Der COP26 in Glasgow läuft noch bis zum 12. November, die Abschlusserklärung liegt noch nicht vor. Doch neue Klimaziele wurden schon in den ersten Tagen des Gipfels verkündet, vor der Abreise der Staats- und Regierungschefs am 3. November. Dabei handelt es sich um unverbindliche Zusagen und Versprechungen. Viele Regierungen versuchen mit neuen Ankündigungen davon abzulenken, dass sie die bisher geltenden Ziele nicht eingehalten haben. In drei Bereichen wurden neue globale Ziele verkündet: Verzicht auf Entwaldung ab 2030, Reduktion der Methanemissionen um 30% bis 2030 und Kohleausstieg.
Von Claus Ludwig, Köln und Thies Wilkening, Hamburg
Die Verpflichtung zum Kohleausstieg wurde von den Organisator*innen des Gipfels und vor allem von der britischen Regierung als riesiger Erfolg des Gipfels verkauft. Zunächst wurde über „190 Unterzeichner“ berichtet und damit angedeutet, dass fast alle Staaten der Erde ihre Kohlekraftwerke stilllegen würden – die industrialisierten Staaten in den 2030ern, die anderen im darauffolgenden Jahrzehnt – bevor sich herausstellte dass ein großer Teil der Unterzeichnenden keine Regierungen, sondern Banken und andere Unternehmen sind und dass viele Regierungen nur bereits früher gemachte Versprechungen wiederholen. Nur 18 Staaten haben tatsächlich neue Zusagen zum Kohleausstieg gemacht. Unter ihnen hat Polen den höchsten Verbrauch an Kohle – und will seine Kohlekraftwerke erklärtermaßen bis mindestens 2040 weiter betreiben, denn die Regierung betrachtet Polen als „Entwicklungsland“. Andere Staaten die am COP26 teilgenommen haben, unter anderem Australien, sagen offen, dass sie an der Kohle unbegrenzt festhalten wollen.
Waldschutz … später
Das neue Abkommen zum Waldschutz wurde von über 100 Staaten unterzeichnet, die zusammen 85% der Waldflächen der Erde besitzen. Mit der Zielsetzung, die Rodung von Wäldern bis 2030 zu beenden, entspricht es der „New York Declaration on Forests“, auf die sich 40 Staaten schon 2014 geeinigt hatten – ohne erkennbare Folgen, so der Umweltwissenschaftler Simon Lewis. Dabei sollte schon in den vergangenen sieben Jahren das Tempo der Waldzerstörung halbiert werden. Die Glaubwürdigkeit der beteiligten Regierungen hält sich auch dieses Mal in Grenzen. So hat der reaktionäre brasilianische Präsident Bolsonaro Auflagen zum Schutz des Regenwaldes gelockert oder abgeschafft. In den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit ist die pro Jahr gerodete Fläche um 50% gewachsen. In Indonesien hat die Umweltministerin wenige Tage nach dem Abkommen klargestellt, dass ihre Regierung nicht vor hat, sich daran zu halten, denn „Die massive Entwicklung in der Ära des Präsidenten Jokowi darf nicht wegen der CO2-Emissionen oder des Waldschutzes aufgehalten werden.“, Projekte wie etwa der Bau neuer Straßen durch Waldgebiete würden nicht gestoppt. Es ist also absehbar, dass hier ein weiteres leeres Versprechen abgegeben wurde, dass der Imagepflege der beteiligten Regierungen dient.
Nach uns die Sintflut?
Die meisten beim Gipfel abgegebenen Zusagen beziehen sich auf den Zeitraum ab 2030. Maßnahmen werden also für eine Zeit angekündigt, in der ein großer Teil der heutigen Regierungschefs, Minister*innen und Konzernchefs nicht mehr im Amt sein werden, so dass die Umsetzung sie selbst nicht mehr betreffen würde. In einer Prognose, die sich auf die Effekte der relativ wenigen kurzfristigen Zusagen bezieht, rechnen Expert*innen von „Climate Action Tracker“ damit, dass sie die globale Erwärmung bis 2100 lediglich auf 2,4 Grad begrenzen würden. Es wird also in der nächsten Zeit deutlich zu wenig getan, selbst wenn die Versprechen von Glasgow eingehalten würden.
