Ein Kommentar von Douglas aus Kassel
In vielen Städten finden heute Demonstrationen zum “Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen” statt. Auf einigen davon, z.B. in Hamburg, sind Cis-Männer gar nicht willkommen, in anderen Orten dürfen sie nur an einem “All-Gender-Block” am Ende der Demo teilnehmen. Aktuell scheint es zum Standard zu werden, dass feministische Demonstrationen von einem “FINTA-only Block” angeführt werden, d. h. dass im ersten Block des Demozugs ausschließlich Frauen, intersex, nicht- binäre, trans und agender Personen laufen dürfen. Auf diese Weise soll ein sicherer Raum für unterdrückte Geschlechter geschaffen werden. Außerdem spiegelt die Einteilung in einen “FINTA-only Block” und einen folgenden “all-genders Block” die Analyse wieder, dass Cis- Männer sich dem feministischen Kampf “nur” als “Befürworter”, bzw. “Allies” anschließen können. Sie sollen zuhören und unterstützen, ohne sich in die Diskussion einzumischen. So soll verhindert werden, dass Cis-Männer feministische Diskussionen und Proteste dominieren.
Da es sich um eine aktuelle Entwicklung handelt, sollten Feminist*innen sie jetzt kritisch hinterfragen:
Bewirken “FINTA-only Blocks” tatsächlich, was sie sollen?
Und können Feminist*innen tatsächlich wollen, was “FINTA-only Blocks” bewirken?
Viele FINTA fühlen sich in Abwesenheit von Cis-Männern sicherer. In einer Gesellschaft, in der jede 3te Frau in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erfährt und die große Mehrheit der Täter*innen cis-männlich ist, ist das nicht unbegründet. Besonders für FINTA, die durch einen cis- männlichen Gewalttäter traumatisiert wurden, ist der Zugang zu Trigger- freien Räumen sehr wichtig. Jedoch ist die Geschlechtsidentität eines Menschen von Außen nicht unbedingt sichtbar. Menschen können als weiblich bzw. männlich gelesen werden, ohne dass dieser äußere Anschein mit ihrer Identität übereinstimmt. Eine Person, die sich aufgrund traumatischer Erfahrungen in Anwesenheit von Cis-Männern unsicher fühlt, wird dieses Gefühl immer entwickeln, wenn sie Menschen begegnet, die sie als cis-männlich liest – auch wenn diese Interpretation falsch ist. Allein die Erklärung ihres Gegenübers, kein Cis-Mann zu sein, wird eine traumatisierte Person genausowenig beruhigen, wie die Zusicherung, nicht gewalttätig zu sein.
Wenn wir also nicht alle FINTA, die aus irgendeinem Grund als cis-männlich gelesen werden könnten, von feministischen Demos ausschließen wollen, müssen wir akzeptieren, dass öffentliche Proteste keine Trigger- freie Orte sein können.
Einem “Safe Space” stehen außerdem weniger die Cis-Männer, sondern vielmehr der Kapitalismus im Wege. Das Grundprinzip der kapitalistischen Ordnung ist Ungleichheit. Aus diesem Grund produziert und erhält das kapitalistische System Formen der Unterdrückung wie Sexismus. Der feministische Kampf sollte daher die Überwindung des Kapitalismus und der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft sein. Eine solche Revolution ist nicht bloß im Interesse von FINTA. Alle Arbeiter*innen, Queers und von Rassismus Betroffene würden vom sozialistischen Wandel profitieren. Wovon keine dieser Personengruppen profitieren kann, ist die künstliche Trennung von Kämpfen.
Neben dem grundlegenden Klassenunterschied bestimmen auch Unterdrückungsformen wie Sexismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit wie sich der Kapitalismus auf die Lebensumstände der Menschen auswirkt. Je nach Betroffenheit unterscheiden sich Erfahrungen und Wissen. Aus diesem Grund braucht es antikapitalistische Bewegungen mit verschiedenen Schwerpunkten. Diese Bewegungen sollten inhaltlich wie formal das Expertentum Betroffener in den Mittelpunkt stellen.
Aber brauchen FINTA, um sich bei feministischen Demos Sichtbarkeit und Gehör zu verschaffen, wirklich einen Block, in dem Cis- Männer nicht erlaubt sind?
Ob bei den Klima-Protesten in Glasgow, der Demokratiebewegung in Belarus oder der Revolution im Sudan vor zwei Jahren, überall standen – vor allem junge – FINTA auf der Straße an vorderster Front. Erst wenn sich die selbsternannten Vertreter*innen der Konfliktparteien an den Verhandlungstisch setzen, verschwinden Frauen und genderqueere Personen plötzlich auf wundersame Weise von der Bildfläche.
Nicht- Betroffene sollten also nicht bloß als passive “Allies” mitlaufen, sondern aus Solidarität kämpferisch mitwirken.
Anstelle von “FINTA-only Blocks” brauchen wir eine solidarische, sozialistisch-feministische Bewegung, der das Verständnis von der gemeinsamen und unterschiedlichen Betroffenheit vom Kapitalismus zugrunde liegt.