Belarussisch-Polnische Grenze: Geflüchtete werden angesichts zunehmender imperialistischer Spannungen wie Tiere behandelt

Stellungnahme der ISA (hier auf Englisch lesen)

Gemeinsame Erklärung der ISA-Mitglieder aus Polen, Belarus, Syrien und Russland zur Krise an der belarussisch-polnischen Grenze, wo Tausende von Geflüchteten im Niemandsland zwischen den beiden Ländern am Rande der Europäischen Union festsitzen.

Seit Wochen spitzt sich die Krise an der belarussisch-polnischen Grenze zu. Tausende von Geflüchteten, die vor Krieg und Konflikten in Syrien, Irak, Afghanistan, Jemen und anderswo fliehen, befinden sich im Niemandsland zwischen den beiden Ländern am Rande der Europäischen Union. Am 16. November kam es zu Zusammenstößen, als die polnische Polizei Tränengas, Wasserwerfer und möglicherweise Betäubungsgranaten gegen die Geflüchteten einsetzte.

Tausende belarussische Grenzpolizist*innen drängen die Geflüchteten nach vorne. Zwei nuklearfähige Flugzeuge und russische Fallschirmjäger*innen sind nach Belarus verlegt worden. Auf polnischer Seite wurde in den Grenzregionen der Ausnahmezustand ausgerufen, der von 15.000 Soldat*innen mit technischer Unterstützung der britischen Armee überwacht wird. Die britische Präsenz wird als Brüskierung der EU gesehen, da die polnische Regierung die Hilfe der EU-Grenztruppe „Frontex“ abgelehnt hat. Auch Lettland und Litauen haben 3.000 bzw. 5.000 Soldat*innen an ihre Grenzen zu Belarus entsandt und mit dem Bau von Hunderten von Kilometern drei Meter hoher Stacheldrahtzäune entlang der Grenzen begonnen.

Höllische Zustände

Die Bedingungen sind höllisch. Viele der Geflüchteten leben bei Minusgraden in den Wäldern. Sie berichten, dass sie keine Nahrung haben und aus Flüssen trinken müssen. Das belarussische Grenzschutzpersonal versucht, Tausende von ihnen in eine 3 km breite Sperrzone hinter einem von der polnischen Polizei errichteten Stacheldrahtzaun zu zwingen, so dass sie in einer Art Zwischenwelt des einundzwanzigsten Jahrhunderts leben. Ein kurdischer Flüchtling beschrieb, wie die belarussischen Wachleute „mit Holzstöcken auf uns einschlugen, uns traten und schlugen, nicht nur auf mich, sondern auch auf Frauen und Kinder“, um sie an der Rückkehr nach Belarus zu hindern.

In dieser Sperrzone gilt das Kriegsrecht. Medizinische Helfer*innen und Hilfskräfte können die Geflüchteten nicht mit Lebensmitteln, Wasser, zusätzlicher Kleidung, Decken usw. erreichen. Auch Journalist*innen dürfen die Zone nicht betreten, um über die Situation zu berichten: die Regierung behauptet das wäre nötig um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Jaroslaw Kaczyński, Vorsitzender der Partei „Recht und Gerechtigkeit“, behauptet, dies sei darauf zurückzuführen, dass ein großer Teil der Medien lediglich Lukaschenkos Propaganda wiederhole, obwohl sie in Wirklichkeit nur die Brutalität und Rechtswidrigkeit der Handlungen des polnischen Staates aufzeigen. Obwohl die Zone eine schwerwiegende Verletzung der bürgerlichen Grundfreiheiten darstellt und polnische Staatsangehörige in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, erlauben die Behörden die Jagd mit Gewehren in Grenznähe! Dies wird auf der weißrussischen Seite als grünes Licht für die Jagd auf Geflüchtete interpretiert.

