Die Mehrheit der abhängig Beschäftigten und der Jugend verhält sich in der Pandemie solidarisch und verantwortungsvoll. „Querdenker*innen“ sind in der Minderheit. Doch die auch von Rechtsextremen voran getriebenen Proteste dominieren die mediale Berichterstattung. Dadurch entsteht das Bild, dass es nur zwei Lager gibt: Auf der einen Seite Wissenschaftsfeinde, AfD, Nazis und Verschwörungsmystiker*innen, auf der anderen Seite die „vernünftige“ Regierung samt allen etablierten Parteien.
Doch die Pandemie-Politik der Regierenden ist nicht unterstützenswert. Es ist an der Zeit, dass die Arbeiter*innenbewegung eine dritte Position formuliert, gegen die tendenziell rechte Mobilisierung und gegen die von Kapitalinteressen gesteuerte Politik der Regierenden.
Die aktuell wachsenden Proteste gegen die „Querdenker*innen“ sind erste Schritte. Aber sie haben oft noch Schwächen. Wenn sie auf ein inhaltliches Programm verzichten, können sie von den Regierenden vereinnahmt und genutzt werden, von deren Versagen in der Pandemie abzulenken. Oftmals sind sie sehr klein und setzen auf halb witzig gemeinte Slogans („Wir impfen euch alle“) oder betonen, wie dumm viele Argumente von Impfgegner*innen sind. Diese satirisch überspitzte Darstellung lässt es so aussehen, als wären die antifaschistischen Demonstrierenden unkritische Fans der Pharma-Konzerne. Damit erreicht man nicht diejenigen unter den Impfgegner*innen, die noch nicht vollständig die rechte Propaganda übernommen haben und läuft Gefahr die notwendige Kritik am Handeln der Regierenden und der Pharmalobby unterzubetonen. Vor allem taugen solche Slogans nicht zur Mobilisierung für größere Aktionen.
Der Vorwurf, dass diejenigen, die wissentlich mit Faschist*innen marschieren, sich mit diesen gemein machen, ist berechtigt. Aber es hilft wenig, „moralisch“ im Recht zu sein. Es geht darum, die Proteste der „Querdenker*innen“ effektiv zu schwächen. Gerade im Westen sind die Nazis bei den „Spaziergängen“ in der Minderheit. Die Arbeiter*innenbewegung und die Linke müssen versuchen, diese Leute zu erreichen, zumindest sie zu neutralisieren und zu überzeugen, den Demonstrationen fernzubleiben. Verspotten und Überlegenheitsgehabe sind dabei nicht hilfreich. Wir sollten ernst nehmen, dass sie es ernst meinen. Die „Querdenker*innen“ marschieren nicht aus Dummheit, sondern weil sie überzeugt sind von verwirrten, falschen und gefährlichen Ideen. Denen müssen wir mit Argumenten entgegen halten, natürlich, ohne Zugeständnisse an wissenschaftsfeindliche oder verschwörungsmystische Vorstellungen zu machen.
Breite Demonstrationen der bisher schweigenden Mehrheit erfordern ein unabhängiges Programm sowohl gegen die rechte Mobilisierung als auch gegen Regierende und Konzerne. Welche Forderungen im Einzelnen gestellt werden, wird sich von Ort zu unterscheiden und müsste in entsprechenden Bündnissen ausgehandelt werden. Wir schlagen einige Kernpunkte vor:
Mehr Geld und Personal für die Kliniken
Sofortige Erhöhung der Gehälter um 500 Euro monatlich – auch nachträglich als Pandemiebonus! Anwerbung von zuvor ausgeschiedenen Kolleg*innen und im selben Maße Verkürzung der Arbeitszeit in den Kliniken. Überführung von Kliniken und Pflegeheimen in öffentliches Eigentum. Bessere Krankenhausfinanzierung und sofortige Abschaffung der Fallpauschalen (DRG). Bedarfsgerechte Personalbemessung in Kliniken und Pflegeheimen.
Patente offen legen, Impfstoffe für die ganze Welt
Die Pharma-Konzerne präsentieren sich als Wohltäter*innen. Doch sie verhindern aktiv das weltweite Impfen, indem sie auf ihrem Patentrecht beharren und die Preise in die Höhe treiben. Für Pfizer/Biontech und Co. ist es profitabler, in Europa die vierte oder fünfte Impfung zu verkaufen als endlich weltweit die Pandemie durch die freie Verteilung der Impfstoffe zu beenden.