„Nach mir die Sintflut ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation“, schrieb Karl Marx im Kapital. Im Kapitalismus ist die Rolle der Herrschenden, ihre Profite zu verteidigen und nach immer neuen Profitmöglichkeiten zu suchen, auf Kosten der Umwelt und der Mehrheit der Menschen. Diese Erkenntnis setzt sich in Teilen der Klimabewegung langsam durch, die meisten Aktiven ziehen daraus aber noch nicht die nötigen programmatischen Konsequenzen.
Gretas Grenzen
Dass COP26 keine Lösungen bringt, war vielen schon vorher klar. 100.000 Menschen trotzten daher am 7. November Wind und Regen in Glasgow und nahmen an der Demonstration teil. Schon am Tag zuvor waren bei einer Demo von Fridays for Future 20.000 überwiegend junge Menschen durch die schottische Metropole marschiert.
Am Freitag war die schwedische Aktivistin Greta Thunberg die Hauptrednerin. Sie verwies auf die Heuchelei der Herrschenden und bezeichnete den COP-Gipfel als “Greenwashing-Show des globalen Nordens”. Sie kündigte an, den Dialog mit den Mächtigen zu verweigern und betonte, dass nur Druck von unten zu Ergebnissen führen kann. Damit drückt sie die Stimmung weiter Teile der Klimabewegung aus.
Allerdings macht Greta Thunberg immer dann Halt, wenn die Frage aufkommt, wie wir das erreichen, wie wir mehr machen können als nur zu appellieren. Sie geht nicht darauf ein, warum die Herrschenden trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnis nicht willens oder nicht in der Lage sind, wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Würde sie an diesem Punkt weiter gehen, müsste sie über Kapitalismus und mögliche Alternativen sprechen und darüber, welche gesellschaftliche Klasse die Probleme lösen kann.
Die Systemfrage schwebte über ihrer Rede bei der Demonstration von Fridays for Future am 5. November, aber Greta sprach sie nicht an. Das scheint derzeit ihre politische Grenze zu sein. Gleichzeitig ist diese Zurückhaltung ein Faktor, der die Teile in der Bewegung hält, die an einen ökologisch reformierten Kapitalismus glauben wie viele NGO, Umweltverbände oder Anhänger*innen und Aktive der Grünen.
Kurz vor Greta hatte Amy Ferguson, Gewerkschafterin aus Belfast, Nordirland, und Mitglied der International Socialist Alternative (ISA), gesprochen. Ihre Rede ließ an Klarheit nichts vermissen. Amy bekam großen Applaus für ihre Konkretisierung der antikapitalistischen Perspektive. Sie verwies darauf, dass Klimawende und Jobs nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern dass die nachhaltige Umgestaltung der Produktion Millionen neue Arbeitsplätze nötig macht. Besonders gut kam ihr Statement an, dass die Arbeiter*innen selbst die Produktion und die gesamte Gesellschaft umwälzen können, um eine demokratische geplante Wirtschaft, basierend auf den Bedürfnissen der Menschen und auf der Grundlage von erneuerbaren Energien aufzubauen. Amy verwies auf den Kampf bei der Belfaster Werft Harland & Wolff 2019, als die Kolleg*innen die Schließung verhindern und eine Umstellung der Produktion in Richtung Windenergie durchsetzen.
Antikapitalistische Stimmung
Auch auf deutschen Klima-Demos gibt es viel Zustimmung dazu, dass die Kapitalist*innen das Ruder nicht herumreißen werden und dieses System mit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise nicht vereinbar ist. Doch in Glasgow war die Resonanz gerade bei Jugendlichen und Schüler*innen schlicht überwältigend. Die meisten stimmten unserem Slogan “Capitalism is killing the planet” spontan zu. Die Frage in den Diskussionen war selten die Analyse, diese drehten sich oft um die Frage, wie wir den Kapitalismus abschaffen können, welche Schritte jetzt zu ergreifen wären.