Ein syrischer Flüchtling, der schmutziges Wasser getrunken und Rinde und ähnliches von Bäumen gegessen hatte, versuchte dreimal, zurück nach Belarus zu gelangen, wurde aber von Grenzpersonal geschlagen – schließlich war er so krank, dass die polnische Polizei ihn in ein Krankenhaus einweisen musste, wo er nun ihre Rückkehr fürchtet, da sie ihn in die Sperrzone zurückschicken werden. Aus anderen Berichten geht hervor, dass polnisches Grenzpersonal Elektroschocks gegen die Geflüchteten eingesetzt hat. Als die ersten Geflüchteten in den polnischen Wäldern starben, wurden ihre Leichen von polnischen Wachleuten über die Grenze nach Belarus zurückgeschleppt.

Die Zahl der verstorbenen Geflüchteten liegt bereits im zweistelligen Bereich und wird angesichts der rasch kälter werdenden Witterung wahrscheinlich noch steigen. Darunter ist eine unbekannte Zahl von Kindern. Sie und ihre Mütter befinden sich in einer besonders schlimmen Lage. Ein Rettungssanitäter berichtet: „Als wir das erste Mal Kinder im Wald sahen, waren wir schockiert. Wir sahen eine Frau, die sich hinhockte, während sie mitten in der Nacht ein kleines Baby stillte, und ein weiteres dreijähriges Kind, das neben ihr stand. Dieses Bild ging uns nicht mehr aus dem Kopf: eine verlorene, verlassene, stillende Frau mit zwei Kindern in einem kalten Wald mitten im Nirgendwo“. Es wird berichtet, dass Frauen und Kinder nach vorne gedrängt werden, um als menschliche Schutzschilde zu dienen.

Durch den Imperialismus verursachte Krise

Wie bei der Krise von 2015 ist diese Welle von Geflüchteten das Ergebnis der Verwüstungen und der Gewalt, die durch die imperialistischen Interventionen in Syrien, Irak und Jemen verursacht werden. Der jüngste beschämende Rückzug des US-Imperialismus nach seiner zwanzigjährigen Besetzung Afghanistans hat dazu geführt, dass noch mehr Menschen versuchen, den sich verschlechternden Bedingungen der Unterdrückung und der drohenden Hungersnot zu entkommen.

Die tatsächliche Situation in Syrien wird beispielsweise durch die zweitägige, von Russland unterstützte Konferenz verdeutlicht, die letzte Woche in Damaskus stattfand und zum Ziel hatte, „die Rückkehr von Millionen syrischer Geflüchteter“ in das Land zu erleichtern. Viele Länder weigerten sich, an der Konferenz teilzunehmen, während die Europäische Union erklärte, dass „die Lage in Syrien noch nicht sicher für eine Rückkehr sei“. Die russische Intervention in Idlib führte dort zu einer Flüchtlingskrise, während die Türkei in anderen Teilen Nordsyriens Probleme verursachte. Der westliche Imperialismus und die Assad-Regierung sorgten dafür, dass Menschen aus dem ganzen Land geflüchtet sind.

Wo Krieg herrscht, wird es immer Geflüchtete geben, insbesondere solche, die versuchen, den Kämpfen zu entgehen. Einige syrische Oppositionelle, die sich jetzt auf die Seite der Konterrevolution stellen, sagen, dass den Geflüchteten, die jetzt an der Grenze festsitzen, nicht geholfen werden sollte, weil sie sich nicht am Widerstand gegen Assad beteiligt haben. Wir weisen das Argument zurück, dass die Geflüchteten keine Unterstützung verdienen, weil sie sich nicht dem Widerstand gegen Assad angeschlossen haben. Viele, die das nicht getan haben, waren durch ihr Misstrauen gegenüber den rechten Islamisten und anderen reaktionären Kräften in der Opposition motiviert. Es handelt sich um eine humanitäre Krise, die eine Lösung auf der Grundlage der Einheit der Arbeiter*innen und der Ärmsten erfordert.

