als Regierungspartei in vielen Ländern abschieben lassen. Angesichts des “Wagenknecht-Faktors” konnten sie hier der LINKEN den Rang ablaufen.Die sozialen Forderungen lassen die Grünen meist sehr schnell fallen, wenn es um die Chance auf eine Regierungsbeteiligung geht. Und da sind die Grünen ohnehin nicht wählerisch: Ob SPD, FDP, LINKE oder CDU. Die Grünen können gut mit allen. Nur von der LINKEN hat sich Baerbock im Wahlkampf explizit distanziert – wegen ihrer Haltung zu Kriegseinsätzen und Militär.
Im Kern sind FDP und Grüne liberale und bürgerliche Parteien, die fest auf dem Boden des Kapitalismus stehen. Nur wollen die einen den Kapitalismus etwas sozial abfedern und ökologisch umbauen, während den anderen das weitgehend egal ist und sie glauben, dass der Markt fast alles von selbst regelt. Aber am Ende kann man gut zusammenfinden.
Was steht uns bevor?
16 Jahre Merkel und 12 Jahre davon GroKo waren eine Zeit der relativen Ruhe und des Stillstands. Dass jetzt eine Dreierkoalition regieren wird, ist an sich ein Zeichen für die Schwäche der Parteien. Aber das Kapital erwartet eine schnelle Regierungsbildung. Durch die Corona-Pandemie hat der Staat Milliarden locker gemacht. Er wird sich das Geld zurückholen wollen. SPD, Grüne und FDP haben jetzt schon festgelegt, dass die Reichen keinen Cent davon bezahlen müssen. Ob die neue Regierung eine Welle der sozialen Angriffe fahren wird oder eher auf Abfederung der Folgen aus sein wird, ist offen. Unter der herrschenden Klasse und bürgerlichen Wirtschaftsexpert*innen herrscht Uneinigkeit über den einzuschlagenden Kurs. Die neue Koalition wird dem Rechnung tragen und balancieren. Deutlich und klar ist das Bekenntnis aller zur Schuldenbremse und zur Ablehnung von Umverteilung von oben nach unten.
Die Grünen an der Regierung bieten ein gutes Feigenblatt für ökologisch verbrämte Abwälzung von materiellen Lasten auf die Masse der Bevölkerung durch höhere Verbraucherpreise. Die Mindestlohnerhöhung und das Wahlrecht ab 16 geben etwas Süße zu sonst eher bitterer politischer Kost.
Das vermeintlich kleinere Übel Scholz wird sich als Kanzler schnell als ganz normales Übel für die Masse der Bevölkerung erweisen. Dies bietet Chancen für die politische Linke und die arg geschwächte Partei DIE LINKE, sich als wirkliche Alternative zu beweisen. Dies aber wird ihr nur mit einer radikalen bewegungsorientierten, antikapitalistischen und kämpferischen Politik gelingen.