Einschüchterung im Krankenhaus zurückgeschlagen

Interview mit Ariane Müller, kritische Betriebsrätin im Klinikum Bremen Mitte

Ariane Müller arbeitet seit 1981 auf der Intensivstation im Klinikum Bremen Mitte und ist gewähltes Betriebsratsmitglied. Für ihre Rolle bei der Gründung des Bremer Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus und als Corona-Heldin wurde sie vom Landesfrauenrat zu einer der „Bremer Frauen* des Jahres 2021“ gekürt. Sie ist Mitglied der LINKEN, bei ver.di und bei der unabhängigen Betriebsgruppe „uns reichts“. Kurz vor Weihnachten erhielt sie von der Direktion die Freistellung. Nach Protest und auf öffentlichem Druck wurde diese wieder fallengelassen.

Was war die Begründung der Geschäftsführung für deine Freistellung?

Ich wurde von der Direktion schriftlich vorgeladen, ohne dass ich wusste worum es geht. Ich habe mir einen Zeugen mitgenommen und gesagt, dass ich keine Stellungnahme abgeben würde, ohne zu wissen, worum es geht und ohne mich vorbereiten zu können. Der Vorwurf war dann, dass ich Betrug beim Arbeitszeitkonto begangen habe, es ging um 13 Stunden.

Der Hintergrund ist, dass ich in den letzten Monaten vermehrt von Kolleg*innen als Betriebsratsmitglied gebeten wurde, sie zu Gesprächen mit Vorgesetzten zu begleiten. Die Kolleg*innen wollten ausdrücklich mich dabei haben, weil sie nur mir vertrauen. Wenn das außerhalb der Arbeitszeit passiert ist habe ich diese Stunden als Arbeitszeit aufgeschrieben.

Das ist ja auch dein Recht als Betriebsratsmitglied.

Genau. Die Direktion hatte den Betriebsrat gefragt, ob es einen Beschluss gebe, dass ich die Gespräche führen soll. Der Betriebsratsvorsitzende hat dann geantwortet, dass es keinen Beschluss dieser Art gibt. Die Direktorin hat dann Betrug vermutet. Tatsächlich brauche ich aber keinen Beschluss des Betriebsrats. Ich glaube, der Betriebsratsvorsitzende hat das absichtlich geschrieben, um mich in die Pfanne zu hauen, weil ich ein rotes Tuch für ihn bin. Und die Direktorin hat ihm dann blind vertraut – kein Wunder, die sitzen ja auch vertrauensvoll und händchenhaltend auf dem Sofa.

Wir haben das sofort öffentlich gemacht, der Fall wurde bundesweit bekannt. Taz und Neues Deutschland hatten über den Fall berichtet. Ich habe dann viel Solidarität erfahren, sogar von Patient*innen die das mitbekommen hatten. Die Öffentlichkeit und der sofortige Widerstand haben dazu geführt, dass die Freistellung zurückgenommen wurde. Die Direktion ist voll und ganz zurückgerudert und hat sich indirekt entschuldigt. Klar, bei Fachkräftemangel in der Pandemie eine engagierte Intensivschwester zu kündigen ist natürlich schlechte Presse.

Was steckt hinter dem Angriff? War das nur ein Missverständnis?

Nein. Erstmal bin ich generell für Direktion, Geschäftsführung und Betriebsrat sehr unbequem, weil ich mich sehr stark für Kolleg*innen einsetze, das ist schon seit Jahren bekannt. Dazu kommt: Im März finden die nächsten Betriebsratswahlen statt. Wir hatten als unabhängige Betriebsgruppe „uns reicht’s“ angekündigt dass wir eine Listenwahl beantragen und als Liste zur Wahl antreten werden. Der BR war sauer darüber, weil sie ihre Felle davon schwimmen sehen. Durch die Listenwahl können Strukturen durchbrochen werden. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei Pflegekräften ist niedrig, ca. 10%, dadurch ist Wahlbeteiligung auch meist niedrig, unter 30%. Das führt dann bei Persönlichkeitswahl meistens dazu, dass eigentlich immer die ohnehin schon freigestellten Betriebsratsmitglieder gewählt werden. Durch die Listenwahl werden die Karten aber neu gemischt. Jede Liste bekommt eine Freistellung. Die Alteingesessenen werden nicht alle ihre Freistellung bekommen, und die Zusammensetzung im Betriebsrat wird sich dadurch verändern. Dadurch wird eine richtige Opposition entstehen.

Was ist „uns reicht’s“, und warum kandidiert ihr?

„Uns reicht’s“ wurde 2005 gegründet, als uns Pflegekräften die ersten Auswirkungen der Einführung der Fallpauschalen klar wurden: Personal wurde abgebaut, der Druck hat zugenommen. Inzwischen machenüber 20 Leute bei „uns reichts“ mit. Viele Beschäftigte finden, dass der Betriebsrat nicht genug macht. Zum Beispiel schreiben viele Stationen keine Gefährdungsanzeigen mehr bei Überlastung, weil der Betriebsrat die eh nur abheftet und das war’s. Der Betriebsrat macht auch nichts dagegen, dass Pflegekräfte wie Schachfiguren ständig von einer Station in die andere hin- und hergeschoben werden. Dabei sind die Kolleg*innen teilweise mit den Krankheitsbildern anderer Stationen gar nicht vertraut. Eine Kollegin musste in drei Schichten auf drei verschiedenen Stationen arbeiten. Das stresst natürlich ungemein und macht auf Dauer krank.

Noch ein Thema ist die Kleidung. Die Direktion hat neue weiße Kleidung für die peripheren Stationen besorgt. Das Problem: Die Wäsche ist nicht Blickdicht! Kolleg*innen wurden schon auf ihre Unterwäsche angesprochen. Die Kolleg*innen fühlen sich unwohl damit, und wollen nicht als Sex-Objekte angesehen werden.

Insgesamt haben viele Leute das Gefühl, dass der Betriebsrat nichts gegen die schlechten Arbeitsbedingungen macht. Es herrscht Pflegekräftemangel, wo Patient*innen nicht mehr ausreichend versorgt werden. Wir brauchen deswegen unbedingt eine gesetzliche, bedarfsgerechte Schichtbesetzung für Pflege und Funktionsbereiche. Wir wollen dass die Fallpauschalen abgeschafft werden. Und damit die Arbeitsbedingungen wieder humaner werden: 30 Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich. Dann würden viele der abgewanderten Kolleg*innen wieder zurückkommen.

Bremen hat ja eine linke Gesundheitssenatorin, und wird bundesweit für die hohe Impfquote gelobt – ist eigentlich alles super in Bremen?

Nein. Ich bin sehr enttäuscht von Claudia Bernhard. Ich hatte sie über die Freistellung informiert, habe aber überhaupt keine Antwort bekommen. Zweitens wäre es auch ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass bei FFP2-Maskenpflicht für die Beschäftigten Atemschutzpausen eingehalten werden. Und nicht zuletzt müsste sie sich eindeutig positionieren, um das Klinikum Links der Weser (LDW) in voller Breite zu erhalten. Das LDW ist wichtig auch für die Versorgung größerer Teile Niedersachsens südlich von Bremen. Mehr als die Hälfte der Patient*innen in den Bremer Krankenhäusern wohnt in Niedersachsen. Die Krankenhäuser hier sind marode, weil das Land in den letzten Jahren die Investitionskosten nicht ausreichend finanziert hat. Leider ist das immer noch so.