Das Hauptaugenmerk des Imperialismus und insbesondere der EU lag nicht auf der Lösung der humanitären Katastrophe, sondern darauf, die Geflüchteten daran zu hindern, die Europäische Union zu erreichen. Bei ihrem Versuch zu entkommen, sind die Geflüchteten Opfer einer regelrechten Ausbeutung durch das kapitalistische System selbst geworden. Es sind Schwarzmarkthändler*innen aufgetaucht, die Visa und Reisen zu Wucherpreisen anbieten. Sie handeln ohne jegliche Skrupel.

Eine Gruppe aus Syrien übergab einem „Mittelsmann“ in Damaskus jeweils 5.000 Dollar für eine Pauschalreise, die angeblich einen zehntägigen Aufenthalt in einem Hotel in Minsk beinhaltete. In Belarus angekommen, brach ihr Kontaktmann den Kontakt zu ihnen ab. „Der Bastard hat uns belogen“, so der Kommentar eines der beiden. „Er hat uns ein Hotel für 10 Tage versprochen, aber wir waren zu zehnt in einem winzigen Zimmer neben einem Bordell für nur drei Nächte untergebracht. Und jetzt geht er nicht mehr an sein Telefon.“ Die Hotels verlangen Tausende von Dollar für einen Aufenthalt – wie ein Hotelverwalter kommentierte: „Während der Pandemie war es sehr ruhig. Die Touristen kamen nicht mehr, aber jetzt ist es jeden Tag voll. Das ist gut für das Geschäft“. Taxis verlangen Hunderte von Dollar für Fahrten zur Grenze.

Aber es gibt auch andere, die diese humanitäre Krise nicht als Profitquelle sehen. Familien auf der polnischen Seite der Grenze zeigen mit grünen Lichtern an, dass sie bereit sind, verzweifelte Geflüchtete zu versorgen und ihnen Wärme zu geben. In den letzten Monaten haben sich auch deutsche Städte und Regionen wie München bereit erklärt, Geflüchtete aus Afghanistan aufzunehmen. Lukaschenko macht sich dies zunutze, indem er sagt, er könne einen Direktflug für Geflüchtete nach München organisieren. Diejenigen, die nach der letzten Krise in Deutschland angekommen sind, haben es jedoch nicht leicht. Nur die Hälfte hat eine bezahlte Arbeit gefunden, eine Situation, die sich durch die Pandemie noch verschlimmert hat, während viele unter fremdenfeindlichen Angriffen zu leiden hatten und haben.

Festung Europa

Dennoch stehen diese Hilfsversuche in krassem Gegensatz zum Ansatz der EU-Verwaltung, die sich auf die Stärkung der „Festung Europa“ konzentriert. Als Ungarns Viktor Orban 2015 eine Mauer baute, um die Einreise von Geflüchteten nach Ungarn zu verhindern, zwang die massive öffentliche Sympathie für die Geflüchteten die EU, ihn zu kritisieren. Heute unterstützen die Regierungen des Europa-Blocks offen die gemeinsame Finanzierung von Außenmauern und Zäunen. Die Länge der geplanten Grenzmauern in Osteuropa hat bereits 1.200 Kilometer erreicht – achtmal so lang wie die berüchtigte Berliner Mauer!

Die Geflüchteten finden sich inmitten des Konflikts zwischen den Imperialist*innen wieder. Auf der einen Ebene ist dies ein Krieg der Worte. Der belarussische Präsident Lukaschenko beschuldigt den Westen, einen „hybriden Krieg“ gegen sein Land zu führen, eine Behauptung, die von der polnischen Regierung gegen ihn aufgegriffen wird, während die europäische politische Führung ihn beschuldigt, die Krise zu „bewaffnen“. Das empört die Geflüchteten: Sie bestreiten, „Waffen“ zu sein, sie sind, wie sie sagen, Menschen, „die zum Leben hier sind und nicht zum Kämpfen“. Die Regime auf beiden Seiten des Zauns behandeln die Geflüchteten, als hätten sie keine Rechte, als seien sie ein Problem, das es zu lösen gilt. Aber die Geflüchteten selbst müssen über ihre Zukunft mitbestimmen können.

