Im Rhein-Sieg-Kreis sind Kolleg*innen an gleich zwei Orten mit einem bevorstehenden Arbeitsplatzabbau konfrontiert. In Niederkassel soll ein Werk der Evonik verkauft werden, in Eitorf steht das Stammwerk des Feuerwerkherstellers WECO vor der Schließung.
Von Christoph Emmerich, Siegburg
Die Situation in Niederkassel
Das Evonikwerk in Niederkassel-Lülsdorf hat mit seiner mehr als hundertjährigen Tradition den Charakter des Stadtteils maßgeblich geprägt. Begründet wurde die damalige Werkseröffnung mit dem Zugang zum Rhein, sodass eine schnelle Verschiffung der chemischen Produkte gewährleistet war. Als schließlich die Straßenbahn zwischen Siegburg und Zündorf (Stadtteil von Köln), in der Bevölkerung ,,Rhabarber-Schlitten“ genannt, zugunsten des motorisierten Individualverkehrs aufgegeben wurde, blieb das Evonikwerk als einziger Nutzer von Teilen der Strecke übrig.
Trotz dieser günstigen Infrastruktur wurde in dem Werk immer wieder schleichend Arbeitsplatzabbau betrieben. Hintergründe waren dabei der Umbau des Gesamtkonzerns sowie die Spezialisierung des Werkes auf Basischemikalien.
Als zuletzt diskutiert wurde am Standort Lülsdorf, in direkter Nähe eines Schulzentrums und Wohngebietes, das krebserregende Ethylenoxid zu produzieren, stieß dies auf weitgehenden Protest der Bevölkerung und auch der Lokalpolitik.
Für Evonik bot dieser Umstand die Gelegenheit sich von der kostenintensiven Herstellung der Basischemikalien zu trennen und nun ,,tabula rasa“ mit dem Standort zu machen. Man wolle sich, so verrät es eine Pressemitteilung, auf die ,,margenstarke Spezialchemie“ konzentrieren. Außerdem wäre die Weiterführung des Produktionsverfahrens ,,durch Auflagen der Europäischen Union ab dem Jahresende 2027 unmöglich“.
Für die betroffenen 600 Kolleg*innen und den kleinen Stadtteil mit 10.000 Einwohner*innen ist diese Begründung blanker Hohn. Ohne Gegenwehr droht nun im besten Fall ein Teilverkauf der Filetstücke des Werkes mit Verschlechterungen für die wenigen Kolleg*innen, die ihren Arbeitsplatz behalten können. Im schlimmsten Fall entsteht in der Stadt mit der größten Flächenversiegelung des Rhein-Sieg-Kreises eine riesige Industrieruine, die höchstens als Kulisse für postapokalyptische Filme herhalten kann.
Die Situation in Eitorf
In Eitorf ist das WECO-Werk für die kleine Gemeinde mit etwas mehr als 19.000 Einwohner*innen wirtschaftlich wichtig und mit seiner langen Geschichte identitätsstiftend. Im Stammwerk von Deutschlands größtem Feuerwerkshersteller arbeiten 250 Kolleg*innen.Durch das anstehende Feuerwerksverbot steht es nun vor dem Aus.
Hier setzt sich die lokale Politik wesentlich mehr für den Erhalt ein als in Niederkassel. So hat der Rat der Gemeinde eine Resolution beschlossen, in der an die Bundesregierung appelliert wird, das Feuerwerksverbot aufzuheben und auch der Kreistag forderte weitere Mittel von der Bundesregierung, um die Vernichtung der Feuerwerkskörper zu bezahlen und das Werk weiterhin mit Steuermitteln am Leben zu halten.
Der Grund dafür ist natürlich nicht, dass die bürgerlichen Feierabendpolitiker*innen plötzlich ihr Herz für die Angelegenheiten der Beschäftigten entdeckt hätten. Für sie geht es in erster Linie darum die lokale Industrie in der kleinen Gemeinde zu erhalten, um durch Gewerbesteuereinnahmen die nötigsten kommunalen Ausgaben tätigen zu können. Würde das Werk schließen, so hätte die Gemeinde Eitorf massive Einnahmeausfälle bei bestehenden Ausgaben für ihre kommunalen Aufgaben. Dies ist politisch nur schwer zu vermitteln. Viel einfacher ist es da, an die nächsthöhere Instanz zu appellieren, irgendwas zu machen
Überregionale Vernetzung notwendig
Die Problematik in Eitorf und Niederkassel erscheint wie alter Wein in neuen Schläuchen. Dennoch lässt sich schon hier erahnen, was unseren Kolleg*innen und uns noch bevorstehen könnte.
Die chemische Industrie steht vor einem massiven Umbau und die Besitzer*innen der Werke wollen die Kosten auf die Beschäftigen abwälzen. Sie nehmen die Pandemie und den Klimawandel als Vorwand, um die Schließungen als alternativlos zu verkaufen. Die Lokalpolitiker*innen sind nicht fähig und nicht willens die Probleme zu lösen, da sie sich auf reines Verwaltungshandeln beschränken und ihre Aufgabe darin sehen die Wünsche der lokalen Kapitalist*innen großzügig umzusetzen. Als ,,Dank“ bleiben dann die Krümel der Gewerbesteuereinnahmen übrig.
Dabei haben es die Angestellten von WECO und Evonik selbst in der Hand. Sie kennen die Betriebsabläufe, haben die Fähigkeiten, um die Produktion am Laufen zu halten. Sie könnten in einem Bündnis aus Anwohner*innen, Gewerkschaften und Umweltverbänden nach Möglichkeiten suchen, die Produktion sowohl in Niederkassel als auch in Eitorf auf ökologisch nachhaltige und gesellschaftlich notwendige Güter umzustellen.
Deshalb ist es jetzt notwendig, dass wir uns sowohl lokal als auch überregional in einer breiten Bewegung organisieren, um uns auf die absehbaren Angriffe vorzubereiten und sie zurückzuschlagen. Darüber hinaus muss der Einsatz für den Erhalt der lokalen Arbeitsplätze mit dem Kampf für ein demokratisches und ökologisch sinnvolles Wirtschafts- und Gesellschaftssystem verbunden werden. Eine Schlüsselrolle kommt hierbei den Gewerkschaften zu. Anstatt mit den Betriebsbesitzer*innen darüber zu verhandeln, unter welchen Umständen die Werke ,,sozialverträglich“ geschlossen werden können, müssen sie in die Offensive gehen und mit Streiks und Solidaritätsaktionen die Kolleg*innen mobilisieren. Dadurch könnten auch Beschäftige über die Region hinaus für bevorstehende Kämpfe organisiert werden.
Die SAV fordert:
- Offenlegung der Geschäftsbücher
- Erhalt aller Arbeitsplätze in den betroffenen Werken ohne Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen
- Demokratische Verwaltung der Produktion durch die Beschäftigen und Anwohner*innen
- Beratung mit Umweltverbänden zur Produktionsumstellung
- Gegebenenfalls: Ersatzarbeitsplätze in der Region, Umschulungen auf Kosten der Betriebsbesitzer*innen
- Bedarfsgerechte Finanzierung der Kommunen, Abschaffung der Schuldenbremse