Film: Die Wannseekonferenz

Ort der Wannseekonferenz

Mit “Die Wannseekonferenz” (ZDF Mediathek) hat Regisseur Matti Geschonnek für das ZDF ein grauenvoll-faszinierendes Kammerspiel in Echtzeit inszeniert. Der Film basiert auf den von Adolf Eichmann verantworteten Protokollen dieses Zusammentreffens 15 hochrangiger Vertreter des Nazi-Regimes am 20. Januar 1942 in einer Villa am Berliner Wannsee, bei dem der Völkermord an Europas Jüd*innen bestätigt und dessen Beschleunigung geplant wurde. 

Von Claus Ludwig, Köln

Eingeladen hatte Reinhard Heydrich, Chef des SD (Sicherheitsdienst), des RSHA (Reichssicherheitshauptamt) und Stellvertreter von SS-Chef Himmler. Anwesend waren Vertreter diverser Ministerien, der Reichskanzlei und der Verwaltung der besetzten Gebiete. Heydrich legte eine Liste vor, nach der in ganz Europa 11 Millionen Jüd*innen ermordet werden sollen. Am Wannsee wurde die Einrichtung der Vernichtungslager Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Majdanek und Belzec auf dem Gebiet des heutigen Polen beschlossen.

Das Protokoll Eichmanns ist in Bürokratendeutsch gehalten: Statt Verschleppung in den Osten wird von “Evakuierung” gesprochen, statt Massenmord von “Endlösung”. Historiker*innen gehen jedoch davon aus, dass bei dem Treffen klare Worte gewählt wurden, was Geschonnek im Film umsetzt. Neben 13 Schreibtischtätern nahmen auch die SS-Offiziere Lange und Schöngarth  an der Zusammenkunft teil,  beide hatten in Polen und im Baltikum eigenhändig gemordet . Vermutlich hatte Heydrich dies organisiert, um allen klar zu machen, woran sie beteiligt sind.

Im Verlauf des Films werden die unterschiedlichen Interessen der Bürokraten deutlich. Staatssekretär Bühler von der Verwaltung des besetzten Polen wehrt sich, Jüd*innen aus anderen Teilen aufzunehmen, und will erst die “eigenen” Jüd*innen ermorden lassen. Stuckart vom Innenministerium beharrt auf einer gesetzlich abgesicherten Systematik, um nicht zu viel Unruhe bei den Verwandten und Bekannten von “Halb-” oder “Vierteljuden” aufkommen zu lassen.

Vernichtungskrieg

Die Bürokraten freuen sich über die Fortschritte des Mordens. Die Züge, welche die Jüd*innen in die geplanten Vernichtungslager im Osten transportieren  werden, sollen auf dem Rückweg mit russischen Zwangsarbeiter*innen nach Westen fahren. Berechnungen haben ergeben, dass ein Erschießen der Jüd*innen zu viel Munition und Zeit erfordert, zudem wäre die emotionale Belastung für die Mörder zu groß. Gas spart Geld, Zeit und Personal. 

Diese Teilrationalität sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Völkermord nicht nur barbarisch, sondern auch zutiefst irrational war. Er war ohne militärischen Nutzen. Der Holocaust erschwerte die deutsche Kriegsführung, denn er zog Menschen und Material von der Front ab. Der mörderische Antisemitismus hatte sich längst von jeglicher Zweckgebundenheit gelöst. Während er in der Aufstiegsphase des Hitler-Faschismus dazu diente, einen “Sündenbock” zu schaffen und vom Kampf gegen den Kapitalismus abzulenken, war er zu diesem Zeitpunkt ein selbstständiger Faktor, in der Bevölkerung und vor allem in den bewaffneten Einheiten stark verbreitet.

Auf der Wannseekonferenz wurde das direkt nach dem Einmarsch in die Sowjetunion im Juni 1941 begonnene Morden systematisiert und in seine industrielle Phase überführt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Wehrmacht bereits in der Krise: Der Vormarsch war vor Moskau zum Erliegen gekommen, die Luftschlacht um England verloren, die USA waren in den Krieg eingetreten. Auch auf der Konferenz werden einige gewusst oder geahnt haben, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Gerade deshalb wollten sie den Völkermord beschleunigen, um noch rechtzeitig  “fertig” zu werden.

Gnade nur für die Mörder

Dialoge und Schauspiel passen punktgenau. Die Schauspieler*innen – neben den 15 Funktionären ist eine Sekretärin anwesend – zeigen die Bürokraten des Todes als Individuen, mit unterschiedlichen Funktionen und Teilinteressen, aber mit der Gemeinsamkeit des antisemitischen Vernichtungswillens. Es wird deutlich, wie “kultiviert” der Massenmord organisiert wurde, von Akademikern, Doktoren, Professoren –  formal gebildeten Menschen, die eine Grausamkeit planten, wie sie die Menschheit in ihren rauesten Zeiten nicht erlebt hatte.

Nur zwei Täter wurden in direktem Zusammenhang mit der Wannseekonferenz hingerichtet – keiner davon in Deutschland. Besatzungsfunktionär Bühler wurde 1948 in Polen exekutiert und der Organisator Eichmann nach spektakulärer Entführung aus Argentinien und Prozess 1962 in Israel gehängt.

SS-Offizier Schöngarth wurde 1946 wegen der Ermordung britischer Gefangener hingerichtet, Heydrich wenige Monate nach der Konferenz von tschechischen Partisan*innen erledigt. Mehrere andere starben zum Kriegsende hin bei Kampfhandlungen, durch Suizid oder eines natürlichen Todes.

Andere wie SS-Obergruppenführer Otto Hofmann oder Wilhelm Stuckart vom Innenministerium, Mitverfasser der “Nürnberger Rassengesetze”, kamen mit kurzen Haft- oder sogar Geld- und Bewährungsstrafen davon, und lebten mit teils gut bezahlten Jobs bis in die 1980er Jahre.  Stuckart war ab 1952 bis zu seinem Unfalltod 1953 Mitglied der verbotenen Nazi-Partei SRP. Gerhard Leibbrandt vom Außenpolitischen Amt der NSDAP machte unter Adenauer Karriere und organisierte die Rückführung gefangener Wehrmachtsangehöriger aus der Sowjetunion.