Diese Krise spiegelt die Widersprüche wider, die sich in der Europäischen Union selbst entwickeln. Polens rechtspopulistische, einwanderungsfeindliche Regierung hat vor kurzem eine Entscheidung ihres Verfassungsgerichts durchgesetzt, die besagt, dass die polnischen Gesetze Vorrang vor denen der Europäischen Union haben.

Im Grenzkonflikt steht die EU jedoch voll hinter der einwanderungsfeindlichen Haltung der polnischen Regierung und unterstützt die Versuche der polnischen Polizei, Immigrant*innen nach Belarus zurückzudrängen. Dies steht in direktem Widerspruch zum Völkerrecht und zur kürzlich geänderten Asylpolitik der EU, die eine rasche Entscheidung über den Asylstatus und ein Screening-Verfahren vor der Einreise verspricht. Dies sollte nicht überraschen, denn die EU hat die Zurückdrängung von Geflüchteten (“Push-backs”) , die versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, bereits unterstützt, und das zeigt sich auch in den Deals der EU mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Die EU lässt sich nicht, wie sie behauptet, von „humanitären Werten“ leiten, sondern benutzt die Geflüchteten als Spielfiguren in ihrem Machtkampf mit Lukaschenko und Putin. Sie ist sich auch des undemokratischen und zunehmend autoritären Charakters der polnischen Regierung durchaus bewusst, verschließt aber gerne die Augen davor, während das Regime die „Drecksarbeit “ erledigt.

Lukaschenkos Erpressung

Es besteht jedoch kaum ein Zweifel daran, dass der autoritäre belarussische Präsident Aleksandr Lukaschenko die Krise geschürt hat. Die „Reiseagenturen“, die Geflüchtete zur Reise nach Belarus ermuntert haben, werden von offizieller Seite unterstützt und nutzen sogar ein vereinfachtes Antragsverfahren für Visa. Viele sind mit der staatlichen Fluggesellschaft Belavia nach Minsk geflogen, obwohl diese inzwischen angekündigt hat, dass sie keine Passagiere aus dem Irak, Syrien und Jemen befördern wird. In Minsk hat man den Geflüchteten geholfen, zur Grenze zu gelangen, und es wird berichtet, dass das belarussische Militär Laser und Blitzlichter eingesetzt haben, um die polnischen Wachen abzulenken, als die Geflüchteten versuchten, die Grenze zu passieren.

Zum Teil dient die Krise als Ablenkung von den wirklichen Problemen der Belaruss*innen nach dem Aufstand gegen Lukaschenko im letzten Jahr. Nach dem Scheitern der Bewegung zur Absetzung Lukaschenkos kam es in ganz Belarus zu massiven Repressionen. Tausende von Aktivist*innen der Opposition wurden verhaftet, andere wurden entlassen, während viele ins Ausland, z.B. nach Polen und Litauen, geflohen sind. Lukaschenko sieht in dieser Situation ganz klar die Chance, sich an Polen und der EU für die Unterstützung der liberalen bürgerlichen Opposition zu rächen, die die Proteste im letzten Jahr angeführt hat. Aber er nutzt sie auch, um die EU unter Druck zu setzen, die von ihr verhängten Sanktionen aufzuheben, mit dem Argument, dass er eine Welle von Geflüchteten auslösen wird, wenn die EU weitere Maßnahmen ergreift. Seine derzeitigen Maßnahmen haben den zusätzlichen Vorteil, dass die Grenzen von Belarus für Oppositionelle, die versuchen, seinem Zorn zu entkommen, schwieriger zu passieren sein werden.

