Am 31.Dezember stellte die EU-Kommission für grüne Energie die lang erwarteten Regeln vor, unter denen Erdgas und Kernenergie in die EU-Taxonomie zu nachhaltigen Investitionen aufgenommen werden sollen: Es handele sich hier um „Übergangsenergiequellen“ auf dem Weg zu einem „nachhaltigen“ Europa. In einer Zeit zunehmender Wetterkatastrophen und einem rasanten Zusteuern auf eine Klimaerwärmung von 1,5 Grad wird die Unfähigkeit der kapitalistischen Staaten, mit der Klimakrise umzugehen, immer deutlicher.
von Sammy Albright, Nürnberg
Weder Atomenergie noch Erdgas sind nachhaltig. Die EU-Kommission behauptet, Erdgas sei „grün“, weil bei seiner Verbrennung weniger Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen wird als bei Braunkohle. Tatsächlich werden bei der Erzeugung einer Kilowattstunde Strom durch Erdgasverbrennung 201 Gramm CO2 freigesetzt, bei Braunkohlebriketts sind es 382g. An sich ist alles gut, was den CO2 Ausstoß verringert.
Vor zehn oder zwanzig Jahren, als noch Zeit gewesen wäre, die Klimakrise durch einen langsamen Übergang abzuwenden, hätte eine Umstellung auf Erdgas viel bewirken können. Aber heute besteht laut einer Studie der UN aus dem letzten Jahr eine 40prozentige Chance, dass wir die kritische Grenze einer Erderwärmung von 1,5° in den nächsten vier Jahren überschreiten. Wir haben keine Zeit für allmähliche Übergänge, es muss sofort gehandelt werden! Erdgas ist offensichtlich keine Lösung, auch nicht als Übergang.
CO2-neutral ist nicht gleich nachhaltig
Die Regierungsvertreter Frankreichs, das Land mit den meisten AKW in Europa, die 70 % seiner Energiegewinnung ausmachen, machen dementsprechend Druck, mit dem Argument, Atomenergie sei klimafreundlich. Zwar ist Kernenergie nahezu CO2-neutral, doch ist sie angesichts der riesigen Gefahr durch den Atommüll und möglicher katastrophalen Konsequenzen eines Reaktorunfalls alles andere als nachhaltig. Auch der fortschreitende Verfall der Atomkraftwerke wird hier ausgeklammert: In den vergangenen Wochen waren bis zu 17 der 56 französischen Kernreaktoren gleichzeitig außer Betrieb – zehn davon langfristig, andere aufgrund verschobener Wartungsarbeiten. Vier der leistungsstärksten Kraftwerke bleiben oder werden permanent abgeschaltet, da im Dezember Probleme in den Sicherheitskühlsystemen entdeckt worden waren. Diese hätten leicht zu Atomkatastrophen des Ausmaßes von Tschernobyl oder Fukushima führen können. Und je älter die noch laufenden Meiler werden, desto größer wird das Risiko. Sollte die geplante Modernisierung pünktlich bis 2035 abgeschlossen sein, würde sich das Durchschnittsalter der noch laufenden AKW auf 50 Jahre belaufen.
Selbst ohne Super-GAU werden die Atomabfälle ganze Landstriche vergiften und Geld von echten erneuerbaren Energiequellen absaugen. In Frankreich wird der Atommüll darüber hinaus direkt zum Problem, da der Platz in den Wiederaufbereitungsanlagen knapp wird. Die Wiederaufbereitungsanlage in La Hague, wo derzeit ein Großteil des Atommülls landet, könnte Expert*innen zufolge bereits 2030 voll sein. In ganz Europa gibt es kein genehmigtes Endlager, in dem der strahlende Müll über viele Zehntausend Jahre lagern kann. Für die Zukunft und Sicherheit des Planeten müssen wir die Nutzung von Atomkraft und Erdgas als Energiequellen sofort stoppen und uns stattdessen auf wirklich grüne Lösungen konzentrieren.
Was nicht passt, wird passend gemacht…
Die EU-Kommission vertritt die Interessen der französischen und deutschen Energieunternehmen, das Gemeinwohl der Bevölkerung oder gar die Lösung der Klimakrise zählen nicht. 2020 allein gab die Gas- und Atomindustrie 78 bzw. 8 Millionen Euro für Lobbyismus in der EU aus,mit dem Ziel, ihre Profite zu sichern. Es gibt jetzt sowohl eine Nachfrage nach als auch eine Notwendigkeit für nachhaltige Energie. Aus Sicht klimaschädlicher Energieunternehmen ist es günstiger und einfacher, die Regeln zu ändern als tatsächlich nachhaltig zu werden. Falls der Verordnungsentwurf der EU-Kommission umgesetzt wird, profitieren sie dementsprechend und erhalten einen stetigen Geldfluss von EU-Förderungen. Der französische EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton veranschlagt für den Aufbau einer neuen Generation „nachhaltiger“ Atomkraftwerke mindestens 500 Milliarden Euro und 20 Jahre Bauzeit – Zeit und Geld, die wir nicht haben.
Die Ausbau erneuerbarer Energien
Die Einstufung von Kernenergie und Erdgas als nachhaltig muss verhindert werden, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs: Um eine echte Energiewende statt grüngefärbte Profitmacherei umzusetzen, brauchen wir die Kontrolle über die Energiegewinnung. Die acht größten Energieunternehmen, u.a RWE, EDF und E.ON, müssen enteignet und unter die demokratische Kontrolle der Beschäftigten und Konsument*innen gestellt werden. In einer geplanten Wirtschaft könnte das erforderliche Geld sofort in den Aufbau tatsächlich nachhaltiger Solar- und Windenergieanlagen gesteckt werden, mit den dafür notwendigen Arbeitsplätzen. Mit der jetzigen EU als Interessensprojekt des Kapitals wird das niemals zu machen sein. Was wir brauchen ist ein wirklich solidarischer, internationaler Zusammenschluss europäischer Staaten auf sozialistischer Grundlage, der im Interesse der Arbeiter*innen, Jugendlichen, armen Menschen und der Umwelt agiert.