Die ISA tritt dafür ein, die Klimabewegung mit der Arbeiter*innenbewegung zu verbinden. Klimaneutralität lässt sich nicht über Konsumverhalten erreichen, nicht über Steuern oder über Preise. Der Schlüssel ist die Produktion. Diese darf nicht weiter an kurzfristigen Profiten ausgerichtet sein, sondern muss auf den Bedürfnissen basieren, demokratisch geplant und kontrolliert werden.
Der Widerstand gegen die Braunkohle im rheinischen Revier ist ein erfolgreicher Ansatz der Klimabewegung, bei dem konkrete Aktionen mit einer zumindest kapitalismuskritischen Perspektive verbunden werden. Weitere Ansatzpunkte sind der Kampf für einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs und den Nulltarif, für autofreie Stadtteile, für massive Investitionen in erneuerbare Energien und die energetische Sanierung von Gebäuden, für nachhaltiges Bauen und hochwertigen Wohnraum für alle. In Betrieben der Autoindustrie oder anderer Industrien, in denen Arbeitsplätze abgebaut werden, sollten betroffene Arbeiter*innen und Klimaaktivist*innen gemeinsam für den Erhalt aller Arbeitsplätze und die Umstellung auf klimafreundliche Produktion eintreten, wie bei Bosch in München geschehen.
Die Klimabewegung muss gegen die Belastung der arbeitenden und armen Menschen durch höhere Energiepreise eintreten. Die notwendigen Investitionen können aus dem Reichtum der Konzerne und ihrer Aktionär*innen finanziert. In den Händen der Kapitalist*innenklasse verursacht dieser Reichtum Klimazerstörung. Wir müssen in einem ersten Schritt die Reichen besteuern, die Steuerparadiese schließen und die Banken und Energiekonzerne in demokratisches öffentliches Eigentum überführen, um die Kontrolle über diesen Reichtum zu übernehmen und ihn zur Rettung unserer Lebensgrundlagen einzusetzen.
Internationalismus in Aktion
Die ISA hatte über 300 Aktive aus 15 Ländern nach Glasgow mobilisiert, die meistens aus Europa, aber auch aus den USA, Israel/Palästina, Brasilien und Hongkong waren Mitglieder angereist. Auf beiden Demos war der Block der ISA laut, bunt und sehr ausdauernd beim Rufen der Slogans. Das führte dazu, dass viele große Medien – New York Times, CNN, Washington Post, ORF – Fotos von ISA-Redner*innen und -Transparenten nutzten, um den jugendlich-kämpferischen Charakter der Demos zu illustrieren. Auch andere Teile der Proteste waren beeindruckend, zum Beispiel die Demo-Spitze, die von Menschen aus Lateinamerika, Asien und Afrika gebildet wurde, die schon heute am massivsten unter dem Klimawandel leiden, welche die Reichen auf ihre Kosten verursacht haben. Allerdings gab es beim ISA-Block die meiste Action.
Nach der Großdemo am 7. November fand die Veranstaltung der ISA mit über 350 Teilnehmer*innen statt, darunter bis zu 100 Interessierte, welche die ISA während der Tage von Glasgow kennengelernt hatten. Direkt oder per Videobotschaft sprachen auf der Veranstaltung ISA-Mitglieder aus mehreren europäischen Ländern, den USA, Südafrika und China. Auch Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen aus Glasgow waren auf dem Podium und zogen die Verbindung vom globalen Kampf für Klimagerechtigkeit zu lokalen Streiks der Arbeiter*innen in der schottischen Metropole. Nur wenige Stunden nach der Veranstaltung schrieben Dutzende Teilnehmer*innen ein positives Feedback, dass sie sich wohl gefühlt hatten, in Kontakt bleiben oder bei ISA in Schottland mitmachen möchten.
Diejenigen von uns, die in Glasgow dabei waren, sind durch den praktischen Internationalismus motiviert und werden die neu gewonnenen Energien in die konkreten Auseinandersetzungen vor Ort tragen.