Russische Unterstützung

Während hinter Polen die EU steht, steht hinter Belarus Russland. Die Spannungen zwischen den imperialistischen Staaten haben in den letzten Monaten dramatisch zugenommen. Im Juli warf ein russisches Flugzeug sogar vier Bomben ab, um ein britisches Schiff im Schwarzen Meer von seinem Kurs abzubringen. Die Streitigkeiten über die Lieferung von russischem Gas nach Europa gehen weiter, und der NordStream-2-Pipeline wurde von Deutschland erneut die Zulassung verweigert. Die NATO, der CIA-Chef und hochrangige britische Persönlichkeiten sowie US-Außenminister Antony Blinken haben mit Säbelrasseln auf die von Russland ausgehende Bedrohung der Ukraine reagiert.

Der Kreml hat bereits mehrfach bewiesen, dass er zu militärischen Angriffen bereit ist, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Davon gibt es derzeit viele. Das Land hat eine verheerende vierte Welle der Pandemie mit einer der höchsten Todesraten der Welt erlebt, während die Wirtschaft und der Lebensstandard stagnieren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wären die militärischen, wirtschaftlichen und sozialen Kosten eines Angriffs auf die Ukraine jedoch zu hoch, als dass der Kreml ein unnötiges Risiko eingehen würde. Stattdessen würde er seine derzeitige militärische Aufrüstung an der ukrainischen Grenze und seine Unterstützung für Lukaschenko eher dazu nutzen, den Westen unter Druck zu setzen, in der Hoffnung, ihn von weiteren Maßnahmen abzuhalten.

Gleichzeitig ist der Prozess zur Lösung des festgefahrenen Konflikts in der Ostukraine nicht vorangekommen. Die Zustimmungswerte des populistischen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelinskij sind auf ein Rekordtief gesunken, und seine Unterstützung innerhalb der herrschenden Elite schwindet zusehends. Er hat versprochen, den Konflikt mit den beiden abtrünnigen Republiken Donezk und Lugansk bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 zu lösen, und wird von ukrainischen Kriegstreiber*innen unter Druck gesetzt, Russland zu einer militärischen Konfrontation zu provozieren. Die Instabilität in der Region zeigt sich einmal mehr in einer neuen Welle von Kämpfen um Berg-Karabach in dieser Woche.

Auch Russland möchte nicht, dass Lukaschenko in seinem Konflikt mit dem Westen zu weit geht, vor allem dann nicht, wenn dies Auswirkungen auf die russische Wirtschaft hat. Als Lukaschenko damit drohte, die Gaslieferungen nach Europa zu unterbrechen, hat der Kreml diese Drohung schnell zurückgewiesen. Die Befürchtung im Kreml ist, dass Lukaschenko sich selbst ein Problem geschaffen hat, so dass er aus dieser Konfrontation nicht mehr ohne Gesichtsverlust aussteigen kann. Wie Lukaschenko bei einer Regierungssitzung sagte: „Sie machen uns mit Sanktionen Angst. Nun gut, schauen wir mal. Sie denken, ich mache Witze, ich schnalze nur mit der Zunge. Nichts dergleichen. Wir werden uns verteidigen. Das ist alles, wir können uns nirgendwohin zurückziehen“.

Sollte Lukaschenko die Konfrontation verlieren und die liberale Opposition gestärkt werden, könnte Russland sogar gezwungen sein, in Belarus selbst zu intervenieren.

Unsere Forderungen

Wie bei den meisten Krisen, die die Welt derzeit im Griff haben, handelt es sich um eine komplexe, stark international geprägte Krise, die im Kern durch den Kapitalismus und imperialistische Konflikte verursacht wird. Um die aktuelle Krise zu beenden, brauchen wir Solidarität und Organisation für folgende Forderungen:

  • Die sofortige Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Kleidung, Unterkünften und medizinischer Versorgung für alle Menschen, die derzeit an der Grenze festsitzen;
  • Freiheit für Journalist*innen, aus der Region zu berichten, auch innerhalb der Grenzzone und die Wiedereinstellung aller vom belarussischen Regime entlassenen Journalist*innen;
  • Der Rückzug der Grenzsoldat*innen, Truppen und der Polizei von beiden Seiten der Grenze und die Aufhebung der Sperrzone, damit die humanitären Organisationen den Geflüchteten helfen und ihnen einen sicheren Weg zu Unterkunft und wärmendem Schutz ermöglichen können;
  • Internationale Unterstützung, die von Gewerkschaften, Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen sowie von den Geflüchteten selbst und der lokalen Bevölkerung organisiert und kontrolliert wird, um den Prozess der Entmilitarisierung der Grenzregion zu organisieren und zu überwachen und die Hilfe für die Geflüchteten zu verwalten;.
  • Die sofortige Aufnahme dieser Geflüchteten bei der Einreise in die Europäische Union mit einer raschen Prüfung aller Asylanträge und der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus oder eines anderen Rechtsstatus, der ihnen die ungehinderte Reise in das Land ihrer Wahl ermöglicht;
  • Die Bereitstellung von Wohnraum und stabilen Arbeitsplätzen, Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für alle.

Es handelt sich hierbei um Forderungen, die sich mit den unmittelbaren Problemen der Menschen an der belarussisch-polnischen Grenze befassen.

Insgesamt lehnen wir jeden Versuch ab, Geflüchtete gegen die einheimische Bevölkerung auszuspielen. Das Geld für den Militär- und Polizeiapparat zur „Sicherung“ der Grenzen sollte stattdessen für die Sicherheit der Geflüchteten verwendet werden. Die Gewinne der Ölkonzerne und Waffenproduzent*innen aus den Konflikten im Nahen Osten sollten übernommen und für den Wiederaufbau der Wirtschaft in dieser Region verwendet werden.

Der Reichtum der Reichen in Europa und international, der durch die Ausbeutung der ärmeren Länder und der Arbeiter*innenklasse weltweit entsteht, sollte zum Nutzen aller eingesetzt werden. Wir verstehen, dass dies keine „einfache“ Lösung ist – aber es ist die einzige wirkliche Lösung, denn ohne eine radikale wirtschaftliche und soziale Umgestaltung dieser Länder werden keine Grenze, keine Polizei und kein Stacheldraht ausreichen, um verzweifelte Geflüchtete davon abzuhalten, zu fliehen.

Die Sanktionen, die derzeit vom US- und EU-Imperialismus gegen die autoritären Regime in Belarus, Russland, Syrien und dem Irak verhängt werden, sind unwirksam und beeinträchtigen den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend, während sie die herrschende Elite kaum treffen. Sie ermöglichen es den Regimen, ihr Land als politisch „belagert“ durch westliche Regierungen darzustellen, während sie die wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf die Sanktionen selbst schieben. Wirksame Sanktionen würden damit beginnen, dass die Konten der Reichen und der herrschenden Elite dieser Länder geöffnet werden, um offenzulegen, wer ihre Freund*innen und Bündnis- bzw. wirtschaftlichen Partner*innen in anderen Ländern sind, und dass deren Reichtümer enteignet werden. Dies wird nur durch die unabhängige Aktion der weltweiten Arbeiter*innenbewegung möglich sein.

In der Tat ist ein breiterer, auf internationaler Solidarität basierender Kampf der Arbeiter*innenklasse gegen die eigentliche Ursache dieser Krise notwendig – gegen die autoritäre Herrschaft von Aleksander Lukaschenko in Belarus und die reaktionäre Regierung von  „Recht und Gerechtigkeit“ in Polen, sowie gegen die imperialistische Politik der USA, der EU, Russlands und anderer, die die Katastrophe in Ländern wie Syrien, Irak, Afghanistan und Jemen verursacht haben – mit anderen Worten ein Kampf gegen den globalen Kapitalismus und für eine internationale und demokratische sozialistische Gesellschaft.