Nötig ist der freier Zugang zu Impfstoffen für jede*n weltweit. Patente auf Impfstoffe und Medikamente sind aufzuheben, die Herstellungsverfahren offenzulegen. Die Produktion von Impfstoffen, Medikamenten und Tests sollte öffentlich durchgeführt werden. Pharmakonzerne gehören in staatliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung. Wir brauchen die transparente internationale Zusammenarbeit der Wissenschaft und Forschung statt privater Konkurrenz.
Kostenlose Tests für alle
Die vereinfachte Erzählung, das Impfen alleine würde die Pandemie beenden, hat sich als falsch erwiesen. Umfassendes Testen ist nötig. Doch die Selbstests werden immer teurer, außerhalb der Großstädte wird der Besuch eines Testzentrums zum Kraftakt. Wien stellt für alle PCR-Tests bereit, hier sind diese eine Seltenheit für positiv Getestete oder Menschen mit Symptomen, ansonsten nicht bezahlbar. Das ist absurd. Testen, auch per PCR, müsste jederzeit kostenlos möglich sein.
Endlich umverteilen!
Während der Pandemie haben die 2700 Milliardäre weltweit ihr Vermögen um 60% gesteigert. In Deutschland ist die Zahl der Milliardäre um 29 auf 136 Personen gestiegen, ihr Vermögen wuchs um 100 Milliarden Euro an. Konzerne wie Daimler haben staatliche Hilfen bekommen, obwohl sie Dividenden an ihre Aktionär*innen ausgeschüttet haben.
Beschäftigte mussten sich mit Kurzarbeiter*innengeld begnügen oder in schlechter bezahlte Jobs wechseln. Sie blieben auf ihren erhöhten Kosten für das Homeoffice sitzen oder verloren durch längere Krankheit Einkommen oder gar Job. Die Hilfen für kleine Selbstständige waren lückenhaft. SPD und Grüne haben ihre Wahlversprechen, die Reichen stärker zu besteuern, direkt mit dem Koalitionsvertrag kassiert. Nötig wäre hingegen die stark progressive Besteuerung von Vermögen von Millionär*innen und Milliardär*innen sowie eine zusätzliche Pandemie-Abgabe bei Vermögen von über einer Million Euro von 10 % bzw. 30 % bei über zehn Millionen Euro.
Auf der Basis dieser und weiterer Forderungen sollten örtliche Bündnisse aufgebaut und Gegendemos organisiert werden. Die DGB-Gewerkschaften haben sich bisher in der Pandemie weggeduckt und die Politiker*innen machen lassen. Sie haben den 1. Mai sowohl 2020 als auch 2021 abgesagt. Die Passivität hat den Verwirrten und den Rechten Spielräume eröffnet, sich als einzige Opposition darzustellen. IG Metall, ver.di und Co. müssen einen Kurswechsel vollziehen. Eine gewerkschaftliche Aufklärungskampagne gegen Verschwörungsmythen und Rechtsextreme ist nötig, verbunden mit eigenen Forderungen.
Die Gewerkschaften sollten in den Betrieben mobilisieren und bei (virtuellen) Betriebsversammlungen die Beschäftigten aufrufen und organisieren, auf die Straße zu gehen. Die LINKE sollte die gesamte Mitgliedschaft informieren und zu den Demos aufrufen. Solidaritätsbewegungen für die Klinik-Beschäftigten, Kampagnen wie Ende Gelände, Fridays for Future, Deutsche Wohnen & Co Enteignen und örtliche Antifa-Bündnisse wären weitere wichtige Pfeiler solcher Bündnisse.
Das Verständnis dafür ist vorhanden. Die Beschäftigten und auch die Jugendlichen sind müde von der Pandemie, genervt von den Nicht-Geimpften, frustriert über das Hin und Her in der Politik. Aber allein zuhaus kommt man mit seiner Frustration nicht weiter. Eine Mobilisierung auf inhaltlicher Grundlage würde nicht nur die „Querdenker*innen“ in ihre Schranken weisen, sondern auch Druck erzeugen für ein verbessertes Gesundheitssystem und dagegen, dass die Reichen und Konzerne von der Pandemie profitieren, aber alle Risiken auf die Bevölkerung abgewälzt werden.