Der erfolgreiche Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, für den im September über eine Million Berliner*innen mit „Ja“ gestimmt haben, droht verschleppt zu werden. Statt einer schnellen Umsetzung ist im Koalitionsvertrag die Einsetzung einer Expertenkommission geplant.
Von Anke Wagner und David Zimmermann, Berlin
Die vorgeschlagene Kommission hat nicht etwa den Auftrag, einen Gesetzesentwurf für die Enteignung zu erarbeiten, sondern soll „[…] Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens“ prüfen. Beispielsweise soll die Verfassungskonformität der Vergesellschaftung untersucht werden, was unverschämt ist. Schließlich gab es bereits mehrere Gutachten, die die rechtliche Zulässigkeit bestätigt haben.
Nach einem Jahr Prüfung darf die Kommission Empfehlungen abgeben, auf Basis derer „[…] im Jahr 2023 gegebenenfalls Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz […]“ vorgelegt werden. Gegebenenfalls. Diese offensichtliche Verzögerungstaktik ist eine massive Missachtung des Volksentscheids und der blanke Hohn für die Mieter*innenbewegung der Stadt.
Die LINKE stand während des Wahlkampfs als einzige Partei im Senat hinter dem Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne und ihre Mitglieder hatten während der zweiten Stufe über 30.000 Unterschriften gesammelt. Statt nun der Giffey-SPD zu helfen, Zeit zu schinden, müsste die LINKE weiterhin an der Seite der Mieter*innenbewegung Druck machen und helfen, den Sieg im bundesweit wichtigsten Kampf für Mieter*innen Realität werden zu lassen.
Mit einer ausdrücklichen Enteignungsgegnerin an der Spitze der Landesregierung wird ihr das nicht möglich sein. Einmal mehr zeigt sich, dass die Beteiligung an Regierungen mit prokapitalistischen Parteien in bedeutenden Fragen nur zu unbrauchbaren Kompromissen führt. Will sie weiterhin Teil der Bewegungen sein und ihr Vertrauen nicht verspielen, darf die LINKE nicht erneut in die Regierung mit SPD und Grünen gehen.
Innerparteiliche Opposition
Einige argumentieren, dass nur eine rot-grün-rote Koalition einen Senat mit FDP-Beteiligung verhindert und deshalb alternativlos sei. Aber selbst eine Berliner Ampel wäre weniger tragisch als der Vertrauensverlust, den die LINKE mit ihrem Verrat erleiden würde. Zumal eine LINKE in der Opposition nicht zwangsläufig die FDP in den Senat ließe. Die LINKE könnte sich bei der Wahl der Regierenden Bürgermeisterin enthalten und damit eine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen ermöglichen. Tatsächlich positive und fortschrittliche Projekte der Regierung könnten im Einzelfall unterstützt werden, während Privatisierungen und andere Schweinereien konsequent bekämpft würden, anstatt sie notgedrungen mitzutragen.
Nicht nur in der Frage des Volksentscheids ist der Koalitionsvertrag eine Enttäuschung. Es gibt keine Positionierung gegen rassistische Razzien gegen Migrant*innen, stattdessen ist die personelle Aufstockung der Polizei vorgesehen. Es ist geplant, die Videoüberwachung an sogenannten „kriminalitätsbelasteten Orten“ auszuweiten. Die Aufhebung des verfassungswidrigen Kopftuchverbots wird nicht erwähnt. Abschiebungen werden weiterhin stattfinden, lediglich auf nächtliche Abschiebungen soll unter bestimmten Voraussetzungen verzichtet werden.
Eine zentrale Forderung der Beschäftigten in den Tochterunternehmen des kommunalen Krankenhauskonzerns Vivantes ist eine Rückführung in das Mutterunternehmen. Das Thema wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt. Die Berliner S-Bahn soll weiterhin ausgeschrieben werden. Ihre mögliche Privatisierung und Zerschlagung steht einer klimagerechten Politik entgegen. Von Klimaneutralität ist im Koalitionsvertrag zwar häufig die Rede, ein konkretes Datum wird aber nicht genannt.
In der Berliner LINKEN hat sich inzwischen ein linker Flügel formiert, an dem auch Mitglieder der SAV beteiligt sind. Die linke Opposition lehnt den Koalitionsvertrag ab und wirbt dafür, beim Mitgliederentscheid gegen ihn zu stimmen bzw. im Falle einer rot-grün-roten Regierungsbildung Franziska Giffey nicht zu wählen. Vor allem geht es aber darum, den nötigen Widerstand der nächsten Jahre an der Seite der Bewegung aufzubauen.
Website: Zusammen für eine linke Opposition.